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Aus: Ausgabe vom 29.04.2024, Seite 4 / Inland
EU-Wahlen

Kampagne ohne Kopf

Nach Spionagevorwürfen: AfD-Wahlkampfauftakt ohne Spitzenkandidaten Maximilian Krah. Mitarbeiter wohl ehemaliger Informant für deutschen Geheimdienst
Von Kristian Stemmler
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Muss sich verstecken: Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die EU-Wahl, am Mittwoch in Berlin

Ein Wahlkampfauftakt ohne den Spitzenkandidaten ist in der Politik doch eher die Ausnahme, kommt aber vor: Die AfD hat am Sonnabend im baden-württembergischen Donaueschingen die heiße Phase des Wahlkampfs zur Europawahl am 9. Juni gestartet – ohne Maximilian Krah.

Nach der Festnahme von Krahs Mitarbeiter Jian G. wegen angeblicher Spionage für China in der vergangenen Woche hatte die Parteispitze mit ihrem Kandidaten dieses Prozedere vereinbart, »um das Ansehen der Partei nicht zu belasten«. Auch Plakate mit Krahs Konterfei soll es nicht geben, fertig produzierte Spots wurden zurückgezogen.

Zum Leidwesen der Partei musste in Donaueschingen auch auf einen Auftritt der Nummer zwei auf der Liste für die EU-Wahl verzichtet werden. Dem Bundestagsabgeordneten Petr Bystron wird vorgeworfen, Geld von »russischen Netzwerken« angenommen zu haben. Wie Bystron wird auch Krah seit längerem beschuldigt, Zahlungen aus »prorussischen Quellen« erhalten zu haben. Anstelle der beiden Kandidaten gingen beim Wahlkampfauftakt die Parteivorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel in die Bütt.

Für Chrupalla sind die Vorwürfe eine Kampagne gegen seine Partei. Er rief dazu auf, die »Reihen zu schließen«. Es sei »abenteuerlich«, mit welchen Mitteln die Partei »zersetzt werden« solle, wie man die »Partei beschädigen« sowie »Unruhe und Misstrauen« sähen wolle. Dem müsse und werde man widerstehen. Zu den Vorwürfen der Käuflichkeit gegen Krah und Bystron erklärte Chrupalla, dass es Konsequenzen geben werde, sofern sich diese bewahrheiteten. Er verspreche, dass Meinungen und Positionen »in der AfD niemals käuflich sein werden«.

Koparteichefin Weidel ging auf die Vorwürfe nicht weiter ein. Statt dessen sorgte sie mit der bewährten Polemik für Stimmung im Saal. Den Politikern der Ampelparteien bescheinigte sie »geballte Inkompetenz«. Die Regierenden machten gezielt Politik gegen die eigene Bevölkerung. Weidels Rede sorgte für Begeisterung, fast alle Zuhörer sprangen am Ende von den Stühlen auf, um ihr Beifall zu zollen.

Auch ein Wahlkampfspot wurde im Saal aufgenommen. Der Spot enthält die klassischen Forderungen der Partei: souveräne Nationalstaaten statt einer zentralisierten EU, ein Wiedereinstieg in die Atomkraft, eine verschärfte Abschottung gegenüber Geflüchteten. »Wir wissen: Fachkräfte kommen nicht mit dem Schlauchboot«, heißt es dazu im Spot. Besonders laut johlte das Publikum beim Thema »Gendern«.

Zur Person von Jian G., dem in Haft sitzenden Mitarbeiter Krahs, gab es unterdessen neue Informationen. Die legen nahe, dass er wohl zumindest kein Topspion war. Das Boulevardblatt Bild zitierte am Sonnabend Details aus einer Geheimdienstakte des Mannes. Demnach hat der Bundesnachrichtendienst (BND) 2007 den sächsischen Verfassungsschutz auf G. hingewiesen. Zuvor habe dieser sich dem BND als Informant angeboten – in Pullach bestand allerdings kein Interesse. In den folgenden Jahren soll Jian G. dann den sächsischen Schlapphüten Hinweise auf mutmaßliche Aktivitäten des chinesischen Nachrichtendienstes geliefert haben. Dabei sei es besonders um Aktivitäten Beijings gegen Anhänger der chinesischen Opposition in Deutschland gegangen. G. sei aber kein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes gewesen, man habe ihn lediglich »abgeschöpft«.

Erst Jahre später sei – dank eines Hinweises des Bundesamtes für Verfassungsschutz – die Erkenntnis gereift, dass G. ein chinesischer Spion sei, so Bild. Der Verdacht habe sich aber nicht erhärten lassen. Im August 2018 sei G. von den sächsischen Verfassungsschützern als Quelle »abgeschaltet« worden. Die Linken-Abgeordnete Kerstin Köditz verwies am Freitag auf die Vergangenheit des sächsischen Verfassungsschutzes, etwa das Versagen bei der Suche nach dem Terrortrio NSU. Die neuen Erkenntnisse überraschten sie nicht, »wenn ich daran zurückdenke, was in der damaligen Zeit beim sächsischen Geheimdienst so alles möglich war«.

Medien und Politiker anderer Parteien nutzten die Vorwürfe gegen Krah und Bystron, um die AfD als »vaterlandslose Gesellen« hinzustellen. So titelte der Spiegel »Die Landesverräter – wie die AfD für China und Russland arbeitet«. In dieselbe Kerbe schlug CSU-Chef Markus Söder. Offenkundig sei die halbe AfD »in irgendwelche Spionageaktivitäten oder in irgendwelche Geldtransfers aus anderen Ländern« verstrickt. Die betreffenden Politiker seien »nichts anderes als Kremlknechte, Vaterlandsverräter und keine Patrioten«.

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