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Aus: Ausgabe vom 29.04.2024, Seite 5 / Inland
Maritime Wirtschaft

Schluss mit Ausnahmeverordnung

Jahrzehntelang waren Reedereien von EU-Kartellregeln ausgenommen. Das hat nun ein Ende
Von Burkhard Ilschner
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»Unter diesen neuen Marktbedingungen nicht mehr angemessen«: Die Gruppenfreistellungsverordnung ist ausgelaufen

Angela Titzrath, Präsidentin des Zentralverbands der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) und Vorstandschefin des Hamburger Terminal- und Logistikkonzerns HHLA, zeigte sich zufrieden: Am vergangenen Donnerstag ist eine fast 30 Jahre alte EU-Schiffahrtsregel außer Kraft getreten. Die sogenannte Gruppenfreistellungsverordnung für Konsortien in der Linienschiffahrt (GFO) nahm Reedereien und ihre Allianzen von den EU-Kartellvorschriften aus. Während die Schiffahrt dies – verständlicherweise – immer begrüßt hatte, gab es seit vielen Jahren wachsenden Widerstand seitens der Häfen, der Verlader und der Spediteure. Zudem zeigten sich nicht nur internationale Organisationen wie die OECD zunehmend skeptisch, auch die Europäische Transportarbeiterföderation (ETF) plädierte seit langem für eine Beendigung dieser Ausnahmeklausel.

Grundsätzlich ist es nach EU-Recht Unternehmen verboten, untereinander Absprachen zu treffen, wenn dies den sogenannten freien Wettbewerb einschränken könnte. Aber keine Regel ist ohne Ausnahme: Der Schiffahrt wurde schon seit 1995 eine solche »Freistellung« gewährt, weil ja die Verteilung von Gütern nicht beeinträchtigt werden dürfe. Daher durften fahrplangebundene Seeverkehrsdienste zur Frachtbeförderung von an sich konkurrierenden Reedereien gemeinsam erbracht werden.

Auf Grundlage sogenannter Konsortialvereinbarungen bildeten Linienreedereien »Allianzen« und stimmten sich ab, welche ihrer Schiffe wie häufig welche Häfen und Umschlagbetriebe anlaufen. Begründet wurde dies unter anderem mit den hohen Investitionen, die für die Organisation solcher Liniendienste erforderlich sind; effektivere Nutzung von Schiffsraum oder zuverlässigere Fahrplandichte sollten so begünstigt werden. In der zuletzt gültigen Form bestand die GFO in der EU seit 2009 und ist mehrfach verlängert worden. Weil aber der Druck zunahm, leitete die EU-Kommission im Sommer 2022 eine Evaluation ein und befragte die meistbetroffenen Partner in den maritimen Lieferketten.

Bekanntlich haben insbesondere die den Welthandel dominierenden Reedereikonzerne in und nach der Pandemie nicht nur gut, sondern exorbitant verdient und ihre ohnehin starke Marktmacht weiter ausgebaut. Viel Kapital haben sie in benachbarte Diversifizierung investiert, Beteiligungen an Terminals und Häfen sowie an landseitigen Logistikunternehmen erworben. Das hat nicht nur den Widerstand der betroffenen Branchen von Seehäfen bis hin zu großen Industrieverbänden zunehmen lassen, sondern das ist – sozusagen »dumm gelaufen« – den Reedern letztlich auch auf die eigenen Füße gefallen: »Unsere Evaluierung hat ergeben«, zitierte das Fachmagazin Hansa im Herbst vergangenen Jahres den Interimswettbewerbskommissar Didier Reynders, »dass eine spezielle Gruppenfreistellung für Schifffahrtslinien unter diesen neuen Marktbedingungen nicht mehr angemessen ist. Daher haben wir beschlossen, den derzeitigen Rahmen nicht zu verlängern, sondern ihn am 25. April 2024 auslaufen zu lassen.«

In der GFO war unter anderem festgelegt, dass der Marktanteil eines Konsortiums den Wert von 30 Prozent nicht überschreiten dürfe – eine Regel, die im Containerverkehr von den führenden Allianzen schon seit Jahren missachtet worden ist. Auch wenn deren Partner nur teilweise in EU-Mitgliedstaaten beheimatet sind, bleibt doch abzuwarten, wie sich das Ende der GFO auf die Marktstrukturen der europäischen und globalen Schiffahrt auswirken wird. Die EU-Kommission betont, eine Zusammenarbeit zwischen Reedereien sei künftig nicht in jedem Fall rechtswidrig. Hapag-Lloyd-Chef Rolf Habben Jansen etwa rechnet nicht mit Einwänden der Kartellbehörden gegen die geplante Kooperation mit Mærsk. Der ZDS hingegen verlangt von Brüssel, dem »Marktgebaren großer Allianzen klare Grenzen« zu setzen und Beihilferegeln wie die weiterhin bestehende Tonnagesteuer zu überprüfen.

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