4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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4. Mai, Diskussion zu Grundrechten

Aktuell

  • 10.01.2021 10:17 Uhr

    Fotostrecke: Einige Menschen, die #RLK21 möglich machen

    Claudia Uhlmann
    Dirk Keul
    Raphaël Schmeller
    Andreas Hüllinghorst
    Technikteam
    Security
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  • 10.01.2021 09:55 Uhr

    Konstantin Wecker: Grenzenlose Solidarität denken und leben

    Große und kleine Auftritte des Musikers während der XXVI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz
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    »Sage Nein« von Konstantin Wecker in voller Inbrunst dargebracht

    Die Bühne würde ihm in Coronazeiten schon sehr fehlen, erzählte Konstantin Wecker kürzlich der jW. Danach ging‘s im Gespräch um die »Querdenker«-Demonstranten: »Sie tragen Bilder von Sophie Scholl mit sich und berufen sich auf sie. Ich habe seit zwanzig Jahren ein Porträt von ihr in diesem Zimmer hängen, und diese ›Querdenker‹ bemächtigen sich ihrer. Unverschämt!« Eine andere Widerstandskämpferin, die dieser leidenschaftliche, politische Liedermacher sehr schätzt, heißt, na klar, Rosa Luxemburg, von der wir, so Wecker in seiner gestreamten Botschaft auf der XXVI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am Sonnabend, »gerade heute sehr viel lernen« könnten, »weil sie vom Herzen und vom Verstand eine grenzenlose Solidarität dachte und lebte«.

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    Konstantin Wecker mit Orchesterbegleitung im Livestream der #RLK21

    Aufgezeichnete wie ausgezeichnete Bühnenauftritte gibt’s danach gleich zwei zu sehen: Einmal mit großem Rockaufgebot inklusive Riesenstreicherhimmel, das andere Mal die kleinere Nummer, Wecker und Gäste am Mikro, begleitet von Cello und Flügel. Politische Eindringlichkeit von links als große Unterhaltung. Nein, das ist kein Widerspruch. Und so hübsch die Coverversion Wendtoins zu Beginn der Konferenz auch geraten ist, »Sage Nein« vom Wecker mit voller Brust gesungen, spielt doch noch mal in einer ganz anderen Liga. (msa)

  • 10.01.2021 09:55 Uhr

    David Rovics: Die Vorzüge der Laubbläser

    Der US-Musiker gibt dem Kampf auf der Straße eine Stimme
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    »Say their names!«: Der Musiker David Rovics

    Schon Folklegende Woody Guthrie wusste, dass eine Akustikgitarre eine Maschine sein kann, um Faschisten zu bekämpfen. Der US-Musiker David Rovics (Jahrgang 1967) pflegt diese Tradition weiter: Wie Joe Hill, Guthrie und Pete Seeger nutzt er seine Sechssaitige, um auf Demos und Streiks seine politischen Botschaften zu verbreiten. Ein Flugblatt ist schnell zerknüllt und weggeworfen, ein Lied bleibt im Kopf – wenn es gut gemacht ist. Das sind Rovics‘ Lieder, und eingängig, klug, humorvoll dazu. Schnell reagiert er mit ihnen auf tagespolitische Ereignisse, schreibt so gewissermaßen ein »Songgeschichtsbuch« der USA, wie es die Chefredakteurin von Melodie & Rhythmus, Susann Witt-Stahl, formuliert. Sein 200-plus Repertoire, entstanden in einer langen »Karriere« als Straßenmusiker und Protestsänger, stellt er kostenlos über seine Homepage zur Verfügung.

    Anders als bei vielen seiner Landsleute kann man das Wort »Socialism« bei Rovics wirklich als »Sozialismus« übersetzen. Der Anarchist kennt den Unterschied zwischen der US-amerikanischen Ausprägung von Sozialdemokratie und einer wirklich kapitalismuskritischen Politik. Das zeigt sich im Livegespräch mit Witt-Stahl, der Musiker ist aus seiner Heimat Portland zur XXVI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz zugeschaltet. Das Problem der USA sei weit größer als »bloß« Rassismus, so Rovic. Vielmehr werde man gerade Zeuge des Aufstiegs einer neuen faschistischen Bewegung – eine Folge der immer tieferen gesellschaftlichen Spaltung durch den Klassenkampf von oben seit den 70er Jahren.

    Danach gibt er, das erste Mal seit knapp 20 Jahren wieder Gast der RLK, Kostproben seines Könnens, singt von politischen Lügen und coronakranken Arbeitern am Band, den zahllosen von einer rassistischen Polizei ermordeten Schwarzen, deren Namen man nie vergessen darf (»Say their names!«) und den Vorzügen von Laubbläsern im Kampf gegen Tränengas. Das alles wirkt wie eben erst hingeschrieben und geht in seiner Unmittelbarkeit und Direktheit, dem abrupt abreisenden Vortrag besonders unter die Haut. Einer der emotionalsten Momente der diesjährigen Konferenz. (ts/pm)

  • 10.01.2021 09:55 Uhr

    Völker hört die Signale!

    Finale der #RLK21: Die Internationale zu deren 150. Geburtstag
    Kämpferischer Abschluss der #RLK21: Nicolás Miquea und Tobias Thiele singen Die Internationale in drei Sprachen

    In diesem Jahr wird Die Internationale 150 Jahre alt. Es ist das weltweit am weitesten verbreitete Kampflied der Arbeiterklasse. Der ursprünglich französische Text aus dem Jahr 1871 stammt von Eugène Pottier, einem Dichter und aktiven Beteiligten der Pariser Kommune. Traditionell stimmen alle Besucherinnen und Besucher einer Rosa-Luxemburg-Konferenz zu deren Abschluss ein und singen Die Internationale aus voller Kehle. Das ist dieses Jahr verständlicherweise anders. Stellvertretend für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Livestream der XXVI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz brachten die Musiker Nicolás Miquea und Tobias Thiele das Lied in drei Sprachen auf die Studiobühne in Berlin. Es wurde ein kämpferisches Finale für eine ganz besondere Konferenz, die hoffentlich im nächsten Jahr wieder mit tausenden physisch anwesenden Gästen stattfinden wird. (mme)

  • 10.01.2021 09:54 Uhr

    Amazon im Kreuzfeuer

    Diskussionsrunde zum Abschluss der XXVI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz
    Die Diskutanten: Fátima Aguado Queipo (oben links), Massimo Mensi (oben rechts), Timothy Bray (unten links), Stefan Huth (unten rechts)
    Live im Studio: Orhan Akman von Verdi
    Stefan Huth (r.), jW-Chefredakteur

    Das Geschäftsmodell des Internetgiganten ist perfide: Ausbeutung und Kontrolle. Methoden, mit denen Amazon zum Extraprofiteur in der Coronapandemie aufgestiegen ist. Nur ein Detail: Konzernboss Jeffrey Bezos wechselt sich aktuell mit Tesla-Gründer Elon Musk in der Poleposition der Gigareichsten ab. Grund genug, um die XXVI. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz mit einer Diskussionsrunde dazu abzuschließen – Titel: »Krisengewinnler Amazon«. Durch das Gespräch des hochkarätig besetzten Podiums führte junge Welt-Chefredakteur Stefan Huth. Es diskutierten lebhaft: Timothy Bray (USA), ehemaliger Vizepräsident bei Amazon Web Services (AWS), Orhan Akman (BRD), Verdi-Bundesfachgruppenleiter für den Einzel- und Versandhandel, Fátima Aguado Queipo (Spanien), Gewerkschaftssekretärin CCOO und Massimo Mensi (Italien), Sekretär für internationale Beziehungen der Gewerkschaft CGIL.

    Den Auftakt machte Bray, der wegen des unzureichenden Pandemieschutzes im Mai 2020 bei Amazon ausgestiegen ist. Seine Kritik geht indes weiter. »Aufgrund des Effizienzdiktats in den Versandzentren haben die Beschäftigten keinen Moment der Ruhe«, so Bray. Eine Auspressung menschlicher Arbeitskraft, die teilweise durch den Einsatz von Robotern flankiert wird. In letzter Konsequenz, sagte Bray, gehe es um die Zerschlagung der Bigtech-Monopolisten, also auch um das Ende von Amazon in seiner bisherigen Unternehmensstruktur. Starke Worte.

    Die Kollegin Queipo von der spanischen CCOO verwies auf die Schwierigkeiten, engagierte Gewerkschafter in den Amazon-Standorten zu finden. Zudem attackieren gelbe, unternehmernahe Pseudogewerkschaften Arbeiterinteressen. Das Problem: »Aktuell sind wir nur in neun von landesweit 30 Amazon-Zentren organisiert«, so Queipo. Und sie lässt keinen Zweifel aufkommen, Amazon sei eine Art Monstrum.

    Eine Masche des Onlineriesen ist des weiteren, dass er sich in armen, strukturschwachen Regionen ansiedelt. Der Grund: »Hier herrscht eine große Erwerbslosigkeit, hier findet der Konzern gewissermaßen sein Rohmaterial für seine Profite«, schilderte Mensi von der CGIL aus Italien. Und Beschäftigte, die aufmucken, werden sofort mit Sanktionen belegt, intensiv kontrolliert.

    Erst kürzlich wurde bekannt, dass Amazon das berüchtigte US-Sicherheitsdienstunternehmen Pinkerton beauftragte, um Umweltschützer und Gewerkschafter zu observieren. Nicht nur das: In Annoncen wirbt der Onlineriese um militärisches Fachpersonal für Jobs in Führungsetagen.

    Aber es gibt längst gewerkschaftliche Gegenwehr. Auch hierzulande, betonte Akman von Verdi. Seit acht Jahren führt die deutsche Dienstleistungsgewerkschaft einen Arbeitskampf – mit Erfolg: »In immer mehr Amazon-Versandzentren haben sich Betriebsräte gebildet«, bilanzierte der Gewerkschafter. Vor allem sind Beschäftigtenvertreter ein Garant für Streiks. Mit Arbeitsausständen protestierten in den vergangenen Monaten Kollegen mehrmals an den Versanddrehscheiben des Konzerns. Es geht um die Anerkennung der Flächentarifverträge des Einzel- und Versandhandels durch die Bosse. »Die Demokratie darf nicht vor dem Betriebseingang enden«, machte Akman klar.

    Gegen das Bezos-Imperium mit seiner enormen Finanzmacht vernetzen sich Gewerkschafter international. Alle Diskutanten betonten die Solidarität untereinander. Bezos Exmitarbeiter Timothy Bray blieb das Schlusswort vorbehalten: »Amazon agiert inmitten eines kaputten Systems.« (or)

  • 10.01.2021 09:55 Uhr

    Venezuela und Kuba zeigen: Es geht um Sozialismus oder Barbarei

    Janohi Rosas spricht über Kampf gegen sozialen Verfall und Imperialismus, Enrique Ubieta Gómez referiert zu Corona und postpandemischer Welt
    Enrique Ubieta Gómez (r.), Direktor der Theoriezeitschrift Cuba Socialista, forderte, den tödlichen Wirtschaftskrieg gegen Kuba zu stoppen
    Übertragung des Statements von Janohi Rosas, Generalsekretärin der Kommunistischen Jugend Venezuelas
    Miriam Näther von »Cuba Sí« stellte die Solidaritätskampagne »Unblock Cuba« vor

    Beiträge aus Lateinamerika dürfen auf der XXVI. Internationalen Rosa Luxemburg Konferenz natürlich nicht fehlen. Am Sonnabend wendete sich Janohi Rosas, Generalsekretärin der Kommunistischen Jugend Venezuelas und Kandidatin für das Bündnis »Revolutionäre Volksalternative« bei der Parlamentswahl im Dezember, an das Publikum. In ihrem kämpferischen Beitrag betonte Rosas, das Motto der Konferenz – »Der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein« – habe nichts an seiner Aktualität verloren. Während auf der einen Seite die Bourgeoisie und die Monopole stünden, liege die Vernunft bei den kämpfenden Völkern und der Arbeiterklasse, die auf den wissenschaftlichen Sozialismus als Ausweg aus der kapitalistischen Krise setzen müssten. Gerade die Coronapandemie führe derzeit zu einer Zuspitzung der Widersprüche des Systems und in der Folge zu sozialem Verfall und Kontrolle. Als Gegenmittel müsse auf Solidarität gesetzt werden, wobei Venezuela als gutes Beispiel diene: Während die USA, aber auch die Europäische Union, selbst inmitten der Pandemie auf imperialistische Aggressionen und die brutale Blockade gesetzt haben, kämpft das venezolanische Volk weiter dafür, unabhängig, selbstbestimmt und souverän über sein eigenes Schicksal zu entscheiden.

    Für Solidarität statt Barbarei steht auch das sozialistische Kuba, dem die junge Welt seit jeher eng verbunden ist. Enrique Ubieta Gómez, Direktor der Theoriezeitschrift Cuba Socialista, betonte in seinem Vortrag, dass die Coronapandemie gezeigt habe, dass das Virus nicht alle gleich trifft, sondern insbesondere Arme unter ihm leiden. Der Umgang mit der Pandemie weltweit könne dabei als ein Lehrstück über die Funktionsweise zweier unterschiedlicher Gesellschaftssysteme gesehen werden. Während die USA besonders vom Coronavirus betroffen sind, brachen in Kuba keine Krankenhäuser zusammen oder starben Beschäftigte im Gesundheitswesen. Während Washington selbst in Zeiten einer Pandemie die tödliche Blockade gegen die Inselrepublik verschärfte, schickte Havanna insgesamt 53 medizinische Hilfsbrigaden in andere Länder, um praktische Solidarität zu leisten – getreu dem Ausspruch Fidel Castros, Ärzte statt Waffen exportieren zu wollen.

    Mit Blick auf eine postpandemische Welt stehe die Menschheit vor der Frage: Faschismus oder Sozialismus.Während die Rechte bereits an einer faschistischen Veränderung arbeite, müsse die Linke darauf pochen, dass Veränderungen nicht nur kosmetischer Natur sein dürften. Besonders relevant sei es nun, den Raubbau an der Umwelt zu beenden, der das Virus erst hervorgebracht habe, und soziale Gerechtigkeit zu erkämpfen – »damit das Schiff, das sich Welt nennt, nicht Schiffbruch erleidet«.

    Kuba ist ein Beispiel dafür. Das betonte auch Miriam Näther von »Cuba Sí«, die im Anschluss die Solidaritätskampagne »Unblock Cuba« vorstellte. Diese habe sich vorgenommen, 2021 zu dem Jahr zu machen, in dem die mittlerweile fast 60 Jahre aufrechterhaltene Wirtschafts-, Finanz- und Handelsblockade der USA gegen Kuba endlich gestoppt werde. Dafür machen derzeit mehr als 90 teilnehmende Organisationen in 23 Ländern mit Plakataktionen, Flyern und Druck auf Politik und Regierungen mobil. Unterstützung und Spenden sind auch weiter willkommen. (fres)

  • 05.01.2021 19:30 Uhr

    Auf zu neuen Ufern

    Neue Formen kollektiven Erlebens: Die XXVI. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz als Livestream
    Sebastian Carlens
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    jW-Ladengalerie: Aufbau für die Onlinekonferenz am 9. Januar 2021 – Programmbeginn um 10.30 Uhr

    Wenn wir uns diesen Sonnabend ab 10.30 Uhr zur XXVI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz treffen, wird vieles anders sein als in den vergangenen Jahren. Denn natürlich sind auch wir, die Veranstalter und Unterstützer, vom globalen Pandemiegeschehen betroffen. Zuletzt konnten wir regelmäßig mehr als 3.000 Gäste in Berlin zu diesem traditionellen Jahresauftakt der Linken begrüßen. Eine große Konferenz mit vielen Besuchern ist 2021 jedoch nicht möglich, denn auch nach einem knappen Jahr hat Covid-19 die westliche Welt im harten Griff. Kleinmut und Verzagtheit sind allerdings keine Lösung. Deshalb reagieren wir nicht nur notgedrungen auf Beschränkungen, sondern nutzen die Gelegenheit, ganz neue Formen kollektiven Erlebens zu entwickeln. Die Rosa-Luxemburg-Konferenz wird nicht nur – in diesem Jahr online unter jungewelt.de/ rlk – stattfinden. Sie wird eine Qualität internationaler Vernetzung erreichen, die wir bislang nicht kannten: Viele befreundete Medien und Organisationen werden unseren Livestream übernehmen, darunter Telesur aus Lateinamerika, das Portal redfish, der britische Morning Star und Cubainformación sowie ICAP, das Kubanische Institut für Völkerfreundschaft. Unser Programm kann auf mehreren Kontinenten verfolgt werden – von unseren Simultandolmetschern ins Deutsche, Englische und Spanische übersetzt. Und: Auch 2022, wenn wir uns hoffentlich im echten Leben wiedersehen werden, wollen wir auf diese Errungenschaften nicht mehr verzichten.

    Wenn kapitalistische Globalisierung und Rückfall in nationale Egoismen die Krisenlösung der Bourgeoisie ist, halten wir die internationale Solidarität dagegen. Dementsprechend wird unser Konferenzprogramm globale Arbeitskämpfe aufgreifen, beispielhaft verdeutlicht am Onlineriesen Amazon: Timothy Bray, ehemaliger Topmanager aus dem Reich von Jeffrey Bezos, wird an unserer Diskussionsrunde teilnehmen und Interna aus dem Vorgehen des Monopolisten gegen Arbeiterrechte verraten. Janohi Rosas, Generalsekretärin der Kommunistischen Jugend Venezuelas, berichtet uns vom Kampf des venezolanischen Volkes um Selbstbestimmung und Sozialismus. Dies, selbstverständlich nur ein Schlaglicht aus unserem umfangreichen Programm, verdeutlicht unseren Anspruch: Freundschaft und Solidarität statt mörderischen Konkurrenzkampfs.

    Die XXVI. Konferenz wird ein Novum in vielerlei Hinsicht: Mit großem technischen Aufwand und dank der Hilfe vieler Freunde und Genossen werden wir ein internationales, multimediales Ereignis auf die Beine stellen. Auch für unsere Kollegen und Mitarbeiter bedeutet das erheblichen Aufwand. Und trotz unseres professionellen Anspruchs werden wir auch Fehler machen. Um unsere Formate weiterzuentwickeln, sind wir auf die Mithilfe aller Teilnehmer angewiesen. Wir bitten ausdrücklich um Feedback und Anregungen, während des Live­streams und hinterher – gemeinsam werden wir ein kollektives Erlebnis auf hohem Niveau schaffen.

    Wenn Nationalismus der einzige Weg ist, den die herrschende Klasse kennt, setzen wir auf gegenseitige Hilfe. Tausende Menschen, die allein oder in Gruppen unseren Livestream verfolgen, sind ein Schritt in diese Richtung. Diese Zeit schreit nach kollektiven Lösungen, denn weder die Pandemie noch die Klimakatastrophe oder die Massenflucht aus dem globalen Süden können nationalstaatlich gestoppt oder gelöst werden – die Lösung heißt Sozialismus. Beim traditionellen gemeinsamen Singen der »Internationale« zum Abschluss unserer Konferenz muss niemand allein sein, auch wenn wir uns in diesem Jahr nicht treffen können. Setzen wir ein Statement gegen marktförmige Vereinzelung – damit wir uns, spätestens 2022, nicht nur wieder treffen, sondern auch unsere neu entwickelten Formen internationaler Vernetzung aus diesem Jahr weiter qualifizieren und anwenden können!

  • 05.01.2021 19:30 Uhr

    »Das sind alles Erfahrungen, die wir nutzen können«

    Neue Herausforderung Onlinekonferenz. Ein Gespräch mit Jonas Pohle
    jW
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    Alles unentbehrlich!

    Die Rosa-Luxemburg-Konferenz findet in diesem Jahr als reine Onlineveranstaltung statt. Wie kann man die Konferenz verfolgen?

    Der Livestream ist direkt auf der RLK-Seite unter www.jungewelt.de/rlk zu finden. Man benötigt nur PC, Laptop, Tablet oder Smartphone mit Internet und schon kann man die Konferenz verfolgen. Da wir Beiträge aus der ganzen Welt haben, sind Simultandolmetscher im Einsatz, so dass die RLK in den drei Konferenzsprachen Deutsch, Englisch und Spanisch gestreamt wird.

    Außerdem arbeiten wir mit befreundeten internationalen Publikationen und Organisationen zusammen, die den Livestream auf ihren eigenen Internetseiten einbinden. Mit dabei sind die Zeitungen Arbejderen (Dänemark), Morning Star (Großbritannien), Unsere Zeitung (Österreich), die Onlineplattformen Cubainformación (Spanien), Redfish und der lateinamerikanische Nachrichtensender Telesur sowie die Internetseite des ICAP, des Kubanischen Instituts für die Völkerfreundschaft.

    Die Referenten können ja nicht vor Ort sein. Wie werden sie ihre Vorträge halten?

    Die Konferenz wird eine Mischung aus Programmpunkten sein, die im Studio auf den Bühnen stattfinden, von Livezuschaltungen und von vorbereiteten Beiträgen, die per Video eingespielt werden. So wird das Jugendpodium um 12 Uhr direkt aus unserem Studio live gesendet. Bei der Diskussionsrunde um 18.30 Uhr mit dem Thema »Krisengewinnler Amazon« wird es eine Mischung sein. Während drei Teilnehmer aus Spanien, Italien und den USA live zugeschaltet werden, sitzt der jW-Chefredakteur Stefan Huth, der die Runde moderiert, mit weiteren Gästen im Studio.

    Wir arbeiten in enger Abstimmung mit einem externen Film- und Streamingteam zusammen.

    Benötigt man einen Zugangscode oder ein Abonnement, um die Konferenz verfolgen zu können?

    Nein, der Zugang zum Livestream unter www.jungewelt.de/rlk ist kostenfrei und ohne Zugangsbeschränkungen. Wir freuen uns aber über Unterstützung in Form von Spenden oder dem Kauf von Unterstützertickets. Der Preis ist frei wählbar. Ab einem Betrag von fünf Euro gibt es die extra gestaltete Unterstützerkarte per Post, ab zehn Euro zusätzlich den limitierten Kühlschrankmagneten und ab einem Betrag von 20 Euro als drittes auch die RLK-Broschüre, die Mitte/Ende März 2021 erscheint.

    Auch wenn wir in diesem Jahr kein Geld für die Raummiete zahlen müssen, ist der Technikaufwand sehr groß und mit hohen Kosten verbunden. Dazu kommen Ausgaben für die Simultandolmetscher und Werbung.

    Die Konferenz ist nur als Livestream zu verfolgen. Wer also die diesjährige Rosa-Luxemburg-Konferenz erleben möchte, muss am Sonnabend ab 10.30 Uhr einschalten.

    Inwiefern unterscheidet sich die Vorbereitung der diesjährigen Konferenz von den vergangenen?

    In der Vorbereitung profitieren wir von unseren Erfahrungen. Allerdings ist eine reine Onlineveranstaltung schon eine neue Herausforderung. Die technische Absicherung ist das A und O. Auch in den letzten Jahren gab es schon einen Live­stream. Allerdings eher als Nebenkanal und nur in einer Sprache. In diesem Jahr laufen drei Übertragungen parallel, in Deutsch, Englisch und Spanisch. Dazu kommt die Koordinierung mit den ausländischen Streamingpartnern.

    Das sind alles Erfahrungen, die wir wiederum für die kommenden Konferenzen nutzen können.

    Was können die Leserinnen und Leser tun, um die Konferenz zu unterstützen?

    Es ist wichtig, den Termin der Konferenz im Freundes- und Bekanntenkreis zu bewerben. Egal, ob im persönlichen Gespräch oder über die sozialen Netzwerke. Ich denke, wir haben es geschafft, unter den gegebenen Bedingungen ein spannendes Programm mit Vorträgen, Diskussionen und Kulturbeiträgen auf die Beine zu stellen.

    Können sich die Zuschauer mit Fragen aktiv beteiligen?

    Für das Jugendpodium wird es einen eigenen Telegram-Kanal geben, bei dem Fragen eingereicht werden können. Ansonsten richten wir eine E-Mail-Adresse ein, an die Zuschauer Fragen, Reaktionen oder Fotos vom gemeinsamen Verfolgen der Konferenz schicken können.

  • 05.01.2021 19:30 Uhr

    »Ihr Antimilitarismus ist aktueller denn je«

    Gedenken an Luxemburg und Liebknecht bleibt wichtig. Linke dürfen Umweltfragen nicht ignorieren. Ein Gespräch mit Uwe Hiksch
    Markus Bernhardt
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    Uwe Hiksch, Mitglied im Bundesvorstand der Naturfreunde Deutschland (Köln, 1.10.2018)

    Am 15. Januar jährt sich die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht durch reaktionäre Freikorps zum 102. Mal. Welche Bedeutung haben die beiden Arbeiterführer und Kommunisten für die Linke heute?

    Ihr Antimilitarismus ist aktueller denn je. Liebknechts Werk »Militarismus und Antimilitarismus« ist gerade heute allen Linken zu empfehlen. Auch die ökonomischen und demokratietheoretischen Ideen von Rosa Luxemburg mit ihren Forderungen nach basisdemokratischen Räten sind richtungsweisend. Deshalb sind die alljährlichen Luxemburg-Liebknecht-Ehrungen wie am kommenden Sonntag auch heute ein wichtiges Zeichen linker Politik.

    Was kann man vor dem Hintergrund zunehmender Klimakrisen und Umweltzerstörung von den beiden lernen?

    Luxemburg hat den Zusammenhang von Naturzerstörung und Kapitalismus aufgezeigt. Kapitalistische Profitmaximierung führt immer zur Ausbeutung von Mensch und Natur. Diese doppelte Ausbeutung wollte Luxemburg überwinden. Ihre Forderung nach Vergesellschaftung der Produktionsmittel zeigt einen Weg aus der kapitalistischen Verwertungskrise. Aufgabe von Linken heute ist, diesen Zusammenhang im Rahmen aktueller Diskussionen wie Klimakrise, Agrarpolitik oder über die notwendige Umgestaltung der Ökonomie aufzuzeigen.

    Umweltschutz und nachhaltiges ökologisches Wirtschaften wurde in der kommunistisch geprägten Linken jedoch stets bestenfalls stiefmütterlich behandelt. Wie erklären Sie sich das?

    Umweltschutz und Ökologie wurden in der kommunistisch wie auch der sozialdemokratisch geprägten Linken vernachlässigt. Dies ist um so erstaunlicher, als Marx und Engels jede Lebenstätigkeit des Menschen und jede Produktion als prozessuale Einheit von Mensch und Natur gesehen haben. Ihr Ziel war es, die Entfremdung des Menschen von der Arbeit und der Natur zu überwinden. Innerhalb des sozialdemokratischen und kommunistischen Parteimarxismus wurde die Produktivkraftentwicklung häufig automatisch mit gesellschaftlichem Fortschritt gleichgesetzt. Dies ist in dieser Einfachheit falsch, wie wir spätestens seit der Entwicklung der Waffenproduktion oder der Atomenergie wissen.

    Vergessen werden darf auch nicht, dass der Marxismus in Europa durch Ferdinand Lassalle und Karl Kautsky populär dargestellt wurde. Beide haben jedoch die ökologischen Analysen von Marx ignoriert. Dies hat Marx mit seiner Kritik am Gothaer Programm auch sehr deutlich formuliert, als er schrieb, dass »die Natur ebensosehr die Quelle der Gebrauchswerte« sei. Leider ist es Teilen der Linken erst spät gelungen, mit der Forderung nach Einheit von sozialer und ökologischer Kritik des Kapitalismus Gehör zu finden.

    Also müssen soziale und ökologische Fragen miteinander verbunden werden?

    Kurz und bündig: ja. Linke, die soziale, ökologische und friedenspolitische Fragen nicht als Einheit verstehen, haben linke Theorie nur verkürzt verstanden. Umweltpolitik darf nicht als Politik für den Mittelstand formuliert, sondern muss als Grundlage für eine ökologische und soziale Umgestaltung der Gesellschaft, gemeinsam mit Gewerkschaften, Arbeitnehmern und Sozialverbänden umgesetzt werden.

    Vor allem Bündnis 90/Die Grünen werden gemeinhin mit Umwelt- und Klimaschutz in Verbindung gebracht. Zu Recht?

    Dass die Grünen noch immer als die Klimaschutzpartei wahrgenommen werden, hat auch mit der politischen Linken zu tun. Sie schafft es nicht, ein linkes und ökologisches Reformprogramm zu popularisieren, das Umweltpolitik mit Umverteilung von Reichtum und sozialer Gerechtigkeit verbindet. Gleichzeitig haben spätestens der Dannenröder Wald in Hessen oder die Verkehrspolitik des Grünen-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg deutlich gezeigt, dass sobald die Partei an der Regierung ist, sie Umwelt- und Klimaschutz häufig als zweitrangig ansieht.

  • 03.01.2021 19:30 Uhr

    »Junge Menschen besonders bereit, sich zu wehren«

    Spontane Protestbewegungen wie von Klimaschützern bieten Chance, dauerhafte Formen des Widerstands zu entwickeln. Ein Gespräch mit Carolin Zottmann
    Kristian Stemmler
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    Solidarität mit dem Widerstand im Dannenröder Forst: Teilnehmende einer Fahrraddemonstration radeln mit ihrem Banner über die Autobahn »A 255« (Hamburg, 12.12.2020)

    Bei der XXVI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 9. Januar werden Sie das Jugendpodium moderieren, das traditionell von der SDAJ ausgerichtet wird. Thema: »Kampf der Jugend in Zeiten von Krise und Pandemie«. Wer nimmt noch teil?

    Das sind Erik Busse, Krankenpfleger sowie Jugend- und Auszubildendenvertreter am Uniklinikum Düsseldorf und Mitglied der Verdi-Tarifkommission, Roylan Tolay als Mitglied im Bundesvorstand der DIDF-Jugend, Sascha Hevalski von den North East Antifascists, Berlin, und Leon Sierau, Mitglied der Bundesgeschäftsführung der SDAJ.

    Die Konferenz wird wegen der Pandemie im Internet als Live­streamveranstaltung stattfinden. Wirkt sich das auf die Gestaltung des Podiums aus?

    Wir versuchen, es so zu machen wie sonst auch. Also mit einem einleitenden Teil, bei dem die Teilnehmer sich und die grundlegenden Einschätzungen ihrer Organisation zum Thema des Podiums kurz vorstellen, dann einer moderierten Diskussion zwischen den Teilnehmern. Wie bei einer Präsenzveranstaltung wollen wir aber auch dem Publikum die Gelegenheit geben, sich einzuklinken. Die Zuhörer können über einen Chat Fragen stellen.

    Die Pandemie verstärke die Angriffe auf soziale und demokratische Rechte, heißt es im Ankündigungstext. Die Krise treffe die Jugend »in besonderem Maße«.

    Arbeitsrechte wurden ausgesetzt, und das Privatleben wurde massiv eingeschränkt. Das betrifft alle arbeitenden Menschen. Schließung von Kultur- und sozialen Einrichtungen oder der massive Abbau von Ausbildungsplätzen trifft Jugendliche noch stärker. In den Schulen konnten wegen der schlechten Ausstattung Hygieneregeln kaum eingehalten werden. Das Homeschooling verstärkte die Effekte sozialer Ungleichheit. An den Hochschulen fielen Präsenzveranstaltungen in großem Umfang aus.

    Im Frühjahr, während der ersten Welle, hieß es, die Pandemie werde zu mehr Solidarität führen. Offenbar hat sie eher die Umverteilung von unten nach oben beschleunigt.

    Zwar gibt es vereinzelt eine Solidarisierung mit Streikenden, insbesondere in Kliniken und Pflegeeinrichtungen, zu mehr Solidarität hat die Pandemie aber nicht geführt. Wenn jetzt von Zusammenhalt gesprochen wird, ist oft »Sozialpartnerschaft« gemeint – die vermeintliche Inte­ressengleichheit von Unternehmern und Arbeitern. Diese Ideologie greift um sich, auch in den Gewerkschaften. Das macht es noch schwieriger, Widerstand gegen die Umverteilung von unten nach oben zu organisieren. Wie immer setzt der deutsche Staat auf Abwälzung der Krisenlasten auf die Bevölkerung, während Banken und Konzerne gerettet werden. Die Pandemie ist auch nicht Auslöser der Krise, sondern hat sie lediglich verschärft.

    Viele Aktivisten haben sich 2020 an den Besetzungen im Hambacher und Dannenröder Forst oder an Aktionen von »Ende Gelände« im Braunkohlerevier beteiligt. Ein Lichtblick?

    Solche spontanen Bewegungen sind superrelevant, da sie zeigen, dass gerade auch junge Menschen besonders bereit sind, sich zu wehren. Bei der Podiumsdiskussion wird es auch darum gehen, wie es gelingen kann, aus solchen Bewegungen dauerhafte Formen des Widerstandes zu schaffen.

    Sind die unterschiedlichen Kämpfe nicht oft zu wenig verbunden?

    Die Kämpfe werden oft gegen einzelne Symptome des Kapitalismus geführt. Doch wir können den Klimawandel, wir können Rassismus im Kapitalismus nicht stoppen, denn in der Regel widerspricht Umweltschutz dem Profitstreben und rassistische Vorurteile nützen der herrschenden Klasse als Spaltungsinstrument. Alle Themen hängen objektiv miteinander zusammen, daher müssen sie zusammengeführt werden. Antikapitalistisches Bewusstsein ist in diesen Bewegungen oft nur ansatzweise vorhanden. Wir müssen stärker die soziale Frage stellen und klarmachen, was die Klasseninteressen hinter den einzelnen Erscheinungen sind. Es wird bei der Podiumsdiskussion auch darum gehen, wie Kämpfe gebündelt werden können.

  • 29.12.2020 19:30 Uhr

    468 Monate Ungerechtigkeit

    Mumia Abu-Jamal sitzt seit mehr als 39 Jahren in einem US-Knast. Seine Verurteilung ist Teil einer langen Geschichte von Rassismus und Polizeigewalt
    Linn Washington
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    Demonstration für die Freilassung von Mumia Abu-Jamal im Jahr 2000 in Los Angeles

    Der Mord an dem Polizeibeamten Daniel Faulkner in Philadelphia ist eine Tat, über die ich berichtet und die ich untersucht und verfolgt habe, seit sie in den frühen Morgenstunden des 9. Dezember 1981 geschah. 37 Jahre nach der Erschießung Faulkners, im Dezember 2018, stieß die Staatsanwaltschaft in Philadelphia in einem vergessenen Winkel ihres Gebäudekomplexes auf sechs große Pappkisten, die äußerst erstaunliches Beweismaterial enthielten. Es hatte etwas mit dem Mann zu tun, der seinerzeit für den Mord verurteilt worden war. In mir löste die Entdeckung dieser Kisten nicht nur ein Gefühl der Bestätigung, sondern auch eine gewisse Verblüffung aus. Sie enthielten Dokumente, die die Verurteilung Mumia Abu-Jamals, eines preisgekrönten Journalisten, der wegen der Ermordung Faulkners mittlerweile fast 40 Jahre hinter Gittern verbracht hat, ernstlich in Frage stellen.

    Nach dem Gesetz hätten die Ankläger den Inhalt dieser Kisten dem Anwalt Abu-Jamals vor dem Verfahren, in dem dieser 1982 zum Tode verurteilt wurde, zur Verfügung stellen müssen. Abu-Jamal verbrachte fast 30 Jahre seines Lebens in der Todeszelle, bevor sein Urteil in lebenslängliche Haft umgewandelt wurde.

    Illegale Machenschaften

    Angesichts der Tatsache, dass meine tiefgehende Beschäftigung mit Abu-Jamals Fall mich mit einem veritablen Sumpf illegaler Machenschaften gegen ihn seitens der Ankläger, Richter und der Polizei konfrontiert hat, lieferte das Verschwindenlassen der Kisten mit entlastendem Beweismaterial durch ehemalige Ankläger nur eine weitere Bestätigung für die Rechtsverstöße, die Abu-Jamal erdulden musste. Meine Verblüffung wurde durch den Inhalt einer der Kisten ausgelöst. Er handelte von mir. Die Dokumente in dieser Kiste zeigten, dass Behörden, die an der Niederschlagung der Berufungen Abu-Jamals beteiligt gewesen waren, 2001 eine Überprüfung meines Strafregisters vorgenommen hatten. Sie hatten also versucht, Schmutz ausfindig zu machen. Sie hofften, so meine Berichterstattung über ihr Fehlverhalten diskreditieren zu können.

    Mit genau solchem Fehlverhalten setzten die Behörden die Verurteilung Abu-Jamals und die spätere Aufrechterhaltung des Urteils durch. Ich bezeichne meine Reaktion auf diese böswillige Überprüfung meines Strafregisters als »Verblüffung«, weil ein derart niederträchtiges Vorgehen angesichts der langen Liste beständigen Fehlverhaltens von seiten der Behörden, die immer nur im Sinn hatten, Abu-Jamal als Bösewicht hinzustellen, nicht wirklich überraschend war.

    Eines der Dokumente in den wiederentdeckten Kartons ist der Brief eines der Hauptbelastungszeugen während Abu-Ja­mals Verfahren 1982. Dieser Brief wurde kurz nach dem Verfahren an den zuständigen Staatsanwalt geschrieben und enthielt nur eine einzige Frage: »Wo bleibt denn jetzt mein Geld?« Eine logische Frage, die sich aus diesem Nachhaken ergibt, ist natürlich: War diesem Zeugen von den Anklägern Geld dafür geboten worden, dass er gegen Abu-Jamal aussagte?

    Wofür war das Geld?

    Da die Staatsanwaltschaft selbst für die An- und Abreise ihrer wichtigsten Zeugen zum Gericht sorgt, ist es unwahrscheinlich, dass die Erkundigung nach »meinem Geld« nur eine Erinnerung an die Rückerstattung von Reisekosten war. Und da die Anklage ihren Hauptzeugen im Verlauf des Verfahrens auch Kost und Logis zur Verfügung stellt, ist es gleichermaßen unwahrscheinlich, dass in dem Brief von Geld für ein Mittagessen die Rede ist.

    Der betreffende Zeuge, ein Taxifahrer namens Robert Chobert, fuhr sein Taxi am 9. Dezember 1981 ohne gültigen Führerschein, weil er diesen wegen Alkohols am Steuer verloren hatte. Zu der Zeit, als Chobert behauptete, er habe gesehen, wie Abu-Jamal Faulkner erschoss, war er wegen eines Brandbombenattentats auf eine Schule zu einer langjährigen Bewährungsstrafe verurteilt.

    Angesichts der Tatsache, dass Chobert während seiner Bewährung unerlaubt Taxi fuhr, ist es sehr unwahrscheinlich, dass er sein Auto, wie er im Prozess behauptete, ausgerechnet hinter einem Polizeifahrzeug geparkt hatte, dessen Fahrer mit einer Verkehrskontrolle beschäftigt war. Chobert sagte aus, er habe gesehen, wie Faulkner erschossen wurde, während er mit seinem Taxi hinter dessen Dienstauto stand. Aber kein einziges der Tatortfotos der Polizei zeigt das Taxi hinter dem Streifenwagen.

    Aus dem Fehlen des Taxis auf den Tatortfotos ergeben sich mindestens zwei Fragen. Erstens: Hat die Polizei Philadelphias Beweismaterial manipuliert, indem sie das Taxi vom Tatort entfernte, bevor sie ihre Fotos aufnahm? Oder zweitens: Hatte Chobert sein Taxi gar nicht hinter Faulkners Wagen geparkt? Das würde bedeuten, dass er im Prozess von 1982 schlicht gelogen hatte.

    In einer der wiederentdeckten Kisten mit Beweismaterial befindet sich auch der Bericht eines Polizisten, in dem dieser sagt, er sei mit dem »Taxifahrer« zur Mordabteilung gefahren, wo Kriminalbeamte diesen befragt hätten. Chobert ist der einzige Taxifahrer, der im Prozess Abu-Jamals eine Rolle spielte.

    Uninformierte Jury

    Die Jury, die Abu-Jamal 1982 verurteilte, erfuhr nie, dass Chobert gar keine Fahrerlaubnis hatte und sich nur auf Bewährung in Freiheit befand oder dass er mit fünf bis sieben Jahren Gefängnis hätte rechnen müssen, wenn die Behörden seine Bewährung wegen gesetzwidrigen Verhaltens widerrufen hätten. Nicht ins Gefängnis zu müssen ist ein starker Anreiz zu einer Falschaussage – egal, ob man dafür Geld bekommt oder nicht.

    Der Richter in Abu-Jamals Verfahren von 1982 hatte ganz spezifisch angeordnet, die Jury dürfe nichts von Choberts Vergehen und Straftaten hören. Laut Aussage einer anwesenden Zeugin (die diese rassistische, jedem fairen Verfahren widersprechende Äußerung aus nächster Nähe hörte) sagte genau dieser Richter zu Beginn des Verfahrens von 1982, er werde der Staatsanwaltschaft helfen, »den Nigger zu grillen«.

    Dieses eklatante Fehlverhalten des Richters im Hinblick auf Choberts offensichtlich fragwürdige Prozessaussage und das ebenso empörende Fehlverhalten des rassistischen Richters wurden von Staats- und Bundesgerichten in den USA für zulässig befunden. Gerichtsbeschlüsse wie diese beweisen, dass die Parteilichkeit gegen Abu-Jamal sich von der Polizei bis in die höchsten Gerichtsebenen einschließlich des Obersten Gerichts Pennsylvanias – und der Vereinigten Staaten – zieht.

    Es ist genau so, wie der im Februar 2000 veröffentlichte Bericht von Amnesty International zu Abu-Jamal vermerkte: »Die Gerichtsprotokolle in diesem Fall zeigen ein Muster von Ereignissen, die Abu-Jamals Recht auf einen fairen Prozess gefährdet haben – von Verstößen gegen Vorschriften bei der polizeilichen Untersuchung und der Präsentation des Falls durch die Staatsanwaltschaft (…) bis hin zum Anschein richterlicher Voreingenommenheit«.

    Zu Beginn dieses Jahres hat das Oberste Gericht Pennsylvanias ein weiteres Hindernis für die jüngsten Berufungsanträge Mumias errichtet, indem es den traditionellen Feinden Abu-Jamals, der »Bruderschaft der Polizei« Philadelphias namens FOP und der wiederverheirateten Witwe des Polizeibeamten Faulkner, einen Aufschub der entsprechenden Verhandlungen gewährte. FOP und Maureen Faulkner verlangen den Rückzug der heutigen Staatsanwaltschaft Philadelphias aus dem gegenwärtigen Berufungsverfahren und führen dazu die fadenscheinige Behauptung ins Feld, die heutigen Ankläger in Philadelphia kämpften nicht entschlossen genug gegen Abu-Jamals Forderung nach Gerechtigkeit. Dabei bekämpft die heutige Staatsanwaltschaft in Philadelphia Abu-Jamals Berufung sehr wohl – es ist nur so, dass sie sich dabei nicht wie ihre Vorgänger illegaler Manöver schuldig gemacht hat, um dafür zu sorgen, dass Abu-Jamal im Gefängnis bleibt. Diese Weigerung, sich illegal zu verhalten, ist offenbar ausreichend, die Gegner Abu-Jamals auf die Palme zu bringen.

    Drängen auf Hinrichtung

    Dabei ist das Fehlverhalten von Mitgliedern des Obersten Gerichts Pennsylvanias bei Verhandlungen im Fall Abu-Jamal ein Schlüsselelement in dessen derzeit eingefrorenem Berufungsverfahren. So hatten während eines wichtigen Urteils 1998, um Abu-Jamals Verurteilung bestehenzulassen, fünf der sieben Richter – die diese einstimmige Entscheidung fällten – für ihre Wahl ins Gericht politische und sonstige Schützenhilfe von Polizeiorganisationen erhalten, die sich damals für Abu-Jamals Hinrichtung eingesetzt hatten. Einer dieser fünf – Ronald Castille – war sogar ehemaliger Bezirksstaatsanwalt in Philadelphia, eine Funktion, in der er sich Mitte der 1980er erfolgreich für die Aufrechterhaltung von Abu-Jamals Todesurteil eingesetzt hatte.

    Die richterliche Beteiligung des früheren Staatsanwalts Castille an der Ablehnung der Berufung 1998 verstieß gegen die in Pennsylvania geltenden Richtlinien für juristisch korrektes Verhalten. 2016 nahm das Oberste Gericht der USA einen anderen Fall zum Anlass, um Castille scharf wegen dessen rechtlich unzulässiger Doppelrolle als Staatsanwalt und Richter zu kritisieren, und eröffnete damit den Weg zu einer weiteren Berufung Abu-Jamals – jener, die die Polizeibruderschaft FOP und Maureen Faulkner derzeit zu verhindern versuchen.

    Mitte November sagte die berühmte Aktivistin Angela Davis auf einer Pressekonferenz zum Fall Abu-Jamal: »Das Fehlurteil gegen Mumia und die Repression gegen ihn sind Teil einer breiteren Geschichte, in der es um strukturellen Rassismus und Polizeibrutalität geht.« Für viele ist der Mord an Daniel Faulkner ein Fall, der vor 39 Jahren mit der Verurteilung Abu-Jamals abgeschlossen wurde. Auf der anderen Seite betrachten Millionen Menschen auf der ganzen Welt die Verurteilung Abu-Jamals als ein klassisches Beispiel beständigen und fortgesetzten Unrechts. Mumia Abu-Jamal hat seit seiner Verhaftung am Mittwoch, den 9. Dezember 1981, auf seiner Unschuld bestanden. Heute sind das mehr als 468 Monate.

    Übersetzung: Michael Schiffmann

  • 23.12.2020 19:30 Uhr

    »Kunst halte ich für ein Grundnahrungsmittel«

    Theaterarbeit in der Coronapandemie: Zur Aktualität der Werke Bertolt Brechts. Ein Gespräch mit Peter Wittig
    Erik Zielke
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    Mitglieder des Berliner Simon-Dach-Theaters singen das Kommunarden-Lied auf der XXV. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz (11.1.2020)

    Sie sind Regisseur des von Ihnen gegründeten Simon-Dach-Projekttheaters in Berlin, mit dem Sie seit fast 20 Jahren kontinuierlich politische Theaterarbeiten herausbringen. In diesem Herbst wollten Sie Bertolt Brechts »Die Rundköpfe und die Spitzköpfe«, eine parabelhafte Auseinandersetzung mit der Spaltung der Gesellschaft, auf die Bühne bringen. Warum gerade dieses Stück?

    Die Idee ist schon älter. Sie kam mir bei den Wahldurchmärschen der AfD. In dem Stück geht es darum, wie ein politischer Abenteurer die Gesellschaft teilt in Akzeptierte und Ausgegrenzte. Das gehört heutzutage auf die Bühne.

    Die Umstände haben Ihnen nun allerdings einen Strich durch die Rechnung gemacht.

    Wir wollten im Juni mit den Proben anfangen und im Herbst Premiere haben. Das konnten wir nicht angesichts von Corona. Aus diesem Grund ist das Projekt verschoben auf den kommenden Herbst.

    An der Aktualität wird sich ja nichts ändern …

    Die gesellschaftlichen Probleme werden uns leider erhalten bleiben. Wir im Osten leben seit 30 Jahren wieder im Kapitalismus, den Brecht bekämpfte und den er in seinen Stücken analysierte. Brecht ist aktuell wie nie.

    Sie kommen in Ihrer Arbeit auch immer wieder auf Brecht zurück.

    Ja, auch als Schauspieldozent an der Akademie Reduta. Ich halte ihn einfach für sehr wichtig. Unsere Theatergruppe hat aber auch andere Dramatiker gespielt – Hacks, Arbusow, Lorca, Volker Braun. Oder Karel Capek in Zusammenarbeit mit tschechischen Künstlern.

    Und dennoch scheint es auch bei den anderen großen Namen und der Auswahl der konkreten Stücke einen Widerspruch zu Trends und zum Zeitgeist zu geben.

    Nur aus Jux und Tollerei Theater zu machen – dafür ist mir die Zeit zu schade. Mehr als ein Stück pro Jahr schaffen wir als freie Gruppe nicht. Und dann soll dieses Stück eines von künstlerischem und gesellschaftlichem Gewicht sein.

    Auch mit »Die Tage der Commune«, einem weiteren Brecht-Stück, haben Sie zu einem selten gespielten Stoff gegriffen.

    Diese Inszenierung hatte Premiere anlässlich des hundertsten Jubiläums des Roten Oktobers. Es war die Berliner Erstaufführung der Originalfassung. Eine legendäre Aufführungsserie des Stücks gab es zwar 1962–71 am Berliner Ensemble, aber das war eine Bearbeitung des Regisseurs Manfred Wekwerth. Zu meiner Entscheidung für das Original gehörte auch, die Schauspielmusik von Hanns Eisler in vollem Umfang zu verwenden, nicht nur einige Lieder wie damals am BE. Es gibt dazu von mir einen Arbeitsbericht, nachzulesen auf unserer Homepage sidat-pro.de.

    Szenen Ihrer Inszenierung sollten bei der XXVI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz im kommenden Januar gezeigt werden, die unter anderem im Zeichen der Pariser Kommune und ihres 150. Jahrestages steht. Nun muss dafür ein digitales Format gefunden werden. Was bedeutet das für Sie?

    Zunächst einmal bedeutet das sehr viel Arbeit. Es ist eine ungeheuer kniffelige Geschichte. Ursprünglich wollten wir mit zwei Szenen live auftreten. Jetzt erstelle ich einen Videostream, eine Zwanzigminutenfassung der zweieinhalbstündigen Inszenierung. Wir fühlen uns sehr geehrt, dass wir anlässlich des Commune-Jubiläums unsere Arbeit den internationalen Teilnehmern der Konferenz präsentieren dürfen.

    Ist eine solche digitale Transformation nur Behelfslösung, oder bietet sie auch einen ästhetischen Reiz?

    Natürlich soll sie das bieten. Es ist eine große Herausforderung. Das Endergebnis soll einerseits Vergnügen bereiten beim Angucken, andererseits die wesentlichen Akzente des Stücks bedienen und ein aussagekräftiger Beitrag zum Jubiläum sein.

    Sind solche digitalen Formen denn auch eine dauerhafte Lösung für Sie?

    Wenn Corona uns die Wiederaufnahme von »Tage der Commune« vereitelt – zwischen März und Mai 2021 im Theater unterm Dach in Berlin –, muss man über solche Lösungen nachdenken. Ich halte sie aber für Notlösungen. Theater ist lebendige Interaktion zwischen Schauspielern und Publikum.

    Wie erleben Sie als Künstler, aber auch als Zuschauer, die momentane Situation der geschlossenen Theater?

    Es ist grauenvoll. Es war durchaus vernünftig, dass Anfang des Jahres erst einmal alle Theater zugemacht wurden, als man nicht wusste, was passiert. Fakt ist aber, dass Konzerthäuser und Theater über den Sommer hervorragende Hygienekonzepte entwickelt haben: Die Begegnung der Zuschauer vor und nach den Vorstellungen ist abgeschafft, es gibt keine Gastronomie, die Säle werden nicht voll besetzt, auch auf der Bühne gelten die Abstandsregeln. Es ist kein einziger Infektionsfall aus einem Theater oder Konzerthaus bekanntgeworden. Angesichts dieser Tatsache finde ich es indiskutabel, auch im zweiten Lockdown diese Häuser wie die Spaßbäder zu behandeln. Kunst halte ich für ein Grundnahrungsmittel. Das darf man den Leuten nicht unbefristet entziehen.

  • 23.12.2020 19:30 Uhr

    Herausforderungen gemeistert

    Trotz Corona und Krise: junge Welt hält auch 2020 Kurs
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    Hoch die junge Welt. Einige Aktionsplakate aus dem aktuellen Jahr

    Liebe jW-Leserinnen und -Leser,

    es war 2020 eine große Kraftanstrengung, eine marxistisch orientierte Tageszeitung gegen die immer ungehemmteren kapitalistischen Ausbeutungsbedingungen und die damit einhergehende Rechtsentwicklung zu behaupten. Die Existenz der jungen Welt zu feiern, hätte es in diesem Jahr zwei große Anlässe gegeben: 25 Jahre Verlag 8. Mai und 25 Jahre Genossenschaft LPG junge Welt eG. Das bedeutet: Ein Vierteljahrhundert der Imperialismuskritik, und dazu gehört für uns der Kampf gegen die Delegitimierung der DDR, die Betonung der Errungenschaften der Arbeiterklasse und die Pflege des Erbes von Marx, ­Engels, Lenin, Liebknecht und Luxemburg.

    Notwendig: Kollektiv arbeiten

    Ein wesentliches Element unserer 25jährigen Entwicklung liegt in der kollektiven Arbeit der Kolleginnen und Kollegen in Redaktion und Verlag, sie war und ist überlebenswichtig. Aber gerade das Herangehen im Kollektiv wird durch die Coronapandemie äußerst auf die Probe gestellt. Etwa, weil nicht alle Kolleginnen und Kollegen in den Verlags- und Redaktionsräumen arbeiten und Beratungen nur unter Beschränkungen stattfinden können. Letztlich ist es der Coronaalltag selbst, der uns allen enorm viel Kraft abverlangt. Es hakt schließlich an einigen Ecken. Und gelegentlich fällt das auch in der Zeitung auf. Im großen und ganzen haben wir die Herausforderungen jedoch gut gemeistert und konnten es erneut schaffen, die junge Welt weiterzuentwickeln. Im Gegensatz zu den meisten Zeitungsverlagen gab es bei uns keine Kurzarbeit, wir haben den Umfang des Blatts auch nicht reduzieren müssen. Konsequenz: Das ohnehin kleine Team aus Redaktion und Verlag hatte reichlich zu tun.

    Einige Einbußen gab es in der Arbeit vor Ort, vor allem in der des Aktionsbüros. Die Buchmessen fanden nicht statt, Veranstaltungen wie das UZ-Pressefest oder das TFF-Festival in Rudolstadt wurden abgesagt. Dort hätten wir erfahrungsgemäß viele Zeitungen verteilen und neue Leserinnen und Leser gewinnen können. Auch die erfolgreiche Arbeit mit unseren Unterstützern und Leserinitiativen musste eingeschränkt werden, es konnten daher zum Beispiel am 1. Mai statt 100.000 Exemplaren nur wenige hundert verteilt werden.

    In Teilen gelang es uns durchaus, die Arbeit an sich und Werbemaßnahmen an die neuen Gegebenheiten anzupassen. So ist es uns im Frühjahr mit der schnellen Umstellung der Probeaboaktion gelungen, viele neue Leserinnen und Leser zu erreichen, die erstmals mit der jungen Welt in Kontakt kamen und sie für sich entdeckten. Erfreulich – wenn eine Probeaboaktion zum Jahresbeginn erfolgreich läuft, dann tragen die Ergebnisse über das ganze Jahr Früchte.

    Eine Erfahrung, die sich in diesem Jahr bestätigte, ist, dass sich die Linke in Zeit von Krise, Krieg und zunehmendem Irrationalismus neu sortiert. Einige verlassen den gemeinsamen Weg, gleichzeitig finden neue Leser und Mitstreiter den Weg zur jungen Welt. Die übergroße Mehrheit der Leserinnen und Leser ist dankbar, dass jW auch in diesen stürmischen Zeiten klaren Kurs hält.

    Besondere Publikationen

    Neben der Tageszeitung junge Welt und dem Kulturmagazin Melodie & Rhythmus erscheinen im Verlag 8. Mai ausgewählte Bücher, Broschüren, Kalender, CDs und DVDs. Im Frühjahr, pünktlich zur abgesagten Leipziger Buchmesse, erschien Carlos Gomes’ Buch »Lenin lebt. Seine Denkmäler in Deutschland«. Gewöhnlich präsentieren wir ein neues Buch in der jW-Ladengalerie. Pandemiebedingt wurde kurzfristig unsere erste reine Onlinebuchvorstellung daraus. Weitere digitale Formate entstanden: die Ausstellungsführungen mit Andreas Wessel, jW-Autor und Kurator der jW-Kunstedition (siehe junge Welt-Youtube-Kanal). Als die Frankfurter Buchmesse ebenfalls abgesagt wurde, konnten wir an vier Abenden in Folge spannende Buchvorstellungen unter dem Titel »jW-Lesewoche« anbieten, in der auch unsere aktuellste Buchedition präsentiert wurde: die erste Komplettveröffentlichung von Lea Grundigs »Elfteiligem Bildzyklus zum Manifest der Kommunistischen Partei«.

    Die gemachten Erfahrungen mit Onlineveranstaltungen helfen uns aktuell bei der Planung der kommenden Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 9. Januar 2021. Sie wird nur im Livestream auf jungewelt.de/rlk zu verfolgen sein. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Absprachen mit den Referenten, die live zugeschaltet werden, gehören dabei ebenso dazu wie die technischen Vorbereitungen mit dem Filmteam.

    Klarer Kurs

    Auch wenn wir dieses Jahr gut gemeistert haben, bleibt es eine große Herausforderung, jeden Tag eine Tageszeitung herauszugeben und das »Gesamtkunstwerk« junge Welt am Laufen zu halten. Neben klarem Kurs und kollektivem Arbeiten von Redaktion und Verlag unter schwierigen Bedingungen sind es vor allem die Leserinnen und Leser dieser Zeitung sowie die Mitglieder der Genossenschaft, die den Bestand der jW sichern. Ohne deren Unterstützung wäre das Erscheinen dieser Zeitung nicht möglich.

    Wir haben in diesem schwierigen Jahr einmal mehr bewiesen, dass die gedruckte Tageszeitung stark nachgefragt wird. Dennoch zerfallen die Printmedienlandschaft und die dazugehörige Infrastruktur weiter. Die gedruckte Tageszeitung ist in unseren Augen ein wichtiges Kulturgut, für dessen Erhalt wir uns einsetzen – bei gleichzeitiger Weiterentwicklung des Onlineangebots. Wir schaffen dies nur als Solidarprojekt. Mit jedem neuen Leser und jedem neuen Abo steigt die Wirksamkeit und Relevanz der jungen Welt. In Zeiten der zunehmenden Irrationalität und im Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse ist sie das tägliche Gegengift.

    Schließlich möchten wir uns, liebe Leserin und lieber Leser, an dieser Stelle herzlich für Ihre Unterstützung bedanken und Sie bitten, in unserem Kampf für eine bessere Zukunft und eine bessere Zeitung nicht nachzulassen.

    Andreas Hüllinghorst und Jonas Pohle, Verlagsleitung

  • 20.12.2020 19:30 Uhr

    Flexibel in die Armut

    Neue Formen der Tagelöhnerei: Unter dem Vorwand der Modernisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt treibt Amazon den Abbau der Rechte von Beschäftigten voran
    Niklas Hoves
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    Eine »schablonen­hafte, monotone Tätigkeit«, die zu einer enorm hohen Krankenquote führt: Amazon-Arbeiter im Logistikzentrum in Pforzheim verpacken die von den »Pickern« eingesammelten Waren in Kartons und geben sie in den Versand (11.12.2012)

    In den kommenden Tagen veröffentlicht die »Ethecon-Stiftung Ethik und Ökonomie« auf ihrer Website ein Dossier über Amazon anlässlich der Verleihung des Negativpreises »Dead Planet Award 2020« an den Konzernchef Jeffrey Bezos. Wir veröffentlichen daraus vorab einen Ausschnitt über die Ausbeutungsmethoden des Versandhändlers und danken der Stiftung und ihrem Geschäftsführer Niklas Hoves für die freundliche Genehmigung zum Abdruck. Das Geschäftsmodell von Amazon steht auch im Zentrum des Podiumsgesprächs auf der XXVI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 9. Januar 2021, die von der »Ethecon-Stiftung« unterstützt wird. Die Konferenz findet unter jungewelt.de/rlk als Livestreamveranstaltung statt. (jW)

    Seit den 1990er Jahren lagern viele große Unternehmen wachsende Teile ihrer Arbeit an Fremdunternehmen mit geringeren Lohnkosten aus, was als »Outsourcing« bekannt ist. Amazon spitzte diese verstärkte Form der Ausbeutung weiter zu und verlagerte Teile seiner Entwicklungskosten online an einen Schwarm (»Crowdsourcing«) von Subunternehmen in Niedriglohnländern, selbstausbeuterische Startup-Unternehmen und selbst an freiwillige, völlig unbezahlte private Internetnutzer.

    Das gelang Amazon mit einer Plattform namens »Mechanical Turk« (M-Turk). Diese wurde als Entwicklungsplattform zur Abarbeitung von »Human Intelligence Tasks« (HITs, Programmieraufgaben) Ende 2005 ins Leben gerufen und erfreute sich innerhalb kürzester Zeit einer rasch ansteigenden Beachtung in der Entwicklerszene.¹ Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz erledigen nicht etwa Maschinen die Aufgaben von Menschen, sondern Menschen arbeiten ihnen von Computern gestellte Aufgaben ab.² Amazon führte so eine digitale Tagelöhnerei ein und kombinierte finsterste Arbeitsbedingungen mit elektronischer Komplettüberwachung. Amazon verkauft online Mikrojobs für Cent-Beträge. Das bedeutet Arbeit auf Zuruf, für Hungerlohn, auf eigenes Risiko und ohne jegliche soziale Absicherung.

    Einen großen Teil seiner digitalen Tagelöhner, die sich selbst als »Turker« bezeichnen, setzt Amazon in der Eigenwerbung und Marktmanipulation ein: »Einer Umfrage unter Turkern zufolge würden sie über 40 Prozent der angebotenen Arbeitsaufträge im weitesten Sinne als ›Spam‹ klassifizieren. Das umfasst das Einrichten von Fake-Accounts für E-Mail, Twitter, Facebook oder andere Webseiten, Captchas lösen, gefälschte Bewertungen für Produkte schreiben, Likes für Artikel und Videos verteilen. Alles geturkt«.³ So manipuliert Amazon die Öffentlichkeit.

    Ausbeutung in neuem Gewand

    Neben der digitalen kehrte mit Amazon »Flex« auch die altbekannte Tagelöhnerei im Bereich der Paketdienste zurück. Die miesen Arbeitsverhältnisse werden von der Unternehmerseite als »Gig-Economy« beschönigt.⁴ Dabei werden aus einzelnen Paketboten »Amazon-Flex-Lieferpartner« – Scheinselbständige. Amazon lobt die neuen Freiheiten dieser Arbeiterinnen und Arbeiter, ihre frei einteilbaren Arbeitszeiten und das hohe Maß an erforderlicher Selbstorganisation. Einzelne Arbeitspakete buchen die Tagelöhner über die Flex-App per Smartphone. Die Vermarktung dieser Scheinselbständigkeit als Flexibilität⁵ verschleiert, dass ihre Freiheit vor allem eine Freiheit von Absicherungen ist, die in regulären Beschäftigungsverhältnissen erkämpft und gesetzlich verankert worden sind: Kündigungsschutz, gesetzlicher Urlaub, Beiträge der Unternehmerseite zu Sozial- und Krankenversicherungen usw.

    Auch fallen den Lieferpartnerinnen und Lieferpartnern jede Menge Kosten an. Dazu gehören auch für den Lieferwagen zum Beispiel Benzin, Wartungskosten, Steuern und Versicherung sowie eine besondere Kfz-Versicherung, die gewerbliche Transportleistungen umfasst (da man rechtlich als »Frachtführer« für Schäden an der Ware haftet). Amazon empfiehlt noch zynisch den Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung.⁶

    Flex wurde 2015 im Umfeld der US-amerikanischen Amazon-Hauptzentrale in Seattle getestet. In den USA stehen Zustellblöcke von zwei, vier, acht und zwölf Stunden pro Tag zur Auswahl.⁷ Seit 2018 wurde das Flex-Partnerprogramm dann in Berlin eingeführt, als erstes deutsches »Feldexperiment« seiner Art zur Einführung US-amerikanischer, prekärer Arbeitsverhältnisse. Es folgten Flex-Offensiven in München, Frankfurt am Main, Hamburg und Mannheim. »Amazon Deutschland Transport Gesellschaft«, »Amazon City Logistik Alpha« oder »Amazon City Logistik Gamma« heißen neue Tochterfirmen, die quer durch Deutschland das Paketgeschäft durch firmenfremde Zusteller unterminieren. Die verfügbaren Zustellblöcke können von Woche zu Woche schwanken und werden nicht garantiert. Sie sollten nicht als Vollzeittätigkeit eingeplant werden, gibt Amazon selbst zu bedenken.

    Die Paketbranche in Deutschland stellt jährlich über 3,52 Milliarden Kurier-, Express- und Paketsendungen (KEP) zu⁸, der Bedarf an neuen Arbeitskräften ist riesengroß. Doch trotz steigender Nachfrage verschlechtern sich stetig die Arbeitsbedingungen der Zustellerinnen und Zusteller. Die Arbeit werde härter, Tagesmengen größer, und der Stundenlohn verharre auf dem gesetzlich erzwungenen Mindestlohnniveau. Gewerkschaften wie Verdi und die Branchengewerkschaft DPVKOM kritisieren diese Entwicklung scharf: »Dort, wo die Infrastruktur passt, vornehmlich in den Großstädten, stellt Amazon die Sendungen selbst zu. Den Rest dürfen dann DHL oder andere Zustelldienste übernehmen.« Da der Wettkampf ausschließlich über den Preis ausgetragen und der »Baustein zu weiterem Lohn- und Sozialdumping« führen würde, sei in der Gesamtrechnung am Ende – also nach Abzug der privat getragenen Ausgaben – nicht einmal mehr der Mindestlohn drin. Gleichzeitig sind Amazon und Co. nach Brancheninformationen nicht bereit dazu, mehr als zwei Euro pro Zustellung (teils deutlich weniger) an die klassischen KEP-Zustelldienste zu zahlen. Ein »Race to the bottom« (Unterbietungswettlauf) ist in vollem Gange.

    So werden konkurrierende Paketdienstleister und mit ihnen die regulären Beschäftigungsverhältnisse durch dauerhaftes Preis- und Lohndumping verdrängt. Amazon gibt vor, es gehe bei dem Subunternehmen Flex vorrangig um die kurzfristige Abfederung der Spitzenlasten des Weihnachtsgeschäftes. Doch langfristig geht es hier darum, als Plattform auch die Branchenkonditionen der Paketdienstleister diktieren, Tarifverträge weitläufig abbauen und die Marktführerschaft erlangen zu können.

    Die »Picker«

    Anders verläuft die Prekarisierung der Arbeit über die Amazon-Lagerhäuser. Die überwältigende Mehrheit der rund 840.000 direkt bei Amazon beschäftigten Arbeiterinnen und Arbeiter übt eine schablonenhafte, monotone Tätigkeit aus und erhält die niedrigsten gesetzlich zulässigen sozialen Sicherheiten. Sie haben oftmals keinen Kündigungsschutz, entgrenzte Arbeitszeiten, extrem prekäre Bedingungen am Arbeitsplatz und keinerlei Betriebsräte oder gewerkschaftliche Mitbestimmung.

    In Deutschland existieren 2020 14 Logistikzentren mit über 13.000 festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.⁹ Der Bad Hersfelder Amazon-Mitarbeiter Christian Krähling beschrieb die Arbeit wie folgt: »Der Job bei Amazon ist hart. Viele Kolleginnen und Kollegen sagen, sie fühlen sich dabei als Teil einer Maschine. Entsprechend hoch ist die Krankenquote (an manchen Tagen teilweise bis zu 20 Prozent und darüber). Muskel- und Skeletterkrankungen und psychische Erkrankungen sind dabei vorherrschend. Amazon arbeitet nach dem Prinzip ›Standard Work‹, das heißt alle Arbeitsprozesse werden nach bestimmten Regeln und an jedem Standort gleich durchgeführt. Das System nimmt dabei keine Rücksicht auf die Unterschiede unter den Menschen (das heißt zum Beispiel ein kleinerer Mensch arbeitet an einem Tisch, der für ihn eigentlich nicht geeignet ist, oder ein älterer Kollege muss genauso viel kommissionieren wie ein jüngerer usw.) Viele Kolleginnen und Kollegen haben innerlich gekündigt. Ein großer Teil der deutschlandweit bei Amazon beschäftigten Kolleginnen und Kollegen wird nur befristet eingestellt, viele bis zu zwei Jahren – und nicht, wie die Geschäftsleitung sagt, nur zu Saisonzeiten. Doch wer befristet ist, kann sein Leben nicht planen.«¹⁰

    Und selbst diese üblen Arbeitsplätze werden immer rarer und zunehmend durch Maschinen automatisiert. Ein Beispiel dafür gibt die neueste Robot-Generation, genannt »Handle« (Griffroboter). Die speziell für den Einsatz im Logistikbereich entwickelten Roboter des Robotikunternehmens Boston Dynamics, das auch das US-Militär ausrüstet, können bis zu 15 Kilogramm schwere Pakete anheben und verfrachten. In immer geringerem Umfang ist menschliche Arbeit für die manuellen Tätigkeiten in den Lagerhäusern noch nötig.

    Es wird in drei Schichten gearbeitet. Die Rationalisierung bringt neben Effizienz auch fade Eintönigkeit im Arbeitsleben der Schichtarbeiterinnen und -arbeiter mit sich. Die monotone Arbeit, die zum Beispiel in der Kommissionierung (dem Zusammensuchen und Zusammenstellen von Artikeln aus dem Lager) verrichtet wird, nennt sich »picking« (engl. für »pflücken«). Dementsprechend werden die Lagerarbeiterinnen und -arbeiter dort von Amazon auch als »Picker« bezeichnet. Sie picken sämtliche Versandartikel jeweils einer Bestellung aus den Regalen heraus und geben sie in einen Behälter – wie bei einer Obsternte. Über die Versandabteilung, in der die Behälter mit den vorher angesammelten Artikeln per Hand in Kartons verpackt werden, geht es direkt in den Warenausgang und von dort über vollautomatisierte Förderbänder zu den Verladestationen. Das Verhältnis von eingesetzten Robotern zu menschlichen Beschäftigten beträgt aktuell etwa eins zu vier.¹¹

    Bei den extrem prekären Stundenlöhnen und den immer wieder geschilderten verheerenden Arbeitsbedingungen sollen freie Getränke (Wasser, Kaffee, Tee) und erfolgsabhängige Prämien locken. Die Prämien im Falle »entsprechender Zielerreichung« bedeuten nichts anderes als Akkordarbeit.¹²

    Während Amazon sich selbst als Logistikunternehmen bezeichnet und behauptet, sich in Deutschland am Tarifvertrag für Logistikunternehmen zu orientieren, entzieht sich der Konzern tatsächlich der Tarifbindung und wendet überhaupt keinen Tarifvertrag an. Weder den des Einzelhandels noch den deutlich niedrigeren der Logistikbranche. Tatsächlich vernichtet Amazon in großem Stil tarifgebundene Arbeitsplätze im Einzelhandel und ersetzt sie durch wenige Logistikarbeitsplätze.¹³ Gleichzeitig predigt Amazon wie kaum ein anderes Unternehmen seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine neoliberale Ideologie und schiebt ihnen damit selbst die Verantwortung für diese objektive Verschlechterung der Lage der Arbeiterschaft in die Schuhe.

    Union Busting

    Angriffe auf die psychische Gesundheit der Arbeiterinnen und Arbeiter und die Untergrabung ihrer gewerkschaftlichen Betätigung gehören zu den Grundlagen des Erfolgs und zum Kern der Strategie von Amazon. Seine Logistikzentren baut Amazon gezielt an Orten mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit, um so den Druck auf die Beschäftigten zu erhöhen.

    Kolleginnen und Kollegen berichten außerdem von einem Klima der Denunziation und der totalen Überwachung. Wer eine Minute Pause einlegt, wird als »Underperformer« (jemand, der unterdurchschnittliche Leistung erbringt) gebrandmarkt. Eine extrem weitgehende technische Überwachung wird durch ein System sozialer Kontrolle ergänzt. Vorgesetzte (»Leads« und »Area Manager«) zitieren jede und jeden zum Gespräch, die oder der nicht schnell genug ist oder Pausen einlegt. In »Inaktivitätsprotokollen« wurde etwa 2014 vermerkt, dass eine Arbeiterin »von 07:13 bis 07:14 inaktiv« war. Sie wurde darüber belehrt, ihre »arbeitsvertragliche Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung verletzt« zu haben.¹⁴

    In Großbritannien, wo Amazon 1998 sein erstes Distributionszentrum eröffnet hatte, organisierten sich Kolleginnen und Kollegen seit 2001 in der britischen Druckergewerkschaft »Graphical, Paper and Media Union« (GPMU). Nachdem sich die Unternehmensleitung von Amazon zunächst zu Gesprächen bereit erklärt hatte, zog sie überraschend alle Register und ging mit äußerster Härte gegen die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter vor. Alle Beschäftigten wurden zu persönlichen Gesprächen zitiert, GPMU-Austrittserklärungen wurden ihnen auf Amazon-Briefpapier zur Unterzeichnung vorgelegt, und führende Gewerkschaftsmitglieder wurden entlassen. Es dauerte mehr als zehn Jahre, bis eine britische Gewerkschaft wieder bei Amazon Fuß fassen konnte.

    Anhebende Gegenwehr

    Am 9. April 2013 – nach fast 20jähriger Geschäftstätigkeit – sah sich der Konzern überhaupt erstmals mit einem Streik konfrontiert. Und das nicht etwa in seinem Stammland, den USA, sondern in Deutschland. Seitdem kämpfen die Kolleginnen und Kollegen mit ihrer Gewerkschaft Verdi für den Abschluss eines Tarifvertrages unter dem Motto »Gute und gesunde Arbeit« und die Anerkennung der regionalen Flächentarifverträge des Einzel- und Versandhandels, um so dauerhaft höhere Löhne durchzusetzen.¹⁵ Sie streiken immer wieder an sechs deutschen Amazon-Standorten: an zwei Standorten in Bad Hersfeld, in Leipzig, Rheinberg, Werne und Koblenz (mittlerweile wird an weiteren Standorten gestreikt, unter anderem in Graben bei Augsburg, siehe junge Welt vom 17.12.). Amazon verweigert jedes Zugeständnis, reagiert statt dessen mit Angriffen und Einschüchterungen auf Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter und weigert sich bis heute, Tarifverhandlungen zu führen. Die Unternehmensleitung verkündete, dass die Streiks »keine Auswirkungen auf die Einhaltung des Lieferversprechens« hätten. Tatsächlich war es Amazon immer wieder gelungen, Lieferausfälle durch Streiks an einzelnen Standorten zu ersetzen und die Offensiven der Kolleginnen und Kollegen weitgehend ins Leere laufen zu lassen. So wurde beispielsweise ein Versandzentrum in Polen eröffnet, um im Falle koordinierter, deutschlandweiter Streiks aus dem nahen Ausland liefern zu können.

    Doch mittlerweile kommt es auch in Frankreich und Polen zu Streiks. In Frankreich konnte sogar ein 13. Monatsgehalt erkämpft werden. Die Kolleginnen und Kollegen im polnischen Poznan protestierten in Solidarität mit den streikenden deutschen Kolleginnen und Kollegen, sie wollten sich nicht zu Streikbrechern machen lassen. Dieses Beispiel internationaler Solidarität gilt vielen als Auftakt eines grenzüberschreitenden Arbeitskampfs bei Amazon. Zwar konnten auch in Deutschland schon einige Verbesserungen der Arbeitsbedingungen erkämpft werden – so etwa hygienische Verbesserungen, Wasserspender, Luftkühlanlagen, dezentrale Pausenräume und Kantinen mit eigenen Küchen. Doch Tarifverhandlungen mit Gewerkschaften und Mitbestimmung durch Betriebsräte verweigert Amazon nach wie vor und bedroht so die Rechte, die sich die Arbeiterbewegung über mehr als hundert Jahre erkämpft hat.

    Der Arbeitskampf bei Amazon in Deutschland hat sich zu einer richtungsweisenden Auseinandersetzung entwickelt. Er macht deutlich, dass im Fall eines Konzerns nationale Alleingänge bei Arbeitskämpfen den Beschäftigten nicht helfen. Nur wenn die Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland, Polen, Frankreich, den USA – und letztlich noch weit darüber hinaus – sich gut koordinieren und organisieren, wird es ihnen gelingen, der Schinderei die Stirn zu bieten. Dabei geht es um nicht weniger als um die Arbeitsverhältnisse der Zukunft.¹⁶

    Anmerkungen:

    1 Der Name geht zurück auf einen schachspielenden Automaten, auch »Schachtürke« genannt, eine Jahrmarktattraktion Mitte des 18. Jahrhunderts. Es war eine Maschine, die vorgeblich Schach spielen konnte und Prominente wie Napoleon Bonaparte und Benjamin Franklin besiegt haben soll. Tatsächlich saß aber ein Mensch in der Apparatur versteckt und führte die Schachzüge aus. Vgl. https://bigbrotherawards.de/2015/wirtschaft-amazon-mechanical-turk-elance-o-desk

    2 Das Projekt erhielt 2015 auch den Schmähpreis »Big Brother Award« in der Kategorie Wirtschaft.

    3 Vgl. https://bigbrotherawards.de/2015/wirtschaft-amazon-mechanical-turk-elance-o-desk

    4 »Gig Economy« bezeichnet laut Wikipedia »einen Teil des Arbeitsmarktes, bei dem kleine Aufträge kurzfristig an unabhängige Selbständige, Freiberufler oder geringfügig Beschäftigte vergeben werden. Dabei dient häufig eine Onlineplattform als Mittler zwischen Kunde und Auftragnehmer.«

    5 Vgl. https://www.amazon-flex.de/en

    6 Laut Rechtsanwalt Christian Solmecke müssen sich Flex-Partner in Deutschland auch bei der Bundesnetzagentur registrieren lassen (nach Paragraph 36 Postgesetz, Anzeigepflichtigkeit von Postdienstleistern). Vgl. https://www.wbs-law.de/allgemein/amazon-flex-startet-in-deutschland-was-bedeutet-der-neue-lieferdienst-fuer-kunden-und-lieferanten-23316

    7 Vgl. www.logistik-watchblog.de/neuheiten/1251-privatpersonen-paketboten-amazon-flex-berlin.html

    8 Angabe des Branchenverbandes BIEK zum Geschäftsjahr 2019. Vgl.: https://www.biek.de/kep-branche/zahlen-und-fakten.html

    9 Logistikzentren von Amazon existieren in Deutschland in Bad Hersfeld, Berlin, Dortmund, Frankenthal (Pfalz), Graben, Koblenz, Leipzig, Mönchengladbach, Oelde, Pforzheim, Rheinberg, Werne, Winsen und Sülzetal (Magdeburg).

    10 Zitiert nach dem Aufruf »Behandeln Sie die Amazon-Mitarbeiter/innen fair!«, online unter: www.verdi.de/themen/geld-tarif/amazon

    11 840.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei gut 200.000 Robotersystemen; vgl. https://www.revuefy.com/amazon-statistics

    12 Vgl. www.amazon.jobs/de/landing_pages/versandMitarbeiter

    13 Vgl. Jörn Boewe und Johannes Schulten: Der lange Kampf der Amazon-Beschäftigten. Labor des Widerstands: Globale gewerkschaftliche Organisierung im Onlinehandel. Online unter: www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Analysen/Analysen57_Amazon.pdf

    14 Vgl. ebd., S. 13

    15 Vgl. Süddeutsche Zeitung, 28.6.2020

    16 Die Kolleginnen und Kollegen, die bei Amazon »picken« und »packen«, haben bereits große Kreativität gezeigt und bemühen sich, den Strategien des Union Bustings entgegenzuwirken. Sie kämpften mit unangekündigten Streiks, Blockaden der Zu- und Abfahrtswege sowie dezentralen Aktionen, der »Taktik der tausend Nadelstiche«. Besonders das Weihnachtsgeschäft, in dem Amazon ein Drittel seines Umsatzes macht, bietet immer wieder Gelegenheiten zum Arbeitskampf. Vgl. junge Welt, 11.12.2019

  • 18.12.2020 19:30 Uhr

    Amazon-Direktor diskutiert mit Gewerkschaftern

    #RLK2021: Wie wir trotz Corona und alledem kämpferisch ins neue Jahr starten können
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    Aktivisten von »Berlin vs. Amazon« protestieren an der Baustelle des Amazon-Towers am Donnerstag in Berlin

    Wenn am 9. Januar 2021 in Berlin die Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz veranstaltet wird, treffen dort Kommunisten aus Venezuela und dem Libanon, Manager und Wissenschaftler aus den USA und Italien und Musiker aus Burkina Faso und München aufeinander. Jetzt steht auch die Runde für die abschließende Podiumsdiskussion (gegen 18.30 Uhr) fest, die auf der kommenden Konferenz ein weiterer Höhepunkt sein wird.

    Maßnahmen gegen das Pandemiegeschehen verhindern, dass – wie sonst üblich – über 3.000 Menschen in Berlin auf der 26. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz gemeinsam kämpferisch ins neue Jahr starten können. Aber weder Kapital noch Corona können verhindern, dass die kommende Konferenz eine kollektive Manifestation gegen Ausbeutung und Unterdrückung werden wird – womöglich mit mehr teilnehmenden Menschen als jemals zuvor. Denn jeder kann weltweit live dabei sein, wenn Softwareentwickler Timothy Bray, bis April 2020 Vizepräsident und »Distinguished Engineer« bei Amazon Web Services (AWS), mit Mitarbeitern des Konzerns und Gewerkschaftern aus Spanien, Italien und Deutschland über Formen von Ausbeutung und Widerstand beim Konzernriesen Amazon diskutiert. Bray gab zum 1. Mai 2020 seine führende Stellung im Konzern aus Protest auf: Whistleblower wurden wegen ihrer Veröffentlichung von Zuständen bei Amazon in Coronazeiten auf die Straße geschmissen.

    Die Konferenz widmet sich zudem Beispielen, wie mit Folgen der Coronapandemie auch sozial und solidarisch umgangen werden kann. Janohi Rosas, Generalsekretärin der Kommunistischen Jugend Venezuelas, berichtet über gegenseitigen Beistand und den Kampf der Völker Lateinamerikas für Unabhängigkeit. Aus Kuba berichtet Enrique Ubieta Gómez, Direktor der Theoriezeitschrift Cuba Socialista, über die sozialistische Gesellschaftsordnung als Alternative zur kapitalistischen Ausbeutung gerade in Coronazeiten. Weitere namhafte Wissenschaftler und Kulturschaffende aus aller Welt kommen tagsüber auf der Konferenz zu Wort und Ton. So wird sich aus Burkina Faso der Musiker Ezé Wendtoin melden. Auch der Münchener Liedermacher Konstantin Wecker trägt zum Gelingen der Konferenz bei.

    Um möglichst viele Menschen weltweit zu erreichen, kann dank Simultanübersetzung die Veranstaltung in drei Sprachen (Deutsch, Englisch, Spanisch) mitverfolgt werden. Damit die Konferenz auch außerhalb des deutschsprachigen Raumes besser wahrzunehmen ist, wird sie von verschiedenen befreundeten Plattformen in Europa, Südamerika, Australien und den USA live gestreamt. Die dafür beste technische Qualität für die Übertragung zu sichern, bedeutet für junge Welt und Melodie & Rhythmus (Veranstalter) und zur Zeit 34 unterstützende Medien und Organisationen einen erheblichen finanziellen Aufwand. Gleichzeitig fehlen aber die sonst üblichen Eintrittsgelder und Standgebühren auf der Einnahmenseite. Und weil wir absichern wollen, dass die Liveübertragung weltweit völlig kostenfrei mitverfolgt werden kann, sind wir dringend auf Spenden zur Finanzierung der Konferenz angewiesen. Das kann einfach durch die Überweisung einer Spende auf das unten angegebene Spendenkonto erfolgen. Es besteht zudem die Möglichkeit, Unterstützertickets zu bestellen. Je nach Spendenhöhe gibt es ab fünf Euro Spende eine Karte und zusätzlich einen Motivmagneten bzw. die Konferenzbroschüre, die voraussichtlich im März 2021 erscheinen wird. Viele unserer Leserinnen und Leser haben diese Möglichkeit schon genutzt, noch aber sind die Kosten, die sich auf insgesamt etwa 40.000 Euro belaufen werden, nicht gedeckt.

    Um die Konferenz zum großen Erfolg werden zu lassen, reichen allerdings ein tolles Programm, hervorragende Technik und deren Finanzierung nicht aus. Wir brauchen die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser auch beim Bewerben der Veranstaltung! Jetzt kommt es darauf an, viele Menschen einzuladen, am Sonnabend, den 9. Januar 2021, von 10.30 bis 20 Uhr die Konferenz zu Hause oder in kleinen Gruppen mitzuverfolgen. Dazu muss aber erst einmal bekannt sein, dass es diese Konferenz gibt und dass man an ihr kostenlos von zu Hause aus teilnehmen kann: Unser Aktionsbüro stellt dafür Plakate, Flyer und Aufkleber zur Verfügung, die vor Ort verteilt werden können. Besonders wichtig ist in diesem Jahr die Onlinewerbung: Erzählen Sie Ihren Internetfreunden von der Konferenz und helfen Sie mit, dass sich bei ihnen der Termin (9.1.2020) und der Link, unter dem man der Konferenz kostenlos folgen kann, einprägen (jungewelt.de/rlk). Dazu stellen wir verschiedene Bannerformen zur Verfügung. Spätestens in der jW-Ausgabe vom 2. Januar 2021 werden wir das komplette Programm mit genauer Zeitangabe bekanntgeben.

    Von Ausbeutungsverhältnissen und Coronazwängen lassen wir uns nicht daran hindern, gemeinsam, kraftvoll, kämpferisch und internationalistisch das neue Jahr zu beginnen!

    Verlag, Redaktion und Genossenschaft junge Welt/Melodie & Rhythmus

  • 17.12.2020 19:30 Uhr

    »Den kämpferischen Charakter zurückgeben«

    Venezuela: Zur eigenständigen Kandidatur der »Revolutionären Volksalternative« bei der Parlamentswahl. Ein Gespräch mit Janohi Rosas
    Julieta Daza
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    Janohi Rosas, Generalsekretärin der Kommunistischen Jugend Venezuelas

    Am 6. Dezember wurde in Venezuela eine neue Nationalversammlung gewählt. Sie traten als Teil der »Revolutionären Volksalternative« (APR) an. Welche Ziele wurden mit der eigenständigen Kandidatur verfolgt?

    Wir wollten die Nationalversammlung für die städtischen und ländlichen Arbeiter zurückgewinnen. Es ging uns darum, ihrem Kampf für höhere Löhne und angemessene Sozialleistungen eine Stimme zu geben und eine revolutionäre Perspektive anzubieten. Denn die kapitalistische Krise bedarf einer revolutionären Lösung. Mit unserem Wahlkampf sind wir sehr zufrieden. Wir haben an Rückhalt gewonnen, trotz antikommunistischer Hetze und der Zensur durch private und teils auch öffentliche Medien, der wir in den vergangenen Monaten ausgesetzt gewesen sind.

    Die eigenständige Kandidatur der »Revolutionären Volksalternative« hat sich also gelohnt?

    Ja, denn wir konnten uns einerseits von reformistischen Kreisen innerhalb der Regierungspartei PSUV abgrenzen. Andererseits haben wir es geschafft, unterschiedliche Kräfte wieder zusammenzubringen, so zum Beispiel aus der Arbeiter- und Kommunenbewegung, Bauern, Revolutionäre, Antiimperialisten und Anhänger des Vermächtnisses von Hugo Chávez. Unter widrigen Bedingungen konnten wir die »Revolutionäre Volksalternative« aufbauen. Nun geht es darum, die in der Vergangenheit erreichten Errungenschaften zu verteidigen, die heute teilweise wieder in Gefahr sind.

    Wichtig ist außerdem zu betonen, dass einige rechte und sozialdemokratische Parteien, die viel Geld in den Wahlkampf gesteckt haben, es nicht in das Parlament geschafft haben. Die APR hingegen hat als unabhängige und von Zensur betroffene Kraft mit einem Wahlkampf, der mit bescheidenen Mitteln finanziert wurde, eine würdige Vertretung in der Nationalversammlung für die Legislaturperiode 2021 bis 2026 gewinnen können.

    Was bedeutet das für das neu zusammengesetzte Parlament?

    Politische Minderheiten sind trotzdem ungenügend vertreten. Wir haben die Befürchtung, dass die Nationalversammlung trotz des Sieges über die rechte Opposition weiterhin im Dienste des nationalen und transnationalen Kapitals agieren wird. Das würde unsere Arbeit im Parlament mühsam machen. Statt dessen muss die Nationalversammlung wieder zu ihrer eigentlichen Aufgabe zurückfinden, alle Handlungen des Staates ständig zu überprüfen, wie es nach der bolivarischen Revolution der Fall gewesen ist. Auch die auf Solidarität beruhenden Beziehungen mit den Bevölkerungen anderer Länder, die wie wir imperialistischen Aggressionen ausgesetzt sind, müssen wieder vertieft werden.

    Wie müsste eine solche solidarische Beziehung zu den aktuell in Lateinamerika und in der Karibik kämpfenden Völkern aussehen?

    Die Nationalversammlung muss sich den Kämpfen um Würde anschließen, die heute von unseren Schwestern und Brüdern der lateinamerikanischen und karibischen Völker geführt werden. Wir möchten der Nationalversammlung ihren kämpferischen und solidarischen Charakter zurückgeben. Das ist für uns Kommunisten und Angehörige der APR von enormer Bedeutung.

    Die sogenannte internationale Gemeinschaft, allen voran die Vereinigten Staaten sowie die Europäische Union, hat die Parlamentswahlen von vornherein als »gefälscht« bezeichnet und erkennt ihr Ergebnis nicht an.

    Der Westen muss aufhören, sich in die Angelegenheiten anderer Länder einzumischen. Wir fordern nationale Souveränität und Unabhängigkeit sowie unser Recht auf Selbstbestimmung. Die Entscheidung der Venezolaner und Venezolanerinnen muss respektiert werden, ohne jegliche Einmischung, die zudem extrem dreist ist.

  • 16.12.2020 19:30 Uhr

    »Wir sind hier und mischen uns ein«

    Über deutsche Wörter, politische Musik und eine neue Schule in Burkina Faso. Gespräch mit Ezé Wendtoin
    Alexander Reich, Michael Saager
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    »Dann sprang der Funke über« – Ezé Wendtoin im Juni 2016 beim »Eine-Welt-Festival« in Berlin

    Sie stammen aus einer Familie von Trommlern, Pfarrern und Schmieden in Burkina Faso. Wie kamen Sie darauf, in der Hauptstadt Ouagadougou Germanistik zu studieren?

    Die deutsche Sprache ist spielerisch, witzig und herausfordernd. Ich kenne keine andere Sprache, die Komposita wie »Dreifingerfaultierentspannungsmassagepraxis« zu bilden erlaubt. Vor meinem ersten Deutschunterricht in der Schule hatte ich meinen besten Kumpel Deutsch sprechen hören. Damals klangen die Wörter für mich fremd, ungewöhnlich und komisch. Dann sprang der Funke über. Ich lernte die deutsche Sprache aus reiner Faszination und Leidenschaft. Aus demselben Grund studierte ich später Germanistik. Mitschüler riefen mir manchmal spöttisch zu, dass das Leben zu kurz sei, um Deutsch zu lernen. Ich antwortete: Deswegen haben die Deutschen eine hohe Lebenserwartung. Gott gab ihnen genug Zeit, damit sie erst mal ihre Muttersprache sprechen und denken lernen, bevor sie zum Leben kommen.

    2016 setzten Sie das Germanistikstudium an der TU Dresden fort, wie kam es dazu?

    Neben meinem Bachelorstudium in Burkina Faso war ich Musiker, Dolmetscher und Deutschlehrer in Privatschulen in Ouagadougou. 2013 machte ich den Bachelor und hatte dank eines gewonnenen Musikwettbewerbs die Möglichkeit, für Konzerte nach Frankreich zu reisen. Ich ergriff die Gelegenheit, mein Traumland zu besuchen und spielte in Dresden bei der Bunten Republik Neustadt am Stand von Afropa e. V., das war ein besonderer Moment für mich. In der Zeit starb mein Vater in Burkina. Ich flog zurück und habe hart gearbeitet, um mich und meine Familie über Wasser halten zu können.

    Da ich in Burkina damals keinen Master absolvieren konnte, bewarb ich mich um ein Masterstudium in Dresden. Meine heutige Gastfamilie in Dresden unterstützte mich sehr, aber der Kampf mit der deutschen Bürokratie dauerte drei Jahre, bis 2016. Für ein Studium müssen Menschen aus Nicht-EU-Ländern, zum Beispiel ein Konto mit 8.000 Euro Guthaben vorweisen können. Das ist natürlich eine sehr große Hürde für viele junge Menschen.

    Welche Erfahrungen mit Rassismus haben Sie in Deutschland über die Jahre gemacht?

    Rassismus hat mit Trauma und Schmerzen zu tun. Das scheint für viele unverständlich zu sein. Rassismus ist nie orts- und zeitgebunden. Er ist überall, jeden Tag, in Gesprächen, in Begegnungen, in unerwarteten Momenten. Meine Rassismuserfahrungen verarbeite ich in meinem Schreiben, meiner Musik und vor allem im Austausch mit Menschen, die bereit sind, mir zuzuhören und mich zu verstehen. Von Rassismuserfahrungen in der Öffentlichkeit zu sprechen, ist in Worten von Noah Sow ein »Elendsporno« für andere Menschen. Nicht jede oder jeder Betroffene ist in der Lage, diese Erfahrungen zu teilen. Letztendlich gibt es kollektive Rassismuserfahrungen, die nicht von einzelnen Stimmen immer wieder aufs neue bestätigt werden müssen. Das Ziel sollte sein, eine tiefe Veränderung in der Gesellschaft anzustoßen. So müsste meiner Ansicht nach beispielsweise ein Gesetz her, das regelmäßige Untersuchungen zu Racial Profiling und rechten Strukturen bei der Polizei verpflichtend macht. Auch die Überprüfung von Lern- und Lehrmaterialien in deutschen Schulen halte ich für zwingend notwendig.

    Ich frage mich manchmal, was der Begriff »deutsche Leitkultur« eigentlich bedeutet. Deutschland ist eine »postmigrantische Gesellschaft«, ein Begriff von Naika Foroutan. Ein Drittel der deutschen Bevölkerung hat eine Migrationsgeschichte. Wir sind jetzt hier, mischen uns ein, prägen die Gesellschaft und bleiben auch hier.

    Im Frühjahr 2019 stand Ihr Name auf einmal in allen Zeitungen. Grund war die Nachricht der Deutschen Presseagentur, das Video zu Ihrem Konstantin-Wecker-Coversong »Sage nein!« erhalte »viel Beachtung in den sozialen Netzwerken«. Wie hat sich das auf Ihre Laufbahn, Ihre Einstellung zur Musik ausgewirkt?

    Den Erfolg meines Covers »Sage nein« habe ich meinem Seelenbruder Christian Suhr zu verdanken, der mich filmisch unterstützt. Die vielfältige Beteiligung vieler Menschen an dem Video und die Beteiligung von Konstantin Wecker selbst haben dem Lied einen krassen Schwung gegeben. »Sage nein« hat mir gezeigt, dass Kunst beziehungsweise Musik nicht unpolitisch sein muss. Musik bewegt, stärkt, zeigt die rote Linie, verbindet. Die Musik und das Texten sind meine aktuelle Therapie, auch in der Auseinandersetzung mit meinen eigenen Erfahrungen in Deutschland.

    In der Rezension zu Ihrem aktuellen Album »Inzwischen dazwischen« in der Süddeutschen Zeitung (11.8.2019) hieß es, dass Deutsch nicht Ihre Muttersprache sei, würde Ihre Kreativität beim Texten ankurbeln und zu interessanten Lösungen führen. Ist da was dran?

    Ich finde die Fusion verschiedener Elemente aufregend und bereichernd. Gewisse deutsche Lieder sind super geeignet für bestimmte Rhythmen und Klänge aus Burkina. Es wird spannend, wenn mensch die deutsche Sprache, die an sich schon komplex genug ist, mit gewissen Rhythmen vermischt. Mir macht das Spaß. Das Produkt meiner Kreativität ist einfach stark von meiner Herkunft, meinen aktuellen Erfahrungen geprägt. Heimat und Identitäten sind und bleiben ein Prozess.

    Seinen Namen hat Burkina Faso, das »Land der Gerechten«, von dem sozialistischen Präsidenten Thomas Sankara, einem Befreiungshelden, der 1987 bei einem Putsch ermordet wurde. Er hat auch die Nationalhymne des Landes geschrieben. Haben Sie Lieder von Sankara im Repertoire?

    Nicht direkt, aber sein Geist ist vielleicht auf meinen Platten spürbar. Ich denke, der Kampf von Thomas Sankara prägt bis heute stark die burkinische Gesellschaft, und sein Geist lebt in dem Wirken von vielen Jugendlichen.

    Unter Sankara wurde auch das Bildungswesen stark ausgebaut, wovon das Land lange sehr profitiert hat. Sie haben vor etwa fünf Jahren ein Schulprojekt in Burkina Faso initiiert. Was machen Sie da genau? Welche Hoffnungen verbinden Sie damit?

    Das Projekt ist im Dorf Gueswendé, etwa 30 Kilometer von Ouagadougou entfernt. Ich arbeite sehr gerne mit Kindern. Bildung, ökologische Landwirtschaft, Klimabewusstsein, Empowerment durch Kunst sowie die Ausbildung von jungen Frauen sind unsere Schwerpunkte. Ich denke, diese Themen sind weltweit Schlüssel für die Entfaltung der Menschen und eine nachhaltige Entwicklung.

    Eines meiner Workshop-Konzepte in Deutschland heißt »Afrika ist kein Land«. Ich bin da in Schulen, Kitas und Werkstätten für Menschen mit Behinderung unterwegs mit Musik, Bodypercussion, Gesang und direktem Austausch. Mit dieser Bildungsarbeit habe ich in Burkina begonnen, und 2014 wurde daraus der Traum von diesem Schulprojekt.

    Im November wurden in Gueswendé die ersten Schulgebäude in ökologischer Bauweise errichtet. Ich bin sehr stolz auf die Unterstützer in Deutschland und auf das lokale Kollektiv von Musikern und unterschiedlichen Künstlerinnen und Künstlern in Burkina, die das Ganze sehr engagiert vor Ort umsetzen. Die Schule soll im kommenden Oktober eröffnet werden. Ich lade alle Interessierten ein, unserem deutschen Verein Tam e. V. – www. tam-verein.de – beizutreten, um die Initiativen in Burkina zu unterstützen. Natürlich freuen wir uns auch über Spenden.

  • 04.12.2020 19:30 Uhr

    Neues RLK-Format

    Am 9. Januar 2021 werden sich Tausende vor den Bildschirmen versammeln
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    Der Journalist und politische Gefangene Mumia Abu-Jamal, seit 38 Jahren unschuldig in den USA inhaftiert, hält seit 1998 jedes Jahr auf der Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz (RLK) eine Ansprache. Auch am 9. Januar 2021 wird dies so sein, aber wahrscheinlich kann er – zum ersten Mal – nicht selbst sprechen: Die Gefängnisleitung schränkt wegen der Pandemie die Kommunikation der Häftlinge hart ein. Für solche Fälle muss das RLK-Vorbereitungskollektiv einen Plan B in der Tasche haben: Über das deutsche Free-Mumia-Bündnis wird deshalb Angela Davis angefragt, ob sie Mumias Text für die Konferenz sprechen könnte. Aber auch Colin Kaepernick, ein American-Football-Spieler, ist für diese Aufgabe im Gespräch.

    Sie sehen, wir gehen für die nächste Konferenz auf Nummer sicher! Denn diesmal findet sie in ungewohntem Format statt. Zur Zeit wird der Regieplan präzisiert und alle Details mit unseren Gästen, aber auch Film- und Streamingpartnern durchgesprochen. Wir wollen beste Qualität, auch weil diese Konferenz in Nord- und Lateinamerika, in Europa, Indien und Australien von verschiedenen Partnern live gesendet wird. Das entspricht unserem Wunsch, trotz Coronaeinschränkungen am 9. Januar 2021 ein riesiges kollektives internationales Erlebnis zu ermöglichen, zu dem wir auch Sie einladen möchten. Das geht bequem am heimischen Bildschirm, es bilden sich aber auch erste kleinere und größere Kollektive, die den RLK-Live­stream gemeinsam anschauen wollen, so in Trier, Osnabrück und Berlin.

    Auch wenn für die kommende Konferenz keine teure Veranstaltungslocation angemietet werden muss, sind die Kosten hoch, wir rechnen mit bis zu 50.000 Euro. Da wir aber die RLK in diesem Jahr nicht mit Eintrittskarten und Standgebühren gegenfinanzieren können, sind wir auf Spenden angewiesen. Selbstverständlich darf jeder zuschauen, die Veranstaltung am 9. Januar 2021 kann also ohne Code oder Eintrittsbillett mitverfolgt werden. Wir bitten aber alle Zuschauerinnen und Zuschauer und andere RLK-Freunde um Spenden oder den Kauf von Unterstützerkarten. Neben einer schön gestalteten Karte gibt es dann ab einem bestimmten Betrag zusätzlich einen Magneten und die Broschüre der RLK 2021. Weitere Informationen zur Konferenz finden Sie unter www.jungewelt.de/rlk.

    RLK-Vorbereitungskollektiv

  • 01.12.2020 19:30 Uhr

    Spitzelkönig Amazon

    Onlinegigant überwacht Arbeiter mit spezieller Software. Landesdatenschutzbeauftragte Niedersachsens greift ein. Verdi warnt vor »demokratiefreier Konzernzone«
    Oliver Rast
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    Das Geschäftsmodell Amazon: Überausbeutung kombiniert mit Kontrollwahn

    Das Business läuft bestens für den Krisengewinnler Amazon. Sand ins Getriebe des Onlinegiganten indes streuen seit mehreren Tagen Beschäftigte. Die streiken hierzulande in mehreren Versandzentren, kämpfen um einen Tarifvertrag, drücken die Profitrate, minimal zumindest (siehe jW vom 1.12.). Neben renitenten Arbeitern bedrängen nun auch Datenschützer den Konzern.

    Mit gutem Grund: Amazon wird bereits seit Jahren für den Einsatz von Überwachungstechnologie in seinen Warenumschlagpunkten kritisiert. Nach Berichten von Tagesschau.de vom Dienstag schlägt die niedersächsische Landesbeauftragte für Datenschutz, Barbara Thiel, Alarm. Der Vorwurf: Mit einer speziellen Software kann die Arbeitsleistung der Beschäftigten offenbar ohne Unterlass kontrolliert werden.

    Zuerst berichtete das ARD-Magazin »Panorama« im Oktober darüber. Konkret sieht das so aus: Ein Amazon-Arbeiter scannt eine Ware, die er einlagert, heraussucht oder versandfertig macht. Hierbei geht es vor allem um eines: Tempo. Dieser Scanvorgang wird auf die Sekunde erfasst und dem Vorarbeiter angezeigt. Lässt bei einem unter Dauerstress stehenden Beschäftigten die Kondition, sprich Arbeitsleistung nach, registriert der Vorarbeiter dies sofort auf seinem Display – und schreitet gegebenenfalls ein.

    Ein Amazon-Arbeiter aus Leipzig, der anonym bleiben will, bestätigte am Dienstag gegenüber jW: »Die betriebsinterne Überwachung soll uns disziplinieren, ganz klar.« Würden bestimmte von der Geschäftsführung festgelegte Effizienzkriterien von einzelnen Beschäftigten nicht erfüllt, suchten Manager, die ständig in den Hallengängen auf und ab laufen, rasch das Gespräch mit ihnen. »Alle sollen sich beobachtet fühlen«, so der Logistikarbeiter.

    Die Landesdatenschutzbeauftragte Thiel bestätigte laut Tagesschau.de gegenüber »Panorama«, man habe dem Amazon-Standort im niedersächsischen Winsen untersagt, »ununterbrochen jeweils aktuelle und minutengenaue Quantitäts- und Qualitätsleistungsdaten ihrer Beschäftigten zu erheben und diese zu nutzen«. Amazon wirkt gelassen. »In dem uns vorliegenden Bescheid hält die Behörde fest, dass wir nicht daran gehindert sind, die bestehenden Softwaresysteme weiter zu nutzen«, teilte ein Konzernsprecher auf jW-Nachfrage am Dienstag mit. Offene Fragen zur Datenerhebung würden nun gerichtlich geklärt.

    Erst kürzlich wurde bekannt, dass Amazon das berüchtigte US-Sicherheitsdienstunternehmen Pinkerton engagiert, um Umweltschützer und Gewerkschafter zu observieren (siehe jW vom 26.11.). Niklas Hoves, Geschäftsführer von Ethecon – Stiftung Ethik und Ökonomie, sagte am Dienstag gegenüber jW: »Das Geschäftsmodell von Jeff Bezos basiert nicht nur auf Ausbeutung der Beschäftigten, sondern gleichermaßen auf hemmungsloser Spitzelei.« Nicht nur deshalb erhielt der Amazon-Boss jüngst den Stiftungspreis »Dead Planet Award«, einen Negativpreis für »hervorragende Verdienste« um den Ruin von Umwelt und Arbeitswelt.

    Auch Verdi schaltet sich ein. Orhan Akman, bei der Gewerkschaft zuständig für den Einzel- und Versandhandel, erklärte am Dienstag im jW-Gespräch: »Amazon agiert wie ein kontrollgetriebener Überwachungsstaat.« Der Konzern dürfe nicht zu einer demokratiefreien Zone werden, indem Manager gegenüber den Beschäftigten schalten und walten können, wie sie wollen. Deshalb müssten die Datenschutzbehörden in allen Ländern und im Bund gegen den Dauerspitzel aktiv werden. Das Ziel: Amazon das Handwerk legen.

  • 20.11.2020 19:30 Uhr

    Das besondere Erlebnis

    Die nächste Rosa-Luxemburg-Konferenz setzt neue Maßstäbe
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    Zusammenstehen: Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz 2019 in Berlin

    Seit über 25 Jahren wird das Erscheinen der Tageszeitung junge Welt über den Verlag 8. Mai realisiert, unterstützt von vielen Abonnenten und Genossenschaftsmitgliedern. Ebenfalls seit über 25 Jahren findet immer am zweiten Sonnabend im Januar unsere Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin statt. Wir verstehen sie als eine Ausgabe der jungen Welt mit besonderen Mitteln: Für die internationalen Aspekte laden wir Gäste aus aller Welt ein (Außenpolitik), über die Lage linker Kräfte im Lande wird in einer Podiumsdiskussion gestritten (Innenpolitik), kulturpolitische Ideen werden von Künstlern und Wissenschaftlern vorgestellt (Feuilleton). Und wie in der Printausgabe der jungen Welt gehören auch für die Konferenz marxistischer Analyseansatz, Internationalismus und die Überzeugung, dass bestehende Verhältnisse präzise zu beschreiben und letztlich zu verändern sind, zum Selbstverständnis. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass die Konferenzteilnehmenden der Leserschaft der jungen Welt entsprechen: Da treffen sich Junge und Alte, Wissenschaftler und Studenten, Gutsituierte und Obdachlose, Arbeiter und Kleingewerbetreibende aus West und Ost, aus Süd und Nord. Keine Zeitung, keine Konferenz in diesem Land kann so eine inhaltliche und soziologische Melange abbilden. Beide sind unverzichtbar.

    Die Rosa-Luxemburg-Konferenz ist mittlerweile der wichtigste Jahresauftakt der Linken im deutschsprachigen Raum. Viele sind in Vorfreude auf die Veranstaltung und nehmen dafür teils weite Anreisewege auf sich. Wie kann dieses kollektive Erlebnis in Pandemiezeiten umgesetzt werden? Die Konferenz findet, wie geplant, am Samstag, den 9. Januar 2021, in Berlin statt. Und es werden Tausende teilnehmen. Leider in diesem Jahr nicht vor Ort in Berlin – dafür übertragen wir das Geschehen direkt in Ihr Wohnzimmer. Überall, wo es eine Internetverbindung gibt, kann die nächste Rosa-Luxemburg-Konferenz verfolgt werden. Dazu brauchen Sie keinen Code, keine Zulassung, die ganze Veranstaltung ist frei und kostenlos zugänglich.

    Zunächst orientiert sie sich an bisherigen Ausgaben: Sie beginnt um 10.30 Uhr mit der Eröffnung der Kunstausstellung der Gruppe Tendenzen – auf dieser Konferenz wird zudem eine Fotoausstellung von progressiven Kräften der Arbeiterfotografie vorgestellt. Wie immer beginnen die Hauptvorträge ab 11 Uhr. Aus Kanada wird Radhika Desai über die weltökonomische Lage aus marxistischer Sicht berichten, der US-Amerikaner John Bellamy Foster analysiert die ökologische Krise, aus Italien zeigt Stefano Azzará, wie der krisengeschüttelte Kapitalismus Irrationalismen befördert, aus den USA wird Donna Murch über die Stabilisierung kapitalistischer Verhältnisse durch Rassismus berichten, und Enrique Urbieta aus Kuba schildert die Vorteile einer sozialistischen Gesellschaft nicht nur im Umgang mit Pandemien. Neben diesen Hauptreferenten werden Aktivisten aus verschiedenen Ländern, so aus dem Libanon, den USA, aus Indien, Venezuela und Mali, ihre Kämpfe vor Ort beschreiben. Auch das Kulturprogramm ist so exquisit wie international: Inhalte und Musik kommen u. a. aus dem Libanon (Marcel Khalifé), den USA (David Rovics), Burkina Faso (Ezé Wendtoin) und aus Deutschland (Konstantin Wecker). Mit Szenen aus Brechts »Die Tage der Commune« wird zudem an den 150. Jahrestag des revolutionären Ereignisses gedacht. Wie in jedem Jahr kommen auch politische Gefangene zu Wort, die derzeit noch nicht direkt zu uns sprechen können, etwa der US-Journalist Mumia Abu-Jamal, aus der Türkei der Vorsitzende der HDP Selahattin Demirtas – oder Wikileaks-Gründer Julian Assange. Es wird auf der kommenden Konferenz zudem zwei Diskussionsrunden geben: In der Jugendrunde, traditionell moderiert von der SDAJ, wird ein Blick auf die Verlierer der Krise geworfen. Bei der abendlichen Diskussion ab 18 Uhr treffen sich Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Ländern und tauschen sich über ihren Kampf gegen die Ausbeutung beim Krisengewinnler Amazon aus.

    Allerdings ist die Konferenz für unseren Verlag eine große finanzielle Herausforderung, auch weil die technische Umsetzung in bester Qualität stattfinden soll. Weil Einnahmen aus Eintrittskarten fehlen, bitten wir alle unsere Leserinnen und Leser, sich mit einer symbolischen Eintrittskarte an den Kosten zu beteiligen! Wir bedanken uns mit kleinen Zugaben: Bei Spenden bis neun Euro erhalten Sie unsere attraktive RLK-Karte. Bei Spenden ab zehn Euro zudem einen Kühlschrankmagneten mit dem aktuellen RLK-Motiv. Wer uns 20 Euro und mehr zukommen lässt, bekommt zusätzlich die Broschüre mit allen Beiträgen der Konferenz (Auslieferung ab Ende März 2021).

    Wir wollen auf diesem Weg ein außergewöhnliches kollektives und internationales Ereignis organisieren – mit Ihnen und Tausenden weiteren Teilnehmenden vor den Bildschirmen in der ganzen Welt. Die Konferenz wird in drei Sprachen gestreamt (Deutsch, Englisch, Spanisch), und befreundete Medien übernehmen den Stream in Europa und anderen Kontinenten. Und wir werden wie jedes Jahr die Konferenz mit dem gemeinsamen Singen der Internationale beenden. Wie wir das praktisch schaffen wollen, verraten wir Ihnen zu einem anderen Zeitpunkt.

    Verlag, Redaktion und Genossenschaft

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