Panikmache und »Rebel Clowning«
Die Panikmache vor dem G-20-Gipfel in Hamburg zeigt Wirkung. Wie das Hamburger Abendblatt am Samstag berichtete, gab bei einer Leserumfrage mit 29,7 Prozent fast ein Drittel der Teilnehmer an, die Stadt verlassen zu wollen, wenn sich am 7. und 8. Juli die Staatschefs der 19 wichtigsten Industrie und Schwellenländer sowie EU-Vertreter an der Elbe treffen. Gut zwei Drittel – 62,9 Prozent – befürchten nach eigener Aussage gewalttätige Auseinandersetzungen während des Gipfels.
Zwar ist die über die Homepage des Abendblattes geführte Umfrage nicht repräsentativ, aber mit mehr als 5.800 Teilnehmern bildet sie die Atmosphäre in der Stadt vermutlich recht gut ab. Die Zeitung, Sprachrohr des hanseatischen Bürgertums, hat diese Stimmung selbst mit herbeigeführt – seit Wochen schwadronieren bürgerliche Politiker und Medien von Tausenden militanten Gipfelgegnern, die aus ganz Europa zum Gipfel anreisen und die Stadt in Schutt und Asche legen würden.
Ein Armutszeugnis sind die Ergebnisse für den rot-grünen Senat und Hamburgs Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), der das Gipfeltreffen in die Stadt holte. Offenbar trauen die Bürger der Polizei nicht zu, für ihre Sicherheit sorgen zu können – oder sie wollen nicht wegen der hochrangigen Gäste in ihrem Alltag behindert werden. Fast drei Viertel der Befragten, 73,6 Prozent, lehnen die Entscheidung, die G 20 nach Hamburg einzuladen, generell ab. 35,2 Prozent wollen an Demonstrationen teilnehmen oder können sich dies zumindest vorstellen.
Die Welt Hamburg goss am Freitag weiter Öl ins Feuer. Zu einem Foto, das Vermummte hinter einer brennenden Barrikade zeigt, berichtete das Springer-Blatt, Gipfelgegner hätten Karten von Hamburg veröffentlicht, in denen Reichenviertel als Ziele markiert seien. Angesichts von Brandanschlägen in den vergangenen Wochen könne dies als »Aufforderung zu weiteren Attacken« verstanden werden.
Die Karten seien auf englisch verfasst, trügen den Titel »Know your friends and your enemies« (Kenne deine Freunde und Feinde) und seien für »Protestler aus dem Ausland« gedacht, behauptet die Welt, ohne den Ort oder die Form der Veröffentlichung zu benennen. Auf den Karten seien außer den Nobelvororten wie Blankenese, Pöseldorf oder Uhlenhorst, die mit Geldsäcken markiert seien, auch linke Zentren wie die Rote Flora, mögliche Routen der Staatsgäste und die Generalkonsulate der am Gipfel teilnehmenden Staaten verzeichnet.
Während Massenmedien die Hysterie ankurbeln, hat sich die Linksfraktion in der Bürgerschaft danach erkundigt, was Gipfelgegnern Anfang Juli blühen könnte. Mit einer Anfrage brachte sie ans Licht, unter welchen Bedingungen in Gewahrsam genommene Demonstranten in einer Gefangenensammelstelle (Gesa) im Süden der Stadt untergebracht werden sollen.
Auf dem Gelände eines früheren Lebensmittelgroßhandels in der Nähe des Harburger Bahnhofs haben die Behörden einen Sammelknast mit rund 400 Plätzen errichtet. Bis zu fünf Gefangene sollen dort nach Senatsangaben auf neun Quadratmetern zusammengepfercht werden. »In den Sammelzellen werden die Festgenommenen gerade einmal 1,8 Quadratmeter pro Person haben. Das ist menschenunwürdig«, kritisierte Christiane Schneider, innenpolitische Sprecherin der Fraktion, am 8. Mai gegenüber der taz. Bis zu einer richterlichen Entscheidung könne es 48 Stunden dauern.
Mit einer Aktionsakademie in der Stadtteilschule Walddörfer will ATTAC von heute bis Sonntag junge Gipfelgegner auf den G-20-Protest vorbereiten. Erwartet werden rund 100 Teilnehmer aus ganz Deutschland, erklärte die Organisation am Freitag. Auf dem Programm stehen unter anderem Straßentheater, »Rebel Clowning«, also das Veräppeln der Obrigkeit im Zirkusstil, Adbusting (kreative Veränderungen von Plakaten), ein Kletterkurs und ein Aktionstraining unter dem Motto »Skills for Block G 20«, also das Erwerben von Fähigkeiten für Blockadeaktionen, die für den 7. Juli, den ersten Tag des Gipfels geplant sind.