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Aus: Ausgabe vom 03.05.2024, Seite 8 / Ausland
Politische Gefangene

»Die Durchsetzung der Urteile des EGMR ist entscheidend«

Juristische Vereinigungen treiben Vernetzung zum Schutz von Gefangenen vor Folter voran. Ein Gespräch mit Heike Geisweid
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Zu den Foltermethoden zählt auch eine mehr als 14 Tage andauernde Isolationshaft. Die Justizvollzugsanstalt Tegel in Berlin-Reinickendorf (Symboldbild, 4.1.2024)

Sie haben im April gemeinsam mit europäischen Rechtsanwaltsvereinigungen in Brüssel eine Konferenz zur Situation politischer Gefangener in Europa abgehalten. Sie sprechen in der Abschlussdeklaration davon, dass Folter und Misshandlungen immer offensichtlicher werden. Können Sie das konkretisieren?

Die Verschlechterung der Haftbedingungen politischer Gefangener in Europa ist ein äußerst besorgniserregendes Phänomen. Trotz wiederholter Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, EGMR, zur Einhaltung grundlegender Menschenrechtsstandards sind wir mit immer mehr alarmierenden Fällen von Folter und Misshandlungen konfrontiert.

Welche Länder fallen aus Ihrer Sicht besonders negativ auf?

Ein besonders markantes Beispiel ist die anhaltende Isolationshaft des politischen Gefangenen Abdullah Öcalan. Das CPT (Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, jW) selbst sagt, dass die maximale Dauer der Isolationshaft 14 Tage nicht überschreiten sollte. Seit über 1.100 Tagen ist er jedoch von der Außenwelt abgeschottet. Insbesondere in den letzten drei Jahren ist sein Kontakt zur Außenwelt gänzlich abgebrochen worden, was zu einem eklatanten Mangel an Transparenz bezüglich seines Zustands und Wohlergehens geführt hat.

Und über diesen Fall hinaus?

Daneben sind auch Länder wie beispielsweise Italien, Spanien und Ungarn verstärkt für sich verschlechternde Haftbedingungen bekannt.

Die Konferenz beschloss, dass ein effizienter, kollektiver rechtlicher und politischer Kampf gegen Isolation und Folter in Gefängnissen geführt werden müsse. Wie soll dieser Ihrer Meinung nach aussehen?

Der Kampf gegen Isolation und Folter in Gefängnissen erfordert eine umfassende Strategie auf verschiedenen Ebenen. Zunächst einmal ist die Beteiligung der Zivilgesellschaft von entscheidender Bedeutung. Organisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch spielen eine bedeutende Rolle, indem sie diese Thematik aufgreifen und öffentlich machen. Ein kollektives Vorgehen kann dazu beitragen, politischen Druck zu erzeugen und das Bewusstsein für die Missstände zu schärfen.

Worauf kommt es in der Praxis weiter an?

Die Durchsetzung der Urteile des EGMR ist entscheidend. Zudem spielen Institutionen wie das CPT eine Schlüsselrolle bei der Verhinderung menschenrechtswidriger Behandlungen. Allerdings wurde kürzlich in ihrem Jahresbericht die Situation um Öcalan nicht mit einer Silbe gewürdigt. Um effektiv zu handeln, muss das CPT regelmäßig Delegationen entsenden, um die Haftbedingungen zu überprüfen und die Einhaltung grundlegender Menschenrechtsstandards sicherzustellen, wobei ihre Unabhängigkeit gewahrt bleiben muss.

Schließlich haben sich die EU und ihre Institutionen, darunter der Europarat, verpflichtet, die Menschenrechte zu schützen, aber zu oft fehlen Maßnahmen gegen bestehende Missstände. Politischer Druck auf die Mitgliedstaaten ist entscheidend, um die Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten. Es ist unerlässlich, klare Signale an diese zu senden, um die Einhaltung der Menschenrechte sicherzustellen.

Was folgt für Sie aus der Konferenz?

Sie bot den Teilnehmenden die Plattform, persönliche Erfahrungen sowie Berichte ihrer Mandantinnen und Mandanten über Folter und Misshandlung zu teilen. Die direkte Konfrontation damit schuf eine Atmosphäre der Entschlossenheit und des gemeinsamen Handelns gegen diese abscheulichen Geschehnisse. So planen wir die Gründung eines europaweiten Netzwerks von Anwältinnen und Anwälten, die auf der Konferenz anwesend waren. Dieses Netzwerk wird es ermöglichen, Ressourcen zu bündeln, Informationen auszutauschen und gemeinsame Strategien zu entwickeln, um gegen Menschenrechtsverletzungen in Gefängnissen vorzugehen. Unser Ziel wird es sein, durch vielfältige Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen und mit unterschiedlichen Akteuren aktiv zu werden, um gegen die politische Gefangenschaft und Folter in Europa vorzugehen und die Rechte politischer Gefangener zu schützen.

Heike Geisweid ist Vorstandsmitglied bei MAF-DAD, Verein für Demokratie und internationales Recht

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