4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 24.04.2024, Seite 5 / Inland
Sozialpartnerschaft

Erosion des Tarifsystems

Brandenburg: Nur 47 Prozent der Beschäftigten arbeiten tarifgebunden. DGB fordert Landesregierung zum Handeln auf
Von Oliver Rast
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Wollen ihr Vertragswerk zurück: Streikende Kollegen aus dem Handel im ostbrandenburgischen Grünheide (16.2.2024)

Die Kurve zeigt steil nach unten: Nur noch 47 Prozent der Beschäftigten in Brandenburg arbeiten in einem tarifgebundenen Betrieb – und liegen damit unter dem bundesweiten Durchschnitt von 49 Prozent. Zudem: Die Quote der Unternehmen mit Tarifbindung liegt in der Mark bei 19 Prozent, zwei Prozentpunkte weniger als im Bundesschnitt. Das belegt die am Montag vorgestellte Studie »Tarifverträge und Tarifflucht in Brandenburg« des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg und des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Die Studienmacher sehen die Landesregierung in der Pflicht, gegen die »Talfahrt bei der Tarifbindung von Unternehmen« aktiv zu werden. Firmenbosse begingen in großer Zahl Tarifflucht und verabschiedeten sich aus der Sozialpartnerschaft, kritisierte Katja Karger bei der Präsentation am Montag in Potsdam. Die DGB-Bezirksvorsitzende: »Für die Mehrheit der Beschäftigten im Land bedeutet dies Einkommensverluste von bis zu 1.000 Euro im Monat, weniger Urlaub, schlechtere Arbeitsbedingungen.« Brandenburg habe ferner einen »riesigen Niedriglohnsektor«. Dennoch hätte das Kabinett von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen in dieser Legislatur so gut wie nichts unternommen, um das zu ändern.

Was also tun? Dreierlei. Zur Stärkung der Tarifbindung brauche es eine Tariftreueklausel im Vergaberecht bei öffentlichen Aufträgen, eine Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen und ferner, dass Kapitalverbände keine Mitglieder mehr »ohne Tarifvertrag« aufnehmen. Besonders allgemeingültige Vertragswerke seien »ein wesentlicher Hebel zur Stabilisierung des Tarifvertragssystems«, weiß Thorsten Schulten vom WSI und Koautor der Studie. Brandenburg sollte dabei vorangehen und im Verbund mit weiteren Bundesländern eine neue Bundesratsinitiative starten.

Druck macht zuvorderst die oppositionelle Die Linke im Landtag. Am Donnerstag werde die Fraktion einen Entwurf zur Änderung des Brandenburgischen Vergabegesetzes im Plenum zur Debatte stellen, sagte am Dienstag ihr Geschäftsführer Steffen Twardowski zu jW. Tariftreue sei ein wichtiger Faktor für bessere Löhne, zumal Beschäftigte in Brandenburg im Ländereinkommensvergleich an viertletzter Stelle rangieren. Zudem verweist die Linksfraktion auf Berlin. Im Nachbarland gehen bereits seit Dezember 2022 öffentliche Aufträge des Landes nur noch an Unternehmen, die Tariflöhne zahlen. Zurückhaltender ist Matthias Stefke. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge sollten Firmen bevorzugt werden, die nach Tarif entlohnen. Aber: »Eine einheitliche Regelung auf Bundesebene ist sinnvoller als ein Stückwerk mit 16 Landesgesetzen«, so der Vizesprecher der Landtagsgruppe von BVB/Freie Wähler gegenüber jW. Eine Position, die auf der Linie von Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach liegt. Der SPD-Politiker hatte wiederholt bemerkt, auf Vorgaben des Bundes zu warten. Nur, das kann dauern.

Für den Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB), Alexander Schirp, ist etwas anderes entscheidend: Es sei »gefährlich und schädlich, wenn Gewerkschaften zunehmend nach dem Staat rufen«. Das würde Sozialpartnerschaft samt Tarifbindung »ganz sicher nicht stärken«, sagte Schirp am Dienstag auf jW-Nachfrage. Gewerkschafter sollten sich lieber darum kümmern, mehr Beschäftigte als Mitglieder zu gewinnen. »Dann steigt auch die Tarifbindung.«

Ein Seitenhieb gegen Karger. Dennoch, das Kabinett in Potsdam müsse liefern, betonte die DGB-Bezirkschefin. Schließlich sei das Land »Arbeitgeber, Auftraggeber, Gesetzgeber«.

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