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Aus: Ausgabe vom 06.05.2024, Seite 7 / Ausland
Aufstieg der Rechten

Faschisten geben Ton an

Serie Aufstieg der Rechten (Teil 5 von 7): In Frankreich liegt Le-Pen-Partei vor EU-Wahl in den Umfragen vorn. Konservative im Hintertreffen
Von Hansgeorg Hermann
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Geschichtsklitterung der extremen Rechten: Die Fahne mit dem Lothringerkreuz benutzte einst das antifaschistische Freie Frankreich (Royan, 13.4.2024)

Am 9. Juni wird das EU-Parlament neu gewählt. Das nehmen wir zum Anlass für eine Serie, die sich mit dem Aufstieg extrem rechter Kräfte in Europa beschäftigt. Die siebenteilige Reihe erscheint in Zusammenarbeit mit der dänischen Zeitung Arbejderen, der schwedischen Proletären und dem britischen Morning Star. Die Beiträge werden in allen vier teilnehmenden Zeitungen veröffentlicht. Nachfolgend ein Artikel von jW-Autor Hansgeorg Hermann.

(jW)

Vor der EU-Wahl präsentiert sich Frankreich als Hort der faschistischen Rechten, die der Ultrarechten Marine Le Pens hart auf die Füße tritt. Die bürgerlichen Les Républicains (LR), gegründet von Nicolas Sarkozy, dem ehemaligen Staatschef und Ratgeber von Staatschef Emmanuel Macron, rutschen ebenso ab wie dessen Formation Renaissance. Bisher liegt in allen Umfragen Le Pens Rassemblement National (RN) mit ihrem Spitzenkandidaten und neuen Anführer Jordan Bardella mit mehr als 31 Prozent weit vorne. Der Faschistenführer Éric Zemmour und seine Bewegung Reconquête könnten am 9. Juni zwischen sechs und sieben Prozent der Stimmen erreichen. Offenbar Grund genug für den ehemaligen Autor des rechtskonservativen Figaro, die Konkurrenz am rechten Rand für »schlechthin nutzlos« zu erklären. Beim am Donnerstag abend vom Nachrichtenkanal BFM TV organisierten Duell der rechten Spitzenkräfte ließ Bardella Macrons Favoritin Valérie Hayer, für die Abstimmung im Juni auf Platz eins der Wahlliste gesetzt, ziemlich schlecht aussehen.

Der Präsident würde sich auf offener TV-Bühne wohl am liebsten selbst mit den verhassten Konkurrenten am rechten Rand streiten, höhnte vergangenen Mittwoch das satirische Wochenblatt Le Canard enchaîné. So miserabel und schrecklich aufgeregt habe sich Hayer bisher öffentlich präsentiert. Wie auch anders, bedauerte Bardella am Donnerstag gönnerisch sein Gegenüber, sie müsse ja Macrons »katastrophale politische Bilanz« durch den Wahlkampf tragen. In der Tat streiten sich im rechten Spektrum des Landes die Protagonisten seit Wochen eher darüber, welche Position im Ukraine-Krieg die für Frankreich vorteilhafteste sein könnte – Russland nicht abzuschreiben, lieber mit der Bombe drohen oder gar Soldaten nach Osten schicken. Oder auch über zunehmende Jugendgewalt an den heimischen Schulen, gerne auch über Macrons allesamt am Parlament vorbei durchgedrückte Gesetze zur Arbeitsmarkt- und Rentenreform.

Erst Macrons inzwischen berüchtigte Einlassungen zum angeblich bevorstehenden Tod Europas vor Studenten der Sorbonne – falls es sich nicht auf gemeinsame »Sicherheit, Ökonomie und Demokratie« einigen könne – gaben dem Wahlkampf einen gewissen Drall in Richtung Brüssel und Strasbourg.

Vor allem dem Faschoführer Zemmour schien es der richtige Moment, um die EU in ihrem gegenwärtigen Zustand völlig abzuschreiben. Das »schlechte Europa« müsse »abgeschafft« werden, denn es treibe die »Islamisierung« des Kontinents voran und »bringt uns auseinander«. Es warte das »gute, das schöne Europa« – ein Kontinent also, den es vom Islam zurückzuerobern gelte, daher der Parteiname Reconquête. Interessant ist, dass Zemmours Liste laut aktuellen Umfragen dabei ist, Jean-Luc Mélenchons linke France insoumise einzuholen und womöglich auch die Ökologen zu überflügeln – beide dümpeln bei rund sieben Prozent. Zemmours »Rückeroberung« wird angeführt von Marion Maréchal, der Nichte Marine Le Pens, die ihrer Tante und deren Spitzenmann Bardella den Kampf angesagt hat – offenbar wegen einer von ihr als »linksabweichlerisch« empfundenen, von Tante Marine seit Jahren erfolgreich betriebenen »Entteufelung« der Partei, die unter dem rassistischen Großvater Jean-Marie Le Pen noch den »besseren Namen« Front National getragen habe.

Kaum zu sehen oder zu hören ist die bürgerlich-katholische Rechte der Républicains, die ihren früheren Patron weitgehend abgeschrieben hat. Tatsächlich ist Exstaatschef Sarkozy viel öfter an der Seite Macrons zu verorten als bei seinen ehemaligen Wasserträgern. Gemein ist den LR-Granden nur noch, dass ihnen die Justiz auf den Fersen ist – Sarkozy vor allem, der sich gegen Betrugs- und Bestechungsvorwürfe wehren muss. Parteichef Éric Ciotti indes ist ein Bewunderer und Spezi des Faschoführers Zemmour, beide sehen in Frankreichs sechs Millionen Muslimen das Ende der christlichen Herrschaft und Kultur in Europa.

Lesen Sie morgen: Ein Gespräch zur ­Situation in Portugal

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In der Serie Aufstieg der Rechten:

Die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union sind am 9. Juni aufgerufen, das EU-Parlament neu zu wählen. Aus diesem Anlass berichtet die junge Welt vom Aufstieg extrem rechter Kräfte in verschiedenen europäischen Ländern. Im Rahmen dieser Serie werden sowohl Artikel als auch Interviews und Analysen veröffentlicht.

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