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Aus: Ausgabe vom 25.04.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Handelspolitik

EU zeigt China die Instrumente

Brüsseler Kommission leitet neuartiges Sanktionsverfahren wegen »diskriminierender« Ausschreibungen für Medizinprodukte ein. Beijing moniert Protektionismus
Von Uschi Diesl
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Alles Made in China? Reproduktionsmediziner im »Beijing Perfect Family Hospital«, April 2023

Die EU-Kommission hat das erste Sanktionsverfahren wegen Benachteiligung europäischer Firmen bei öffentlichen Ausschreibungen eingeleitet. Gerichtet ist die Maßnahme, wenig überraschend, gegen China. Untersucht würden »Maßnahmen und Praktiken auf dem chinesischen Beschaffungsmarkt für Medizinprodukte, die europäische Unternehmen und Produkte ungerecht diskriminieren«, teilte die Brüsseler Behörde am Mittwoch mit, für die es bei Diskriminierungen offenbar auch gerecht zugehen kann.

Erstmals zur Anwendung komme das »Instrument für das internationale Beschaffungswesen«, das seit 2022 im sanktionspolitischen Werkzeugkasten der Kommission bereitliegt. Nun hat sie Hinweise darauf zusammengetragen, dass Chinas Beschaffungsmarkt für Medizinprodukte schrittweise für ausländische Unternehmen und auch für in der EU hergestellte Produkte geschlossen werde. Neuere Vorgaben der Staatsführung würden »in unfairer Weise zwischen lokalen und ausländischen Unternehmen sowie zwischen lokal hergestellten und importierten Medizinprodukten unterscheiden«. Wie aus den Angaben hervorgeht, geht es um medizinische Produkte sämtlicher Art – etwa verschiedene Apparate und Geräte unter anderem zum Beatmen, Röntgen oder Sterilisieren ebenso wie um Rollstühle und Verbandsmaterial wie Pflaster, Watte oder Binden.

Nach eigenen Angaben hat die Brüsseler Behörde ihre Bedenken wiederholt gegenüber den chinesischen Behörden geäußert, »zufriedenstellende Antworten oder Maßnahmen« seien ausgeblieben. Die Behörden seien aufgefordert, ihre Sicht der Dinge darzulegen und nötige Informationen zur Verfügung zu stellen. Es würden Konsultationen eingeleitet, um die »diskriminierenden Maßnahmen« zu beseitigen. Innerhalb von neun Monaten soll das Prozedere abgeschlossen sein. Sollte die EU-Kommission zu dem Schluss kommen, dass China mit diskriminierenden Maßnahmen europäische Firmen benachteiligt, könnten als Reaktion chinesische Firmen von europäischen Ausschreibungen ausgeschlossen werden.

Aus China hieß es am Mittwoch, die EU habe ihren handelspolitischen Werkzeugkasten in jüngerer Zeit auffallend häufig dazu genutzt, protektionistische Signale in Richtung chinesischer Firmen zu senden und damit das Image der EU beschädigt. Der Staatenbund habe oft damit geprahlt, der offenste Markt der Welt zu sein, aber die Welt habe in letzter Zeit zur Kenntnis nehmen müssen, dass sich Brüssel immer weiter in Richtung Protektionismus bewege, erklärte Außenamtssprecher Wang Wenbin in Beijing. China fordere die EU auf, sich an Bedingungen eines fairen Wettbewerbs zu halten und damit aufzuhören, chinesische Firmen unter haltlosen Vorwänden einzuschränken, so Wang.

Damit wies Beijing alle Vorwürfe, die im EU-Amtsblatt vom Mittwoch recht konkret formuliert waren, rundweg zurück. Mit einer ganzen Reihe von Gesetzen würde in China »die Beschaffung inländischer Medizinprodukte und Dienstleistungen zu begünstigen«, hieß es da. Bevor ein europäisches Unternehmen bei einer Ausschreibung einen Zuschlag bekomme, werde grundsätzlich geprüft, ob eine chinesische Firma das Produkt oder die Dienstleistung ebenfalls anbiete. Es erhalte in diesem Fall prinzipiell den Zuschlag. Chinesischen Krankenhäusern werde vorgeschrieben, bis 2025 mindestens 70 Prozent ihrer mittel- und hochwertigen medizinischen Geräte aus dem Inland zu beziehen. Zudem seien Ausschreibungen so gestaltet, dass chinesische Firmen »ungewöhnlich niedrige Angebote« machen könnten. Einfuhren ausländischer Medizinprodukte seien dagegen erheblichen Einschränkungen unterworfen. Was an diesen Vorwürfen dran ist, soll in den kommenden Monaten ausführlich erörtert werden.

Wie von Wang Wenbin festgestellt, hat die EU-Kommission verstärkt Untersuchungen gegen angeblich widerrechtliche Subventionen der KP Chinas eingeleitet. Die Stoßrichtung ist klar: Unter anderem sollen Windturbinen, Solarmodule und E-Autos vom europäischen Markt verdrängt werden. Im Vergleich mit der einheimischen Konkurrenz sind sie bei vergleichbarer Qualität deutlich billiger. Im Falle einer tatsächlich freien Wirtschaft könnten die Hersteller in kurzer Zeit eine Monopolstellung erringen.

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  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue (25. April 2024 um 13:18 Uhr)
    Wie fair kann Handelspolitik zwischen oder mit imperialistischen »Wettbewerbspartnern« sein? An den Märkten kann nur Konkurrenz herrschen. Wir müssen immer auf der Hut sein, wenn die Demagogen des Kapitals von fairem Wettbewerb säuseln. Wann und wo hat es jemals Fairness unter Konkurrenten an kapitalistischen Märkten gegeben? Jede Anmahnung des Konkurrenten zur Fairness läuft nie auf anderes hinaus als das bekannte Laissez fair, lass dich ausbeuten. Am Markt entscheidet die ökonomische und politische Stärke. Von Wettbewerb zu reden, ist nichts anderes, als das Wesen der Konkurrenz zu beschönigen und den Konkurrenzpartner zugleich zu diffamieren, der Unfairness uva. anzuklagen. China ist ein Staat, der in allen Jahren seiner erfolgreichen Entwicklung über Jahrzehnte davon ein Lied singen kann. Jeder Erfolg Chinas wurde lange nur mit »alles geklaut« quittiert. Betrug und Gaunerei wird dem Lande bis heute gern unterstellt. Mit wachsender Wirtschaftskraft Chinas, Anziehungskraft seiner Wirtschaft, Erzeugnisse und Handelsangeboten an den Westen auf angeglichenem Niveau, geht zwangsläufig eine etwas andere Tonart einher. An zahllosen Diffamierungen hat sich wenig geändert, Sanktionierungen und Strafen sind Instrumente kapitalistischer Konkurrenz, wobei wachsende Wirtschaftsmacht Chinas wie anderer Staaten den Herrschern der Welt oft Vorsicht bis Zurückhaltung gebietet. Protektionismus ist seit Bestehen des Kapitalismus ein Mittel im Konkurrenzkampf, der kein friedlicher Wettbewerb ist und sein kann. Alles Gerede von offenen und freiesten Märkten hat sich immer als Lug und Trug dieses Wirtschaftssystems erwiesen. Es versteht sich, wenn China unablässig mit Vorwürfen und frech-dreisten Forderungen überschüttet wird, es möge seine Märkte den Geiern und Räubern des Westens schrankenlos, unreguliert, ungeschützt überlassen. Es ist gerade reichlich verlogen und heuchlerisch den Chinesen Subventionierungen vorzuwerfen, mit Klagen und Strafen zu drohen. Wie sehen denn die westlichen Praktiken hierbei aus?

    »Begrifflich ist die Konkurrenz nichts als die innere Natur des Kapitals, seine wesentliche Bestimmung, erscheinend und realisiert als Wechselwirkung der vielen Kapitalien aufeinander, die innere Tendenz als äußerliche Notwendigkeit.« K.Marx

    »Verkopplung der einander widersprechenden ›Prinzipien‹ – Konkurrenz und Monopol« Lenin

    Konkurrenz haben wollen ohne alle unheilvollen Folgen ist nicht denkbar. Ein Land wie China kann aber wie wir sehen, das gesellschaftliche Moment den unheilvollen Wirkungen entgegensetzen. Übergang, Zukunft, Perspektiven?
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (25. April 2024 um 11:29 Uhr)
    Die Illusionswelt der Subventionen. In der faszinierenden Welt der Wirtschaftspolitik gibt es eine besondere Zutat, die den Kapitalismus so richtig würzen kann: Subventionen. Ein magisches Elixier, das Unternehmen dazu ermutigt, weiterzumachen, selbst wenn ihre Geschäftsmodelle so lebensfähig sind wie ein Kartenhaus. Und wo gibt es eine bessere Bühne für dieses Spektakel als in der EU, wo Subventionen ausgeteilt werden, als wären sie Konfetti auf einer Karnevalsparty? Die neueste Episode dieser faszinierenden Saga spielt zwischen der EU und China. Die EU hat sich aufgemacht, den chinesischen Drachen zu zähmen, der es wagt, seine eigenen Unternehmen zu bevorzugen. Wie könnten sie es wagen, in ihrem eigenen Land bevorzugt zu werden? Das ist schließlich das Privileg der EU-Unternehmen! Also haben sie beschlossen, China ein wenig zu schikanieren, weil es seine Medizinprodukte lieber lokal beschafft. Schließlich sollte China einfach akzeptieren, dass europäische Unternehmen die besten sind, oder? Natürlich lässt sich China das nicht gefallen und beklagt sich darüber, dass die EU den Protektionismus mit Samthandschuhen betreibt. Die EU ihrerseits wirft mit Anschuldigungen um sich, es ist ein Tanz der Eitelkeiten, bei dem jeder darauf besteht, dass seine Subventionen die besten sind und die des anderen unfair sind. Letztlich geht es nicht wirklich darum, fairen Wettbewerb zu fördern oder die besten Produkte zu finden. Nein, es geht darum, wer am besten jonglieren kann, um seine eigenen Interessen zu schützen. Und wenn das bedeutet, dass die Verbraucher am Ende den Preis zahlen oder dass die Qualität der Produkte leidet, nun ja, das ist eben der Preis des Spektakels, auch wenn am Ende niemand wirklich gewinnt – außer vielleicht den Lobbyisten, die sich die Hände reiben, während sie auf ihren goldenen Thronen aus Subventionen sitzen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (24. April 2024 um 20:54 Uhr)
    Ob eine Diskriminierung gerecht ist, hängt davon ab, wer oder was diskriminiert wird. Ist doch klar? In China subventioniert eine Partei die Wirtschaft (wenn die Feststellung von Wang Wenbin stimmt), im Wertewesten ist es umgekehrt. Allerdings gibt es da mehr Parteien, die die Hand aufhalten.

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