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Venezuela wählt

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Interviews

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    »Chávez soll an der Spitze bleiben«

    Interview: André Scheer, Caracas
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    Héctor Rodríguez ist Generalsekretär der Kommunistischen Jugend Venezuelas (JCV)
    Kommunisten haben einen intensiven Wahlkampf geführt. Ein Gespräch mit Héctor Rodríguez

    Die Kampagne zur Wiederwahl von Hugo Chávez als Präsident ist beendet. Welche Bilanz ziehen Sie und Ihre Organisation aus den vergangenen Wochen?

    Es war ein sehr intensiver, sehr aktiv geführter Wahlkampf, in dem die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) und mit ihr die Kommunistische Jugend mit ihren Inhalten aufgetreten sind.

    Wir haben dafür geworben, mit der Wahl von Hugo Chávez auch für die revolutionäre Option der Arbeiterklasse zu stimmen, für die PCV. Unser Ziel ist, 500000 Stimmen zu erringen. Und wir treten für eine weitere Verbesserung des Organgesetzes für die Arbeiterinnen und Arbeiter ein, das auch auf unseren Druck hin vor wenigen Monaten verabschiedet worden ist.

    Die PCV hat in der Vergangenheit nicht mit Kritik an der Regierung und bestimmten Entscheidungen hinter dem Berg gehalten. Trotzdem unterstützen Sie die Wiederwahl von Hugo Chávez?

    Venezuela leistet Widerstand gegen die Bedrohung durch den Imperialismus, der unsere Bodenschätze wieder den internationalen Monopolen zur Ausbeutung überlassen will. Das ist ein Angriff auf die Interessen der venezolanischen Arbeiterklasse, und im Kampf gegen diese Bedrohung ist Hugo Chávez die unbestrittene Führungspersönlichkeit. Deshalb treten wir dafür ein, daß er an der Spitze des Staates bleibt.

    Trotzdem tritt bei dieser Wahl mit Orlando Chirino auch ein sich als links von Chávez präsentierender Kandidat an. Wie bewerten Sie dessen Kandidatur?

    Bis vor ganz kurzer Zeit hat sich dieser Herr noch als Anhänger von Chávez ausgegeben. Seine Kandidatur hat keinerlei Perspektive und dient letztlich nur dem Imperialismus und der Rechten, weil sie einen Angriff auf die nationale Befreiungsbewegung in Venezuela und international und auch auf die kommunistische Bewegung darstellt.
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    »Wir verteidigen unsere Revolution«

    Interview: André Scheer, Caracas
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    Gustavo Rodríguez

    Venezuela: Die Bevölkerung wird Versuchen der Opposition, einen Sieg von Hugo Chávez nicht anzuerkennen, entgegentreten. Gespräch mit Gustavo Rodríguez


    Gustavo Rodríguez ist Mitglied der venezolanischen Linkspartei Tupamaros und der Coordinadora Simón Bolívar im Stadtviertel 23 de Enero. Im freien Rundfunksender Al Son del 23 moderiert er eine wöchentliche Diskussionssendung.


    Sie moderieren eine wöchentliche Sendung beim lokalen Rundfunksender Al Son del 23, im Stadtviertel 23 de Enero. An wen richtet sich dieses Programm?

    Meine Sendung heißt „Aló 23“, und sie gibt es inzwischen seit sieben Jahren, seitdem unsere Radiostation ihren Sendebetrieb aufgenommen hat. Der Sender soll der Gemeinde dienen, indem er Nachrichten, Informationen, Bildung und Kultur verbreitet.

    Letztlich ist er eine Konsequenz aus dem Putschversuch vom April 2002, als alle Fernsehsender, die in der Hand der faschistischen Rechten und der Konzerne waren, Zeichentrickfilme ausgestrahlt haben, während auf den Straßen das Volk massakriert wurde.

    Wir haben damals verstanden, wie notwendig es für die Menschen in unserem Barrio, in unserem Viertel, ist, ein eigenes Handwerkszeug in die Hand zu bekommen, damit sie nie wieder zum Schweigen gebracht werden können. Das Radio dient diesem Ziel ebenso wie die politische Organisation, die hinter ihm steht, die Coordinadora Simón Bolívar. Diese Organisation gibt es inzwischen seit 17 Jahren, doch viele von uns, die in ihr aktiv sind, kommen aus der linken Bewegung der 60er und 70er Jahre.

    Für uns ist besonders bedeutsam, daß unser Radiosender in einem Gebäude arbeitet, in dem sich früher eine Wache der Policía Metropolitana befand. Diese Hauptstadtpolizei war ein Organ der früheren Regierungen zur Unterdrückung der oppositionellen Bewegungen. Hier gab es immer wieder Kämpfe gegen dieses Kommando. In der Zeit des bewaffneten Kampfes hier in Venezuela wurde ich an einem Gründonnerstag festgenommen, in diese Wache verschleppt und hier zusammen mit zwölf weiteren Genossen gefoltert.

    Das gesamte Viertel 23 de Enero hat den Ruf, eines der kämpferischsten und widerständigsten Viertel ganz Venezuelas zu sein. Wie erleben Sie hier den derzeitigen Wahlkampf?

    Dieser Wahlkampf ist, ebenso wie die vorangegangenen 14 Wahlkämpfe – denn die Welt muß wissen, daß Venezuela ein äußerst demokratisches Land ist, in dem das Volk zu jeder Angelegenheit befragt wird – für uns eine Fortsetzung der Kämpfe, die wir seit Jahrzehnten geführt haben für Gerechtigkeit und Demokratie.

    Wir gehören zu denen, die auch heute noch eine sozialistische Gesellschaft anstreben. Im 23 de Enero erlebst du viel Freude, die Menschen sind sehr solidarisch, sie teilen gerne. Als ich am Dienstag abend zu mir nach Hause zurückkehrte, stieß ich auf einen italienischen Journalisten, der auf der Straße die Menschen interviewte. Es bildete sich schnell um ihn eine Menschentraube, denn jeder wollte seine Meinung sagen, obwohl er seine Fragen sehr provokativ formulierte. Wir haben schnell gemerkt, daß dieser Herr ein Vertreter dieser Medien der Großkonzerne war, aber wir haben uns entschieden, ihm mit klaren und ehrlichen Argumenten entgegenzutreten.

    Und wie werden Sie den Wahltag selbst erleben?

    Vom frühen Morgen an werden wir auf der Straße sein. Um 3 Uhr morgens ertönt überall das Signal zum Wecken, die sogenannte Diana, als Ruf zum Kampf. Am Sonntag führen wir den Kampf des Volkes gegen das nordamerikanische Imperium, den Kampf um die Zukunft unseres Volkes, Lateinamerikas und vielleicht der ganzen Welt gegen den Imperialismus. Das Imperium hat einen Vertreter gefunden, der Venezuela wieder unter seine Kontrolle bringen soll. Seit ein paar Jahren ist es ihnen gelungen, sich von den alten Parteien abzusetzen, die das Venezuela vor Chávez repräsentierten – die sozialdemokratische AD und die christsoziale COPEI – und haben eine neue Partei gegründet, Primero Justicia (Zuerst Gerechtigkeit). Die Gründungsmitglieder kamen aus der COPEI und hatten eine faschistische Sekte gegründet, die sich „Tradition, Familie und Eigentum“ nannte. Finanziert wurde die Gründung dieser Partei mit Geldern aus unserem Erdölunternehmen PDVSA, das damals noch unter der Kontrolle der Rechten stand.


    Auch wenn alle seriösen Meinungsforschungsinstitute Venezuelas einen Sieg für Präsident Chávez voraussagen, ist mir in einer Analyse aufgefallen, derzufolge der Amtsinhaber zwar auch unter den Jungwählern die Mehrheit hat – aber mit deutlich knapperem Vorsprung als zum Beispiel unter den 35- bis 50jährigen. Geht der Revolution die Jugend verloren?

    Diese Gefahr besteht immer, und es ist unsere Verantwortung, das zu verhindern. In der nächsten Wahlperiode müssen wir die Verbindungen mit den Jugendlichen verstärken. Aber vergessen wir nicht, daß dies eine sehr junge Revolution ist, und wir sind sehr weit vorangekommen. Vor allem, wenn wir daran denken, daß wir all dies auf friedlichem und demokratischem Weg erreicht haben. In den vergangenen 13 Jahren unter Präsident Chávez ist nie auf eine Demonstration der Studenten geschossen worden. In den 60er und 70er Jahren wurden demgegenüber Dutzende meiner Studienkollegen ermordet. Sie aber sind noch sehr jung, sie haben das nicht erlebt. Und zugleich verbreitet der Kapitalismus seinen Einfluß weltweit über alle Kanäle, über das Kino, die Musik, die Kultur, das Fernsehen, den Konsum. Den Jugendlichen wird eingepflanzt, daß sie ein bestimmtes Telefon, eine bestimmte Kleidungsmarke haben wollen. Unsere Aufgabe ist riesig und besteht darin, die Mentalität dieser Jugendlichen zu ändern und ihnen Bewußtsein für ihr Volk zu wecken. Das erreicht man natürlich nicht von heute auf morgen.

    Derzeit kursieren in Venezuela unzählige Gerüchte über geheime Pläne der Opposition, die einen Wahlsieg von Hugo Chávez nicht anerkennen wolle, oder über Provokationen. Was passiert in Caracas am Sonntag nach der Schließung der Wahllokale?

    Bevor der Nationale Wahlrat CNE die ersten offiziellen Ergebnisse bekanntgibt, wird zweifellos das Volk auf den Straßen sein. Wir müssen unsere Revolution verteidigen, denn wir sind davon überzeugt, daß wir keinen anderen Weg haben. Die Augen der Welt sind in diesem Augenblick auf Venezuela gerichtet, und das bedeutet für uns eine riesige Verantwortung. Wir werden auf den Straßen und Plätzen auf die ersten Zahlen des CNE warten, in vollem Vertrauen auf unser Wahlsystem, das gegen jeden Manipulationsversuch gepanzert ist. Wichtig ist, daß sich niemand etwa vormachen läßt, auch nicht in Deutschland: Ein Wahlbetrug ist in Venezuela unmöglich.

    Danach, mit der Veröffentlichung des ersten Bulletins des CNE, werden wir der Welt den Sieg der Bolivarischen Revolution, des Präsidenten Chávez und des Volkes verkünden und feiern, daß wir den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft fortsetzen können. Nachdem 1990 schon das Ende der Geschichte verkündet wurde, war es gerade Venezuela, das die Banner des Sozialismus wieder erhoben hat. Das war kein Zufall, denn dies ist die Heimat von Simón Bolívar und von Francisco de Miranda, von vielen Männern und Frauen, die in die Welt gezogen sind, um Freiheit zu bringen. Es wird also ein großes Fest. Aber wir wissen natürlich auch, daß wir uns in einem Krieg der vierten Generation befinden und daß die Finger des Imperiums nicht erst seit gestern, sondern seit vielen Jahrzehnten tief in unseren Ländern stecken.

    Noch immer kontrolliert die Bourgeoisie in unserem Land 75 bis 80 Prozent der Medien. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Opposition auf zwei Karten setzt. Eine ist das Gesicht, das sie offen zeigen, und die andere ist die der Sabotage, der Unruhen, der gewaltsamen Regierungsumstürze. Wir sehen in ihren Demonstrationen die Zeichen dieser Bewegungen aus Europa, die „weißen Hände“ und die jungen Leute von „Otpor“ mit ihren „bunten Revolutionen“, die diese faschistische Ideologie aus Europa nach Venezuela importiert haben und bei einigen Studenten Anklang gefunden haben. Es wäre tragisch, wenn nach einem Sieg des Präsidenten Chávez diese Kräfte versuchen, Unruhen anzuzetteln und das Ergebnis nicht anzuerkennen, denn wir sind bereit, unsere Revolution mit allen Mitteln zu verteidigen.