4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Tiger (2)

Von Helmut Höge
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Noch einmal zu den Tigern. Was ist denn nun so philosophisch an ihnen, die von dem Katzenforscher Paul Leyhausen trotz ihrer Größe zu den »Kleinkatzen« gezählt werden, weil sie nicht brüllen und Streifen haben? Das allein hat jedoch niemanden davon abgehalten, in dieser größten Raubkatze eine geeignete Metapher für die den Menschen gefährliche, aber auch verführerische »Natur« zu sehen. Der Dadaist Walter Serner behandelte 1921 dieses »Spannungsverhältnis« in seinem Roman über eine Verführerin, die er schon im Titel »Die Tigerin« nannte.

Der Zirkushistoriker Werner Philipp behauptet: »Tiger riechen angenehm, ihr Geruch sei erotisierend, sagen manche Frauen.« Meinen sie damit einen kraftvollen männlichen Geruch oder sind diese Katzen ihnen eher »Gleichnis für die Femme fatale«? wie der Ökologe Josef Reichholf vermutet. Die Männer scheint ansonsten nicht so sehr das Geschlecht, sondern eher die Gefährlichkeit der Tiger zu interessieren.

Der Philosoph Theodor W. Adorno dachte in den »Minima Moralia« über die echten Tiger in den Zoos nach: »Der Tiger, der endlos in seinem Käfig auf und ab schreitet, spiegelt negativ durch sein Irresein etwas von Humanität zurück, nicht aber der hinter dem unüberspringbaren Graben sich tummelnde.«

Solche »Freianlagen« stellen laut Adorno einen humanitären Fortschritt dar. Weniger fortschrittlich ist dagegen, dass allein in den nordamerikanischen »Freianlagen« mehr Tiger als in wirklicher Freiheit leben. »Verderblich ist des Tigers Zahn, / Jedoch der schrecklichste der Schrecken, / Das ist der Mensch in seinem Wahn«, hieß es 1799 in Friedrich Schillers »Lied von der Glocke«, im Jahr, als Napoleon die Revolution für beendet erklärte.

Die Russische Revolution nahm dann einen neuen Anlauf. Leo Trotzki schrieb 1924 in »Literatur und Revolution«: »Der sozialistische Mensch will und wird die Natur mittels der Maschine beherrschen. Natürlich bedeutet das nicht, dass der ganze Erdball liniert und eingeteilt sein wird. Es werden bleiben Dickicht und Waldungen und Auerhähne und Tiger, aber dort, wo der Mensch ihnen den Platz angewiesen haben wird. Und er wird dies so geschickt anstellen, dass sogar der Tiger den Hebekran nicht merken und sich nicht langweilen und so leben wird, wie er in Urzeiten gelebt hat. Das Bestreben, die Not, den Hunger, den Mangel zu besiegen, wird eine Reihe von Jahren die herrschende Tendenz sein. Später wird der Gegensatz von Technik und Natur in einer höheren Synthese seine Lösung finden.«

Und damit den Tigern posthum Gerechtigkeit widerfahren lassen? Angesichts der aktuellen Krisen kann man mit Walter Benjamin von einem »Tigersprung ins Vergangene« sprechen, insofern nicht das Nächstliegendste (Klimakatastrophe, Artenschwund, Armut …) »angesprungen« wird.

Der Menschenfreund Benjamin ging dabei tigermäßig nicht so weit wie der Tierfreund Arthur Schopenhauer, der 1851 in »Parerga und Paralipomena II« schrieb: »Der Mensch ist das einzige Tier, welches Andern Schmerz verursacht, ohne weiteren Zweck, als eben diesen. Die andern Tiere tun es nie anders, als um ihren Hunger zu befriedigen, oder im Zorn des Kampfes. Wenn dem Tiger nachgesagt wird, er töte mehr, als er auffresse: so würgt er alles doch nur in der Absicht, es zu fressen.«

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