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No G20

No G20

Hamburg empfing am 7. und 8. Juli 2017 Staatschefs und Vertreter der EU zum G-20-Gipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Sie erwartete eine große und kreative Protestbewegung.

Berichte

  • · Berichte

    Gefährlicher »Herbst des Kapitalismus«

    Claudia Wangerin, Hamburg
    Großer Andrang beim Alternativen Gipfel in der Kampnagel-Fabrik

    Einen Mangel an Strategien gegen den Neoliberalismus und gegen die neue Rechte hat Samir Amin am Ende des zweitägigen Alternativgipfels zum Treffen der G-20-Staatschefs in Hamburg festgestellt. »Wir leben in einer sehr gefährlichen Zeit«, sagte der ägyptische Ökonom auf dem Abschlusspodium am Donnerstag abend. »Ein System geht zu Ende, aber es entsteht noch kein neues.« Im derzeitigen »Herbst des Kapitalismus« sei der Weg zum »Frühling der Völker und der Menschen« noch nicht geebnet. Die Alternative dazu sei der Verfall.

    Hans-Jürgen Urban vom Vorstand der Gewerkschaft IG Metall sieht dagegen nur einen Hegemonieverlust des Kapitalismus – der allerdings dazu führe, dass »der ganze Laden autoritärer wird«, weil die Menschen das System nicht mehr als selbstverständlich akzeptierten. Den Beweis dafür trat die Polizei zeitgleich in der Hansestadt an: Erste Meldungen über Schwerverletzte auf der Anti-G20-Demonstration unter dem Motto »Welcome to Hell« wurden bekannt.

    Die indische Wirtschaftswissenschaftlerin Wasserwerfereinsatz an der Hafenstraße. Foto: RedGlobe nannte das Ende des Kapitalismus »ein Drama in vielen Akten«. Die Abschlussrunde des Alternativgipfels im Hamburger Kulturzentrum Kampnagel stand unter dem Motto: »Für Globale Solidarität – mit einer progressiven Internationale? – Strategien gegen den Neoliberalismus und die neue Rechte«. Doch von der Gründung einer »Fünften Internationale«, wie Samir Amin sie vorschlug, zeigte sich Jayati Ghosh mit Blick auf die eher unbedeutende »Vierte Internationale« wenig begeistert.

    Tatsächlich sind an diesen beiden Tagen sehr unterschiedliche Perspektiven auch innerhalb der Protestbewegung gegen die »Gruppe der 20« aus den vorgeblich wichtigsten Industrie- und Schwellenländern sowie der EU sichtbar geworden – was nicht zuletzt mit der Konkurrenz unter Staaten wie Deutschland, den USA und Russland zu tun hat. Urban benannte aber zumindest eine Gemeinsamkeit zwischen den Regierenden: Wenn sie von ihrem Gipfeltreffen nach Hause kämen, würden sie weiterhin die Rechte der arbeitenden Bevölkerung in Frage stellen. Damit die Verlierer der neoliberalen Politik sich nicht rechten Parteien und Bewegungen zuwenden, sei eine »Doppelstrategie aus klarer Kante und offener Tür« nötig.

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    FC St. Pauli campt mit

    Die Fans des FC St. Pauli haben schon lange eine klare Meinung zum G-20-Gipfel

    Die Führung des FC St. Pauli stellt sich gegen Senat und Polizei: Am Donnerstag morgen teilten Präsidium und Aufsichtsrat des Zweitligisten mit, dass man »ein klares Zeichen für Menschenrechte, Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht« setzen wolle. »Die Vereinsführung hat entschieden, dass am Donnerstag um 12 Uhr 200 Schlafplätze für DemonstrantInnen im Umlauf der Haupttribüne des Millerntor-Stadions eingerichtet werden können. Der Zugang erfolgt über den Eingang Haupttribüne. Die Vergabe der Plätze wird in Zusammenarbeit mit den Organisatoren des Camps in Entenwerder geregelt.«

    Damit hätten die Gremien zum einen auf das »absurde Campverbot« reagiert, »das die zum Teil rechtswidrige Räumung diverser Lager in Hamburg zur Folge hatte«. Zum anderen sei die Entscheidung eine Antwort auf die immer noch fehlenden Schlafmöglichkeiten für die auswärtigen Gäste, die in die Stadt gekommen sind, um ihren Protest gegen den G20-Gipfel zu zeigen.

    »Gemeinsam mit den Organisatoren des Camps in Entenwerder haben die Verantwortlichen am Mittwoch alle relevanten Schritte eingeleitet, um am Donnerstag 200 Menschen aufnehmen zu können. Die Schlafmöglichkeiten werden bis zum kommenden Sonntag (9.7.) vorgehalten. Die DemonstrantInnen können hierbei natürlich die sanitären Anlagen im Stadion nutzen, außerdem werden die Organisatoren des Camps in Entenwerder eine mobile Küche für die Gäste am Millerntor einrichten.« (jW)

  • · Berichte

    Alternativen zum Zeigefinger von Schulz

    Claudia Wangerin, Hamburg
    Die Beteiligung an den Veranstaltungen war den ganzen Tag über gut

    Es war ein besonderer Jahrestag: An das griechische »Nein« im Referendum über das Spardiktat von Internationalem Währungsfonds, EU-Kommission und Europäischer Zentralbank am 5. Juli 2015 wurde am Mittwoch abend im Rahmen einer Podiumsdiskussion auf dem Hamburger Gipfel für globale Solidarität erinnert. Moderator Ulrich Brand verwies auch auf den erhobenen Zeigefinger des damaligen EU-Parlamentspräsidenten und heutigen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz, der von den Griechen Unterwerfung gefordert habe. Das Thema des Abends: »Alternativen zur Politik der G20-Regierungen auf der lokalen, nationalen, europäischen und globalen Ebene«.

    Die Bedingungen, unter denen die Podiumsgäste politisch tätig sind, könnten kaum unterschiedlicher sein: Harald Wolf vom Vorstand der Partei Die Linke war von 2002 bis 2011 einer der Stellvertreter des Bürgermeisters von Berlin und legte später in Buchform eine (selbst-)kritische Bilanz des »rot-roten« Senats vor. In Hamburg betonte er die Notwendigkeit des Kampfes für ein solidarisches Europa mit verbindlichen Sozialstandards. Griechenland hätte seiner Meinung nach stärkere Solidaritätsbewegungen in den Nachbarländern gebraucht, um dem Spardiktat dauerhaft widerstehen zu können. Europa könne aber auch nicht weiter auf Kosten des Restes der Welt leben.

    Die desaströsen Auswirkungen von Freihandelsabkommen für die Wirtschaft auf ihrem Kontinent beschrieb Jane Nalunga – sie setzt sich im Southern and Eastern African Trade Information and Negotiations Institute (SEATINI) in Uganda für eine souverä ere Rolle Afrikas in der Welt ein. Sonia Farré gehört dem 2015 in der katalanischen Metropole gegründeten Wahlbündnis Barcelona en Comú an und erzählte in der Runde von den Erfahrungen mit Aktivisten, die plötzlich politische Ämter bekleiden. Sinem Mohamad, die Europavertreterin der überwiegend kurdisch besiedelten Selbstverwaltungsregion Rojava in Nordsyrien berichtete vom Aufbau eines neuen Gesellschaftsmodells unter Kriegsbedingungen. Die Türkei greife gerade den Kanton Afrin an; weder die USA noch Russland noch die Weltgemeinschaft interessierten sich dafür. Sie verlasse sich nur noch auf »Freunde, wie ihr es seid«, sagte sie mit Blick auf das Publikum.

  • · Berichte

    Menschlich gegen Polizeigewalt

    Hamburger Bevölkerung und Theater solidarisieren sich mit G-20-Protesten. Staatsmacht prügelt wieder
    Georg Hoppe, Kristian Stemmler und André Scheer, Hamburg
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    Schlagstockeinsatz und Handschellen: Demonstranten wie auch Journalisten wurden am Dienstag abend Zeugen und Betroffene des ­brutalen Vorgehens der Polizei in der Hamburger Innenstadt

    Am Dienstag abend gab das »Antikapitalistische Camp« das Tauziehen um Übernachtungszelte im Elbpark im Hamburger Stadtteil Rothenburgsort auf. Man sei aus dem »Freiluftgefängnis Entenwerder« ausgebrochen, schrieben die Aktivistinnen und Aktivisten nach tagelangen Schikanen und Übergriffen durch die Polizei auf ihrer Homepage. Anstatt am Elbufer »am langen Arm der Justiz zu verhungern und darauf zu warten, dass die eine oder die andere Auflage doch noch gelockert wird«, wolle man sich lieber an den Versuchen beteiligen, im Hamburger Stadtgebiet Camps durchzusetzen.

    Dort ist inzwischen eine ganze Reihe kleiner Widerstandszentren entstanden. So zelten seit Dienstag vormittag einige meist junge Menschen mit Duldung des Pastors auf einer Wiese vor der St.-Johannis-Kirche an der Max-Brauer-Allee in Altona. Die Nachbarn hätten das spontane Camp sehr gut aufgenommen, berichtete Hansel Sauerteig, der aus dem Wendland für die Proteste gegen den G-20-Gipfel in die Hansestadt gekommen ist, im Gespräch mit jW. Anwohner hätten sie eingeladen, ihre Toiletten zu benutzen oder die Zelte in ihren Vorgärten und Hinterhöfen aufzustellen.

    Seine Türen für den Protest geöffnet hat auch das Deutsche Schauspielhaus am Hauptbahnhof. Wie der Geschäftsführer der Bühne, Peter Raddatz, dem NDR sagte, hätten am Dienstag abend gegen 21 Uhr rund 200 bis 300 Menschen vor der Tür des Theaters gestanden und um Aufnahme gebeten. Man habe es als »Akt der Menschlichkeit« angesehen, den Protestierenden die Übernachtung im Foyer zu ermöglichen. Eine Hundertschaft der Polizei habe dann zunächst die Zugänge zum Schauspielhaus blockiert, die Theaterleitung habe aber gegenüber dem Einsatzleiter ihr Hausrecht durchgesetzt.

    Von seiten der Einsatzkräfte wird derweil weiter auf Eskalation gesetzt. Mehrere tausend Menschen hatten den ganzen Tag über an vielen Stellen der Stadt spontane Straßenfeste veranstaltet, um auf diese Weise gegen den herrschenden Ausnahmezustand zu protestieren. Auch im Gählerpark – offiziell: Emil-Wendt-Park – in der Altonaer Altstadt hatten sich am Abend Menschen versammelt und symbolisch fünf Zelte aufgestellt. Das reichte der Polizei für einen martialischen Einsatz. Gegen 21 Uhr stürmten Beamte in Kampfmontur den Platz und rissen die leeren Zelte ab. Mehrere Male wurde Pfefferspray gegen die friedlichen Menschen eingesetzt. Besucher des Parks, die das Geschehen beobachteten, zeigten sich empört. Sogar ein Polizist ermahnte seine Kollegen zur Mäßigung.

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    Blutige Spuren: Blick in ein Polizeifahrzeug am Dienstag in Hamburg

    Als Reaktion auf das Vorgehen der Beamten beschlossen die Teilnehmer, eine Spontandemonstration gegen die Repression durchzuführen und setzten sich zum sogenannten Arrivati-Park nahe der U-Bahnstation Feldstraße in Bewegung, wo die Kampagne »Recht auf Stadt« derzeit mit einer Dauerveranstaltung für eine »Urban citizenship« demonstriert, nach der jeder Mensch die Chance haben soll, in der Stadt, in der er leben möchte, wirklich anzukommen und dieselben Rechte wie alle anderen zu haben.

    Die Polizei blockierte die Spontandemonstration und ging gewaltsam gegen die Protestierenden vor. An der Kreuzung Max-Brauer-Allee und Stresemannstraße wurde ein Mann durch massiven Schlagstockeinsatz der Polizei verletzt. Ein Augenzeuge berichtete gegenüber junge Welt, dass sich mehrere Beamte auf den Mann gestürzt und ihm wiederholt mit dem Schlagstock auf den Kopf geschlagen hätten. Viel Blut sei zu sehen gewesen. Dann wurde er zu einem Polizeifahrzeug gezerrt, wo ihm trotz seines Zustandes Handschellen angelegt wurden. Offenbar nur aufgrund der Anwesenheit der Presse, von Abgeordneten der Linkspartei und von Rechtsanwälten wurde ihm ein Kopfverband angelegt.

    Die Polizei versuchte mehrmals, die Journalisten am Filmen und Fotografieren zu hindern. Die Rechtsanwälte wurden nicht zu dem Verletzten durchgelassen, und erst nach längerer Verhandlung durfte sich ein Mediziner um den kaum Ansprechbaren kümmern, bis endlich der Krankenwagen eintraf. Währenddessen versuchten Uniformierte, das Blut aus ihrem Einsatzfahrzeug zu entfernen.

    Trotz der Provokationen der Polizei zogen die Menschen weiter durch das Schanzenviertel nach St. Pauli. Als die Demonstration gegen 22.30 Uhr am Neuen Pferdemarkt ankam, zählte sie rund 2.000 Teilnehmer. Die Polizei stand dort schon mit vier Wasserwerfern und mindestens einem Räumfahrzeug sowie mehrere Hundertschaften bereit. Über Lautsprecher forderte ein Beamter in zynischem Ton, die Kreuzung zu verlassen: »Ihre Polizei wird Ihnen dabei behilflich sein.« Kurz darauf schossen die Wasserwerfer in die Menge und trieben die Menschen von der Kreuzung herunter und durch die Seitenstraßen des Schanzenviertels, wo sie sich nach Mitternacht zerstreuten. Mindestens eine Person wurde festgenommen.

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    Trumps fliegende Augen

    »Chinook«, »Predator« und RIOT: High-Tech-Cowboys aus den USA scannen Hamburg
    Volker Hermsdorf
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    Hubschrauber der US-Army vom Typ CH-47 Chinook am Dienstag über Hamburg

    Am Dienstag mittag beobachteten Bewohner im Hamburger Stadtteil Winterhude ein sonderbares Flugobjekt am Himmel, das Lärm wie ein Hubschrauber machte, Augenzeugen zufolge aber deutlich größer war. Passanten zückten ihre Handys und schossen Fotos von dem seltsamen Gerät. Manche dachten an einen Scherz, schließlich war am Sonntag der »Welt-Ufo-Tag«.

    Andere glaubten dagegen nicht an eine Aktion von Spaßvögeln, denn nur wenige Kilometer weiter liegt an der »Schönen Aussicht Nr. 26« das Gästehaus des Hamburger Senats. Die noble Unterkunft im Stadtteil Uhlenhorst, die während des G-20-Gipfels für US-Präsident Donald Trump reserviert ist, wird bereits seit dem 11. Juni rund um die Uhr zu Lande und zu Wasser bewacht. Wie der US-Sicherheitsexperte und Journalist Jay Tuck in der Juliausgabe des deutschen Playboy berichtet, wollen Trumps Leibwächter vom Secret Service außerdem jede Menge US-Überwachungstechnik an der Elbe einsetzen, die extra eingeflogen wird. Bei den unbekannten Flugobjekten, die in diesen Tagen über Hamburg kreisen, handelt es sich deshalb nicht um Ufos, sondern um graugrüne Transporthubschrauber der US-Army vom Typ CH-47 »Chinook«. Der CH-47, bei dem auch die Transportvarianten der US-Army mit Maschinengewehren bestückt sind, wurde unter anderem im Vietnamkrieg, in Afghanistan und im Irak eingesetzt. 1982 kamen beim Absturz einer US-Army-Maschine dieses Typs in Mannheim 46 Menschen ums Leben.

    Unter dem mitgebrachten Spielzeug der Trump-Truppe soll auch die Mehrzweckdrohne MQ-1 »Predator« sein, die in Hamburg somit erstmals außerhalb eines Kriegsgebietes zum Einsatz käme. Diese Drohne, die in Syrien und Afghanistan mit »Hellfire«-Raketen unterwegs ist, lässt sich auch mit Überwachungselektronik ausstatten. Aus einer Flughöhe von rund fünf Kilometern kann sie mit ihren Kameras halb Hamburg erfassen. Mit Hilfe der geheimen Spionagetechnologie »ARGUS-IS« soll es ihr möglich sein, Hunderttausende Menschen einzeln und in Echtzeit durch Wolkendecken hindurch und auch nachts zu verfolgen. Um die riesigen Datenmengen zu verarbeiten, wird den Informationen zufolge eine Hochleistungssoftware namens RIOT (Rapid Information Overlay Technology) genutzt. Dies sei, so Jay Tuck im Playboy, eine »Suchmaschine der Superlative«, die vor allem von Militärs und Nachrichtendiensten eingesetzt werde. Sei eine Zielperson ausgemacht, dann spucke das Programm umfangreiche Eckdaten aus – darunter Telefonate und Kontakte, SMS-Texte und E-Mails sowie GPS-Standorte. Zudem zeige RIOT die Bewegungen eines Verdächtigen auf einer Landkarte – in Echtzeit und bei Bedarf auch für zurückliegende Tage, Monate oder Jahre. Wie das Onlineportal Telepolis bereits 2013 berichtete, ist das US-Militär die einzige Auslandsarmee, die in Deutschland mehrere Dutzend Drohnen stationiert hat. Seit 2005 verfügt es über unbefristete Aufstiegsgenehmigungen. Eine kleine Anfrage der Linksfraktion hatte ergeben, dass die USA von der Bundeswehr eine offizielle Zulassung für den Betrieb von 57 Aufklärungsdrohnen in Deutschland erhalten haben.

    Verglichen mit Trumps High-Tech-Cowboys wirken die zu Tausenden eingesetzten bundesdeutschen Polizisten – trotz ihrer provokativ zur Schau gestellten Schusswaffen und Knüppel – ziemlich hausbacken. Bei einer Fahrt durch die Stadt mit den Metrobussen der Linien 4, 5 und 6 fühlte ich mich am Dienstag trotzdem an schlimme Zeiten erinnert. In jeden dieser Busse stieg vorne jeweils ein mit einer Pistole bewaffneter Polizist ein und ging langsam, alle Fahrgäste sorgfältig musternd, durch den Mittelgang. Solche Szenen hatte ich zuletzt Anfang der 1980er Jahre bei Reisen in Chile erlebt, als Faschisten nach dem von der CIA finanzierten Putsch des Generals Pinochet ein blutiges Terrorregime errichtet hatten und jeden Widerstand dagegen im Keim zu ersticken versuchten.

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    Polizei gegen freie Anwaltswahl

    Kristian Stemmler
    Für 400 Menschen vorgeplant: Gefangenensammelstelle in Harburg für den G-20-Gipfel

    Die Repression im Vorfeld des G-20-Gipfels in Hamburg richtet sich nicht nur gegen die Gipfelgegner selbst, sondern zunehmend auch gegen deren Unterstützer. Aktuell geht die Hamburger Polizei gegen den Republikanischen Anwaltsverein (RAV) vor. Treffen möchte sie damit offenbar den dort angebundenen Anwaltlichen Notdienst, der von Polizeimaßnahmen betroffene Aktivisten unterstützt. In einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht (VG) hatte die Polizei die Auffassung vertreten, die Mitgliedschaft von Anwälten im RAV sei Indiz für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Dies kritisierte der Verein am Dienstag.

    Hintergrund: Vier ehemalige Jura-Studierende, früher Mitglieder in der Initiative »Hamburger aktive Jura-Student_innen (HAJ)«, hatten vorm VG mit einem Eilantrag gegen die von der Polizei erlassene Allgemeinverfügung geklagt, die in einem Areal von rund 38 Quadratkilometern Demos verbietet (»blaue Zone«). Am Montag legte die Polizei dem Gericht eine Gefahrenprognose vor, in der der sie ausführte, die vier Antragsteller und die genannte Studierendengruppe seien mit dem RAV verbunden. Außerdem seien die im Verfahren mandatierten Anwälte RAV-Mitglieder.

    Die Polizei greife damit die freie Anwaltswahl an, kritisierte der RAV. Bereits am Montagabend war zwei Anwälten des Notdienstes der Zugang zur Außenstelle des Amtsgerichts Hamburg-Mitte im Stadtteil Neuland beim Bahnhof Harburg verwehrt worden. Der RAV sieht das als Wortbruch des Justizsenators Till Steffen (Grüne), der den Anwälten des Notdienstes freien Zugang zugesichert hatte. Die Anwälte sollten in der Außenstelle Gipfelgegnern anwaltlichen Beistand leisten, die in den benachbarten Knast, die Gefangenensammelstelle (Gesa), eingeliefert wurden.

    Anwältin Britta Eder kritisierte: »Es ist zu befürchten, dass die Hamburger Polizeiführung eine Vertretung durch den Anwaltlichen Notdienst in den Gefangenensammelstellen verhindern will.«

  • · Berichte

    »Ich nenne sie das Giftkartell«

    Claudia Wangerin
    Mit einer Aktion vor der Elbphilharmonie machte die Organisation Attac deutlich, dass die Zukunft des Planeten in den falschen Händen liegt (Hamburg, 4. Juli 2017)

    Die Regierungschefs der G20-Staaten sind nicht die wahren Machthaber – daran hat heute zur Eröffnung des »Gipfels für globale Solidarität« im Hamburger Kulturzentrum Kampnagel die indische Bürgerrechtlerin Vandana Shiva auf einer Podiumsdiskussion erinnert. Der Alternativgipfel soll Vertretern der breit gefächerten Protestbewegung ein Podium zum Austausch bieten. Die Trägerin des Alternativen Nobelpreises gebrauchte das Bild des „»Sherpas«, des Gepäckträgers, um vor rund 900 Zuhörern die Rolle des politischen Führungspersonals im Verhältnis zu Großkonzernen und Finanzbranche zu beschreiben.

    Shiva benannte klar die Mitverantwortung der Regierenden für Hunger und ökologische Katastrophen. »Ich nenne sie das Giftkartell«, sagte sie mit Blick auf die Gruppe der zwanzig nach eigener Definition wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, deren Repräsentanten sich am 7. und 8. Juli in der Hansestadt treffen wollen. Zum Zusammenhang von Umweltschäden und dem Einsatz von Pestiziden in Landwirtschaft mit erhöhten Krebsraten fragte Shiva: »Sollte die G20 sich damit nicht auseinandersetzen?« Statt dessen sei von Digitalisierung die Rede: »In Indien gibt es Leute, die haben noch nicht mal ein Dach über dem Kopf – und die sollen jetzt erst mal ein Smartphone und ein Tablet haben?«

    Valter Sanches aus Brasilien, Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbandes IndustriALL Global Union, kam auf die wachsende Repression gegen Betriebsräte und Streikorganisatoren in Südostasien, Lateinamerika und der Türkei zu sprechen. Der Putschversuch am Bosporus sei ausgenutzt worden, um Gewerkschafter zu inhaftieren und Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst zu entlassen, betonte er.

    Auf Erfolge sozialer Bewegungen verwies Patrick Bond von der Universität von Wildwatersrand in Südafrika: So sei durch deren Aktionen die Privatisierung der Wasserversorgung von Johannesburg verhindert worden. Barbara Unmüßig vom Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung hob in der Runde hervor, dass weltweit mit Repression zu rechnen sei, wenn politische und ökonomische Machtverhältnisse in Frage gestellt würden. Auch die Einschränkungen der Versammlungsfreiheit während des G20-Gipfels in Hamburg kritisierte sie scharf.

  • · Berichte

    Der Staat zeigt die Instrumente

    Im Vorfeld des G-20-Spitzentreffens rollt weiter eine Welle der Repression
    Kristian Stemmler
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    Willkommen in Hamburg!

    Mit einer »Politik der Abschreckung« werde versucht, Menschen von der Teilnahme an den Protesten gegen den Gipfel abzuhalten, erklärte Sebastian Krause, ein Vertreter des die Aktivisten rechtlich unterstützenden Ermittlungsauschusses G20 (G20: EA), am Dienstag gegenüber jW. Von sogenannten Gefährderansprachen, der »öffentlichen Diffamierung von Einzelpersonen«, der Zerstörung von Camp-Infrastruktur bis hin zu Razzien und Präventivhaft reiche das Instrumentarium. »Gefährderansprachen« durch die Polizei habe es in den letzten Tagen mindestens in Hamburg, Rostock, Dresden, Leipzig, Burg bei Magdeburg und Saarbrücken gegeben.

    »Das ist ein planvolles Vorgehen, was vor dem Gipfel passiert«, betonte Krause. Durch Presseberichte sei bekanntgeworden, dass diese Abschreckungspolitik vom »Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum« in Köln beschlossen wurde. Die Sicherheitsbehörden wüssten genau, was sie tun und würden offene Rechtsbrüche einkalkulieren, wie sie beim Räumen von Zelten auf der Halbinsel Entenwerderin Hamburg am Wochenende vorgelegen hätten. »Die beschlossene Linie wird durchgezogen, die öffentliche Meinung ist denen erst mal egal«, so Krause.

    In Burg bei Magdeburg habe die Polizei Aktivisten mit Haft gedroht, falls sie in Hamburg auffällig würden. In Rostock sei eine Person nach einer Razzia am Freitag abend sogar »zur Gefahrenabwehr« in Unterbindungsgewahrsam genommen worden. Die Razzia habe auf Betreiben des Hamburger Landeskriminalamtes (LKA) stattgefunden. Laut Aussage der Polizei werde geprüft, ob ein Verfahren nach Paragraph 129 a des Strafgesetzbuches (»Bildung einer kriminellen Vereinigung«) eröffnet werde, kritisierte der Vertreter des Ermittlungsausschusses.

    Wie eine Gefährderansprache abläuft, schilderte ein Betroffener jW am Montag. In der Öffentlichkeit sei er von einer ihm unbekannten Frau angesprochen habe, die ihm bedeutet habe, man kenne seine Gesinnung und habe ihn im Auge. Seine Rückfrage, ob das eine Gefährderansprache sei, habe die Frau bejaht, und auf die Frage, wer sie sei, nur geantwortet: Sie sei vom BKA (Bundeskriminalamt).

    Hamburgs Geheimdienst setzt derweil auf die Diffamierung von Gipfelgegnern mit einer Art Internetpranger (jW berichtete). Auf der Homepage der Stadt, www. hamburg.de, werden drei Gruppierungen, die man sich herausgepickt hat, und deren Repräsentanten mit ausgewählten Zitaten aus Medien als »gewaltorientiert« diskreditiert: die autonome Szene um das alternative Kulturzentrum »Rote Flora«, der »Rote Aufbau« Hamburg und die Interventionistische Linke (IL). Genannt werden Vertreter dieser Gruppen, die oft in der Öffentlichkeit auftreten: Flora-Sprecher Andreas Blechschmidt, Halil S. vom Roten Aufbau und IL-Vertreterin Emily Laquer. »Hier werden Leute im Stil von Bild als vermeintliche Rädelsführer denunziert, tatsächlich soll aber die soziale Bewegung gegen den Gipfel als Ganzes diskrediert werden«, sagte Sebastian Krause dazu.

    Der zum Gipfel organisierte anwaltliche Notdienst hat am Montag kritisiert, dass zwei Anwälten, Ralph Monneck (Berlin) und Dirk Audörsch (Oldeswort), am Montag abend der Zugang zur Außenstelle des Amtsgerichts Hamburg im Bezirk Harburg zunächst verweigert wurde. Diese ist nur für den Gipfel im Stadtteil Neuland in Containern eingerichtet worden. Sie hält auch Räume vor, in denen Anwälte sich mit Mandanten besprechen sollen, die in der benachbarten Gefangenensammelstelle (Gesa) eingeknastet wurden.

    Erst nach Diskussionen und einer Stunde Wartezeit seien die Anwälte eingelassen worden, hieß es vom anwaltlichen Notdienst. Die nächste Schikane sei gewesen, dass sie sich nicht unbeschränkt in den Arbeitsräumen aufhalten durften. Dies sei aber von Justizsenator Till Steffen (Grüne) zugesichert worden.

    Hamburgs Polizei heizt indes weiter die Stimmung an. Bei Facebook postete sie am Dienstag vormittag eine Aufstellung von Gegenständen, die sie angeblich bei Razzien in Hamburg und Rostock in den vergangenen Tagen sichergestellt hat, wie Böller, Zwillen, mit Bitumen gefüllte Feuerlöscher. Dazu stellte sie ein Video, in dem die Handhabung der Gegenstände demonstriert wird, um ihre Gefährlichkeit zu demonstrieren.

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    »Beteiligt euch an den Demonstrationen!«

    Der Hamburger Schauspieler Rolf Becker kritisiert die »Militarisierung der Stadt« und die passive Rolle der Gewerkschaftsführungen im Zusammenhang mit den Protesten gegen G20. Die Kolleginnen und Kollegen ruft er dazu auf, sich an den Demonstrationen zu beteiligen, »gegen einen Gipfel, der die Mehrzahl der Völker ausschließt«. Becker betont: »Wir suchen nicht die Auseinandersetzung mit den einzelnen Polizisten, sondern mit denen, die diese unsinnigen Einsätze durchsetzen.«

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    VIDEO: Polizeischikanen Solidarität entgegensetzen

    Nach wochenlangem Tauziehen um die Genehmigung der Protestcamps spitzt sich die Lage am Wochenende zu. Die Polizei behindert den Aufbau des Camps in Altona, vor allem aber des Antikapitalistischen Camps in Entenwerder. Die Beamten reißen Schlafzelte ab und setzen Pfefferspray gegen Demonstranten ein. Gipfel-Gegner berichten von weiteren Schikanen, rufen zum Widerstand auf und bitten die Hamburger Bevölkerung um Unterstützung.

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    Schnauze voll: G-20-Gegner drohen mit Platzbesetzungen

    Am späten Sonntag abend im Elbpark Entenwerder: Polizisten transportieren beschlagnahmte Zelte ab

    Nach den anhaltenden Schikanen und Übergriffen der Hamburger Polizei gegen die Protestcamps der G-20-Gegner haben »wütende Gruppen des Widerstands« am Montag den Behörden ein Ultimatum gestellt. Auf der Homepage des Bündnisses »Welcome to Hell« heißt es: »Sollte bis Dienstag, 04.07., um 10:00 Uhr das Camp mit Schlafplätzen nicht möglich sein, weil die Polizei weiterhin an ihrer Angriffs- und Eskalationsstrategie festhält oder die Politik der Stadt Hamburg es zu verhindern versucht, werden massenhaft und spektrenübergreifend Parks, Plätze, Flächen und Knotenpunkte der Stadt besetzt.«

    Hamburg habe viele Grünflächen und Tausende Menschen bräuchten Schlafplätze, so die Aufrufer, die sich unter dem Namen »Welcome to Hamburg« zusammengeschlossen haben. » Die Polizei hat deutlich gemacht, dass sie nicht gewillt ist, sich an gerichtliche Vorgaben zu halten. Dies bedeutet umso mehr, dass wir nicht mehr allein auf eine gerichtliche Entscheidung setzen. Stattdessen werden wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln agieren, um kollektive Orte politischer Gegenmobilisierung durchzusetzen.«

    Am Ende der Pressemitteilung listen die G-20-Gegner 17 Parks in der Hansestadt auf, darunter die Moorweide am Dammtorbahnhof, den Flora-Park im Schanzenviertel und den Hamburger Stadtpark. (jW)

    Vollständige Pressemitteilung des Bündnisses: Hier klicken

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    »Platz an der Sonne«

    Diskussion in Hamburg klärte auf zum Themenkreis Afrika, G 20 und neokoloniale BRD-Wirtschaftsprogramme
    Felix Jota
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    Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) gibt sich gern antikapitalistisch. Die Wirtschaftsprogramme der Bundesregierung werden indes auch in Afrika als offen neokolonial bezeichnet

    Die Bundesregierung inszeniert sich als Retter des ärmsten Kontinents, hat Afrika zu einem Schwerpunkt der deutschen G-20-Präsidentschaft gemacht. Tatsächlich geht es ihr offenbar wieder nur um das eine: bei der (Neo-)Kolonialisierung Afrikas nicht zu spät zu kommen. Es geht um den sprichwörtlichen »Platz an der Sonne«, den schon vor 120 Jahren eine deutsche Regierung beim Wettlauf um Kolonien einforderte. Eine Woche vor dem Schaulaufen der G-20-Herrscher lieferte am Freitag eine Veranstaltung der Fraktion von Die Linke in der Bürgerschaft Informationen für die Plausibilität dieser These.

    Der Kaisersaal des Rathauses war voll, rund 150 Menschen wollten den linken Bürgerschaftsabgeordneten Martin Dolzer, Organisator der Diskussion, und seine afrikanischen Gäste hören. Offensichtlich besteht Aufklärungsbedarf beim Thema Afrika und G 20, das in der Berichterstattung zum Gipfel bisher eher zu kurz kam.

    Angesichts der vielen Abbildungen im Saal, die von der Beteiligung Hamburgs an kolonialen Verbrechen künden, fiel es nicht schwer, Dolzers Ausflug in die Geschichte mitzumachen. Er zog eine Parallele von der Afrika-Konferenz, zu der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vor drei Wochen nach Berlin eingeladen hatte, zur sogenannten Kongokonferenz in Berlin 1884/85. Damals sei Afrika zwischen den europäischen Mächten aufgeteilt, seien Grenzen ohne jede Rücksicht auf gewachsene Strukturen gezogen worden.

    Schäubles Meeting war ein Baustein des Prestigeprojekts des Finanzministeriums »Compact with africa« (Abkommen mit Afrika), das Investitionen akquirieren soll. Das werde die Arbeitslosigkeit senken und die Infrastruktur der beteiligen Länder verbessern. Tatsächlich gehe es um eine Zurichtung Afrikas für die Interessen von Investoren, so Dolzer. Deutschland wolle »sein Stück vom Kuchen«.

    Schäuble habe zum Treffen nur sechs afrikanische Staatschefs eingeladen, die, die bereit seien, ihre Märkte noch weiter für westliche Konzerne zu öffnen. Dafür seien ihnen insgesamt 300 Millionen Euro zugesagt worden. »Also eine halbe Elbphilharmonie, noch mal durch sechs geteilt – das ist purer Zynismus!« so Dolzer.

    Es geht heute wie damals um die Ausplünderung Afrikas. Das machte auch Clotilde Ohouochi deutlich, frühere Sozialministerin der Elfenbeinküste. Es sei ein Paradox, dass ein an sich reicher Kontinent mit riesigen Rohstoffvorkommen, etwa Gold, Coltan, Uran, Öl, und guten Böden ökonomisch so arm sei. Ursache dafür sei, dass westliche Konzerne diese Ressourcen ausbeuteten und ihre Profite abschöpften, statt sie zu investieren – und Afrikas Regierungen das zuließen.

    Am Beispiel Niger ließen sich die Folgen erkennen. »Der Niger gehört zu den Staaten mit der den größten Uranfördermengen und ist zugleich eines der ärmsten Länder«, sagte Ohouochi. Das Uran beute der französische Konzern Areva aus, dessen Umsatz das Budget des nigrischen Staates übersteigt.

    Von ähnlichen Geschäften konnte Izotou Abi Alfa aus Togo berichten, Chefredakteur der Zeitung »Le Rendez Vous«. Togo gehört ebenfalls zu den ärmsten Ländern der Welt, obwohl es Vorkommen an Kalk, Grundstoff für Zement, und Phosphaten besitzt. Die seit etwa 50 Jahren regierende Herrscherfamilie habe, so Abi Alfa, die Phosphatlagerstätten pauschal an Israel verkauft – und im Gegenzug Waffen erhalten.

    Ohouochi betonte, Afrika brauche keinen »Marshallplan«, wie er auf dem G-20-Gipfel beraten werden soll. »Sie müssen endlich die Souveränität der afrikanischen Staaten respektieren, statt über unsere Köpfe hinweg über unsere Zukunft zu entscheiden«, rief die Politikerin unter dem Beifall der Zuhörer aus.

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    Start in die Protestwoche

    Tausende demonstrieren in der Hamburger Innenstadt gegen G 20. Beamte behindern Aufbau von Zelten der Gipfelgegner
    André Scheer und Georg Hoppe, Hamburg
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    Bis zu 25.000 Menschen demonstrierten am Sonntag in Hamburg

    Während in der Hamburger City am Sonntag Tausende Menschen gegen die Politik der »G 20« demonstriert haben, hat sich die Polizei der Hansestadt im Viertel Rothenburgsort erneut über Urteile der Gerichte hinweggesetzt. Obwohl das Verwaltungsgericht Hamburg am Sonnabend den Aufbau des »Antikapitalistischen Camps« im Elbpark genehmigt und auch das Errichten von Schlafzelten befürwortet hatte, hinderten die Beamten die Aktivisten am Betreten des Platzes. Die Uniformierten erklärten, dass noch kein Auflagenbescheid vorliege, weshalb der Aufbau nicht beginnen könne. Allerdings lag auch kein schriftliches Verbot vor, so dass den Organisatoren auch eine juristische Intervention verwehrt blieb.

    In ersten Reaktionen empörten sich Sprecher der Demonstranten über den »krassen Verfassungsbruch« der Sicherheitskräfte. Deren Verhalten komme einem »Putsch der Polizei gegen die Justiz« nahe, hieß es. Im Gespräch mit junge Welt berichtete ein Mitglied der Vorbereitungsgruppe, dass bereits am S-Bahnhof Rothenburgsort Polizisten versucht hätten, die ankommenden Demonstranten zum Umkehren zu überreden.

    Nachdem der Zugang nicht gewährt worden und es zu Rangeleien mit der Polizei gekommen war, wurde eine Dauerkundgebung angemeldet. Die Demonstranten begannen mit dem Aufbau von Einzel- und Gruppenzelten sowie weiterer Campinfrastruktur am Straßenrand und auf der Fahrbahn. Eine Infowand wurde von einer Polizeieinheit weggetragen und später zurückgegeben. Rund 200 Teilnehmer kündigten an, bis zur Durchsetzung des Camps vor Ort bleiben zu wollen. Aus dem linken Zentrum »Rote Flora« hieß es laut einer Sprecherin, die dort für den Abend geplante Vollversammlung zur Repression gegen die Camps werde aus Solidarität zum geplanten Zeltlager nach Entenwerder verlegt. Kurz vor jW-Redaktionsschluss wurde ein Angebot der Versammlungsbehörde bekanntgegeben: Die Größe des Camps sei auf ein Viertel zu verringern. Es solle keine Duschen geben, außerdem dürfe nicht gekocht und geschlafen werden. Die Camp-Organisatoren lehnten dies ab.

    Solidaritätsbekundungen erhielt das Vorbereitungsteam des Zeltlagers auch aus der Innenstadt. Redner der Kundgebung »G-20-Protestwelle« auf dem Rathausmarkt forderten die Behörden auf, die Gerichtsurteile zu respektieren. Einige Aktivisten bauten mitten in der Abschlusskundgebung ihre Zelte auf. Soll uns die Polizei doch hier, direkt vor dem Rathaus und unter den Augen der Öffentlichkeit, räumen, erklärten sie. »Hamburg muss sich jetzt entscheiden: Rechtsstaat oder Polizeistaat«, sagte Nico Berg von der Interventionistischen Linken.

    An der Großdemonstration, zu der Gewerkschaften, Umwelt- und Bürgerrechtsgruppen aufgerufen hatten, beteiligten sich gestern Tausende. Während die Polizei zunächst nur 4.000 Teilnehmer gezählt haben wollte und sich später auf 10.000 korrigierte, sprachen die Veranstalter von 25.000 Menschen, die sich zu Fuß rund um die Binnenalster sowie mit 130 Booten auf dem Gewässer bewegt hätten, um ihren Protest gegen die Politik der G 20 deutlich zu machen. »Gemeinsam haben wir ein Zeichen für soziale Gerechtigkeit, mehr Demokratie, die Rettung des Klimas und gegen neoliberale Politik gesetzt«, zeigten sich die Veranstalter anschließend per Pressemitteilung zufrieden, obwohl sie einräumten, mit einer größeren Teilnehmerzahl gerechnet zu haben. »Trotzdem haben wir deutlich gezeigt, dass unsere Initiative für einen Politikwechsel der G-20-Staaten von der Mitte der Gesellschaft getragen wird.«

    Siehe Seiten 4, 6 und 8

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    Antikapitalistisches Camp durchgesetzt

    Noch ist es nur eine leere Wiese: Hier soll heute das Antikapitalistische Camp entstehen

    Das zweite Protestcamp der G-20-Gegner nimmt Formen an. Nachdem am Sonnabend bereits der Aufbau des Zeltlagers im Volkspark Altona begonnen hatte – wobei die Polizei das Übernachten im Camp verhindern will –, soll heute das Antikapitalistische Camp hinzukommen. Es entsteht allerdings nicht, wie ursprünglich gefordert, im Hamburger Stadtpark, sondern im Elbpark Entenwerder im Stadtteil Rothenburgsort.

    Wie die Organisatoren des Camps auf ihrer Homepage informieren, konnten sie am Sonnabend vor dem Verwaltungsgericht Hamburg einen Erfolg erringen. Das Gericht habe entschieden, »dass wir ab Sonntag mittag um 12 Uhr im Elbpark Entenwerder (S-Bahn Rothenburgsort) ein Camp – inklusive Schlafzelte – errichten dürfen«.

    Vorausgegangen war ein wochenlanger Rechtsstreit, der seinen Höhepunkt vor dem Bundesverfassungsgericht gefunden hatte. Dessen Urteil, das Camp als ganzes sei als Versammlung zu werten, wurde im Kooperationsgespräch von der Versammlungsbehörde schlicht ignoriert. Stattdessen wurde in der Verbotsverfügung eine Fläche mitten im Bergedorfer Industriepark bestimmt, fernab von jeder Öffentlichkeit, und dafür sogar noch eine Miete verlangt, während Schlafzelte und Küchen verboten wurden. »Die Polizei kümmert sich offensichtlich einen Dreck darum, was Versammlungsrecht und Gerichte sagen. Das ist also das versprochene Fest der Demokratie!«, kommentierte Francesca vom Vorbereitungsteam des Camps.

    Nun hat sich jedoch ausgezahlt, dass die Organisatoren des Camps »hilfsweise« einen anderen Ort für ihre Versammlung, nämlich den Elbpark Entenwerder, angemeldet hatten. Auch dieser war von den Behörden verboten worden. Das Verwaltungsgericht urteilte am Sonnabend jedoch, dass das Verbot des Ortes nur mit einer ausreichenden Gefahrenprognose zu begründen sei. Diese sei jedoch nicht durchgeführt worden. Zudem erklärten die Richter, dass das Verbot von Schlaf- und Küchenzelten gegen den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts verstoße.

    »Wir sind richtig sauer, dass die Hinhalte- und Verbotstaktik der Polizei uns so lange behindert hat«, sagt Jochen dazu. »Eigentlich hätte das Camp schon seit zwei Tagen voll aufgebaut sein sollen. Auch das vorbereitete Programm hätte längst schon begonnen haben sollen. Aber wir sind hoch motiviert, jetzt gemeinsam mit richtig vielen Menschen aufzubauen.«

    Trotzdem ist man skeptisch, dass der Aufbau des Zeltlagers problemlos ablaufen wird. »In der letzten Woche hat die Polizei mehrfach gezeigt, wie wenig sie von gerichtlichen Urteilen und Versammlungsrecht hält«, so die Organisatoren. »Wir brauchen also richtig, richtig viele Menschen! Helft uns, dieses Camp möglich zu machen, auch wenn sich (Innensenator Andy) Grote und seine Polizei nicht an die eigenen Regeln halten wollen. Zusammen bauen wir das Camp auf!« (jW)

    Homepage des Camps: g20camp.noblogs.org

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    Zum Auftakt eine Protestwelle

    Werbung für die »Protestwelle« am 26. Juni auf dem Rathausmarkt

    In Hamburg findet am heutigen Sonntag die erste große Demonstration im Rahmen der Proteste gegen den G-20-Gipfel statt. Ein Bündnis aus Umwelt-, Landwirtschafts- und Verbraucherschutzorganisationen, Gewerkschaften, Bürgerrechts- und kirchlichen Organisationen erwartet Zehntausende Teilnehmer, die unter dem Motto »G20 Protestwelle« nicht nur in der Innenstadt marschieren werden, sondern auch mit einer Bootsdemonstration auf der Binnenalster für einen gerechteren Welthandel werben wollen.

    Die Aktion soll nach Ansicht der Organisatoren auch ein deutliches Zeichen gegen das von der EU und Japan geplante Handelsabkommen JEFTA sowie gegen eine Wiederbelebung des zwischen Brüssel und Washington ausgehandelte TTIP setzen. Die bislang unter Verschluss gehaltenen Inhalte von JEFTA waren vor wenigen Tagen veröffentlicht worden. Medienberichten zufolge wollen Brüssel und Tokio die unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführten Verhandlungen noch vor dem G-20-Gipfel zum Abschluss bringen. »Mit der G-20-Protestwelle ergreifen wir jetzt die Gelegenheit, die Verhandlungspartner mit unserem Nein zu JEFTA zu konfrontieren«, sagt Uwe Hiksch von den Naturfreunden Deutschlands als Anmelder der Demonstration.

    Beginn der Veranstaltung ist am heutigen Sonntag um 11.30 Uhr auf dem Hamburger Rathausmarkt. Als Rednerinnen und Redner angekündigt sind der Bundesvorsitzende der Naturfreunde, Michael Müller, Sarah Händel vom Bundesvorstand von Mehr Demokratie, Sweelin Heuss von der Greenpeace-Geschäftsführung, DGB-Bundesvorstandsmitglied Stefan Körzell, Nelini Stamp von #ResistTrump aus den USA sowie Campact-Geschäftsführungsmitglied Christoph Bautz.

    Anschließend zieht der Demonstrationszug durch die Innenstadt (Rathausmarkt - Ballindamm - Lombardsbrücke - Gorch-Fock-Wall - Johannes-Brahms-Platz - Kaiser-Wilhelm-Str. - Rödingsmarkt - Bei den Mühren - Zippelhaus - Brandstwiete - Bergstraße - Rathausmarkt).

    Zurück auf dem Platz vor der Hamburger Regierungszentrale sprechen ab 15.00 Uhr Jörn Kalinski von Oxfam, der stellvertretende Vorsitzende des BUND, Ernst-Christoph Stolper, die Klimaaktivistin Selina Leem von den Marshall Islands, der ghanaische Gewerkschafter Kwabena Nyarko Otoo, der im deutschen Exil lebende türkische Journalist Hayko Bağdat, Maria Luisa Werne von der Vereinigung Solidarische Landwirtschaft sowie Alexander Porschke vom NABU. (jW)

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    Anwaltlicher Notdienst: Hilfe gegen Repression

    Erste Hilfe gegen die Repression will der Anwaltliche Notdienst sicherstellen

    Zur Sicherung rechtsstaatlicher Verfahren in der Zeit der zu erwartenden Proteste rund um den G-20-Gipfel in Hamburg haben Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zusammen mit dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV) einen Anwaltlichen Notdienst eingerichtet. Der Notdienst ist in enger Kooperation mit dem Hamburger Ermittlungsausschuss (EA), der Roten Hilfe e.V. und weiteren Antirepressionsgruppen organisiert worden.

    Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Notdienstes werden bei Demonstrationen oder anderen Protestaktionen unmittelbar vor Ort sein, um Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer bei der Verwirklichung und Durchsetzung ihrer Grundrechte zu unterstützen und im Fall der Fälle gegenüber den Polizeibehörden zu vertreten.

    Eine zentrale Aufgabe des Anwaltlichen Notdienstes ist die Vertretung Betroffener von freiheitsentziehenden Maßnahmen, die im Zusammenhang mit den Protesten gegen den Gipfel in Hamburg durch die Polizei vollzogen werden. Hierfür wird der Notdienst bei Versammlungen, Protestaktionen und auch in den Gefangenensammelstellen präsent sein und beraten sowie bei richterlichen Anhörungen Betroffene anwaltlich vertreten.

    Der Notdienst des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins e.V. ist in dringenden Fällen über den Hamburger Ermittlungsausschuss zu erreichen: Tel. +49 (0)40 432 78 778. Homepage: www.anwaltlicher-notdienst-rav.org (jW)

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    Das andere Hamburg

    Die Teilnehmer des G-20-Gipfels sollen nur ein gefiltertes Bild der Hansestadt zu sehen kriegen. Doch an der Elbe gibt es auch eine Geschichte des Widerstands
    André Scheer
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    Hamburgs Friedensbewegung nutzt den Kriegsklotz am Stephansplatz häufig als Auftaktort ihrer Demonstrationen

    Manche Berliner halten Hamburg einfach für ein rührendes Dorf, das sich einbildet, eine Weltstadt zu sein. Echte Hamburger zucken über »so’n dumm Tüch« dann einfach mit der Schulter. Man braucht keinen Neunmalklugen aus der Hauptstadt, der einem sagt, ob man nun wirklich das »Tor zur Welt« ist oder nicht. Weniger selbstbewusst sind allerdings die Nadelstreifenträger im Hamburger Rathaus. Seit jeher versucht man dort, wo sich Regierung und Börse ein und dasselbe Gebäude teilen, der Stadt an der Spree den Rang abzulaufen. So freuten sich die feinen Hanseaten dumm und dämlich, als im Januar die Elbphilharmonie eröffnet wurde. Was sind schon 19 Jahre Bauzeit und 789 Millionen versenkte Euros gegen die unendliche Geschichte des Flughafens BER?

    Ansonsten steht Hamburg den Berlinern in Sachen Peinlichkeiten kaum nach – zumal man manches auch noch gemeinsam verbrochen hat. Wer erinnert sich noch an die jahrelangen Planungen für einen Transrapid zwischen Hamburg und Berlin? Als das Projekt im Jahr 2000 beerdigt wurde, hatte es bereits umgerechnet 200 Millionen Euro verschlungen.

    Was Berlin 1936 hatte, bleibt Hamburg auch weiterhin verwehrt: Olympische Sommerspiele. 2024 sollte es nach dem Willen des Deutschen Olympischen Sportbundes und aller Hamburger Bürgerschaftsfraktionen – mit Ausnahme der Linken – soweit sein. Hamburg bewarb sich offiziell um die Ausrichtung. Um gegenüber den Entscheidern vom IOC punkten zu können, beraumte die Bürgerschaft ein Referendum an, um sich das Prestigeprojekt absegnen zu lassen. Doch die Hamburgerinnen und Hamburger behielten einen kühlen Kopf. Mit 51,6 Prozent Neinstimmen erteilten sie der Bewerbung eine Absage.

    Die Rache des Olaf Scholz

    Eine persönliche Niederlage für Hamburgs Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Der rächt sich nun mit dem G-20-Gipfel an der Bevölkerung. Wer das Mega-Kommerz-Event nicht haben wollte, bekommt nun Donald Trump, Recep Tayyip Erdogan und Michel Temer nebst deren schießwütigen Bodyguards und einem über weite Teile des Stadtgebiets verhängten Ausnahmezustand. Für den US-Präsidenten stellt der Senat sein nobles Gästehaus zur Verfügung und genehmigt dessen Sicherheitsdienst den Einsatz von Spionagedrohnen über Hamburg. Demonstranten dagegen sollen nach dem Willen der Behörden nicht einmal in Zelten übernachten dürfen.

    Das Gipfeltreffen findet in den Hamburger Messehallen statt, wo ansonsten Nobelyachten und Sportpferde für die Pfeffersäcke angeboten werden. Damit dort das Ambiente stimmt, wurden in den vergangenen Jahrzehnten die angrenzenden Stadtteile, vor allem das Karolinen- und das Schanzenviertel, durch den Reißwolf der Gentrifizierung gezogen. Aus »unseren Vierteln« wurden in weiten Teilen touristische Sehenswürdigkeiten, die in den Reiseführern wegen ihrer tollen Modegeschäfte beworben werden. Doch ganz auf Linie gebracht sind »Karo« und »Schanze« bis heute nicht. Davon zeugen die unzähligen Protesttransparente und Plakate, die an den Häusern und in den Schaufenstern der Geschäfte zu sehen sind.

    Das Potential unbotmäßiger Einwohner reicht auch heute noch aus, um der Polizei einen Grund zu liefern, die gesamte Umgebung zum »Gefahrengebiet« zu erklären. So wurden 2014 50.000 Menschen in St. Pauli, Eimsbüttel und Altona unter Generalverdacht gestellt. Als das Hamburger Oberverwaltungsgericht diese Maßnahme im Mai 2015 für verfassungswidrig erklärte, reagierte der von SPD und Grünen gestellte Senat darauf, indem er das »Gefahrengebiet« in »gefährliche Orte« umbenannte – und die Befugnisse der Polizei ausweitete. Mitten in diese »gefährlichen Orte« werden nun die Staatsgäste kutschiert.

    Zu sehen bekommen die Staatsgäste ein gefiltertes Hamburg, werden vom Flughafen zur Elbphilharmonie und vom Tagungssaal in ihre Nobelhotels kutschiert. Für sie unsichtbar bleiben sollen das »andere Hamburg« und seine Geschichte.

    Erinnern wir an Klaus Störtebeker, der Ende des 14. Jahrhunderts als Seeräuber mit seinen Likedeelern die Küste unsicher machte, die reich beladenen Schiffe der Hanse überfiel und die Beute unter der armen Bevölkerung verteilte. Am 21. Oktober 1401 soll er mit 72 Gefährten auf dem Grasbrook enthauptet worden sein. Dort steht heute ein 1982 errichtetes Denkmal für den Seeräuber – die offiziöse Internetseite hamburg.de kokettiert damit, dass es wohl einmalig sei, dass »eine Stadt ihrem eingeschworenen Feind und einem hingerichteten Verbrecher ein Denkmal errichten ließ«. Bereits 1897 wurde dagegen Simon von Utrecht, der die Jagd auf Störtebeker geleitet hatte, mit einem Standbild an der Kersten-Miles-Brücke geehrt. 1985 wurde seine Statue »enthauptet«, hinterlassene Parolen lauteten »Störtebeker lebt« und »Wir kriegen alle Pfeffersäcke«.

    Denkmäler waren und sind auch in Hamburg immer wieder Gegenstand heftiger öffentlicher Debatten geblieben. Vierzig Jahre etwa dauerte es, bis Hamburg nach der Befreiung vom Faschismus 1945 wieder ein Denkmal für den Dichter Heinrich Heine bekam. Dieser hatte ab 1816 einige Jahre in Hamburg gelebt hatte und war der Hafenstadt bis zu seinem Tod in einer widersprüchlichen Hassliebe verbunden geblieben. Ein Denkmal des Dichters, das im Hamburger Stadtpark stand, wurde von den Faschisten eingeschmolzen, Heines Bücher wurden 1933 zusammen mit denen vieler anderer Autoren verbrannt. Doch auch nach der Befreiung blieb Heine in Hamburg unerwünscht. Erst am 11. Mai 1982 wurde ein neues Denkmal enthüllt. Als späte Wiedergutmachung steht die Figur eines nachdenklichen Heinrich Heine heute auf einem Granitsockel mit vier Bronzereliefs auf dem Rathausmarkt. Erläuternde Texte erinnern an die Bücherverbrennung und an die Zerstörung des alten Heine-Denkmals durch die Hitlerfaschisten.

    Schon 1929 schrieb Kurt Tucholsky: »Die Zahl der deutschen Kriegerdenkmäler zur Zahl der deutschen Heine-Denkmäler verhält sich hierzulande wie die Macht zum Geist.« Das hat sich bis heute nicht geändert. Würde der Dichter am Rathausmarkt den Blick heben, sähe er auf der anderen Seite des Platzes, direkt an der Alster, ein Kriegerdenkmal. »Vierzigtausend Söhne der Stadt ließen ihr Leben für euch – 1914–1918« heißt es dort auf der dem Rathausmarkt zugewandten Seite einer 21 Meter hohen Stele. Auf der Rückseite, fast nur vom Wasser aus zu sehen, zeigt sie das Relief einer trauernden Mutter. Das offizielle Hamburg verweist gerne auf dieses von Ernst Barlach geschaffene Bildnis, das von den Nazis durch einen Adler ersetzt, nach dem Krieg jedoch wieder restauriert wurde. Doch die Halterung, um an diesem »Denkmal für die Gefallenen beider Weltkriege« – so der offizielle Name – Kränze niederzulegen, befindet sich auf der Seite mit der martialischen Inschrift.

    Ein weiteres Relikt steht am Stephansplatz, wenige Schritte vom Hamburger Kongresszentrum CCH entfernt. Der »Kriegsklotz«, wie er im Volksmund heißt, ist ein sieben Meter hoher Block aus Muschelkalk, der 1936 von den Nazis zu Ehren des Infanterieregiments 76 errichtet wurde. Als ­Relief marschieren um den Klotz 88 lebensgroße Soldaten unter der Inschrift »Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen«. Die Hamburger Punkband »Slime« beantwortete das einst mit ihrem Lied »Deutschland muss sterben, damit wir leben können«.

    Zu einem Abriss des hässlichen Klotzes hat sich das offizielle Hamburg nie durchringen können. Als Kompromiss beauftragte man 1983 den Wiener Bildhauer Alfred Hrdlicka (1928–2009) mit der Gestaltung eines Gegendenkmals, das den »76er«-Klotz kommentieren sollte. Hrdlicka schuf zwei von ursprünglich vier Teilen seines Denkmals, bevor ihm das Geld ausging. Der Senat jedoch lehnte es ab, dem Künstler weitere Mittel zur Verfügung zu stellen – ein Denkmal ist ja keine Elbphilharmonie. Bis heute ist das Gegendenkmal deshalb unvollendet und geht neben dem Klotz unter. Seit Ende 2015 ergänzt jedoch auch ein Mahnmal für die von den Nazis ermordeten Deserteure und die Opfer der Militärjustiz den Platz.

    Kulturfabrik Kampnagel

    Eine ganz andere Form von Denkmal ist die Kulturfabrik Kampnagel, in der am 5. und 6. Juli die Teilnehmer des »Gipfels für globale Solidarität« zusammenkommen. Das freie Theater bietet mit sechs Bühnen und einem Kino ausreichend Platz für Debatten über Globalisierung und Solidarität. Bis 1968 war Kampnagel unter dem Namen »Nagel & Kaemp« eine Fabrik für Ladekräne. Der Hamburger Schriftsteller Willi Bredel machte das Werk und seine Arbeiter zu Protagonisten seines Romans »Maschinenfabrik N&K«.

    Wer in einer Konferenzpause von Kampnagel aus einen vielleicht 20minütigen Spaziergang unternimmt, kommt dorthin, wo am 23. Oktober 1923 der Hamburger Aufstand tobte.

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    Baut auf, baut auf!

    G 20: Protestcamper in Altona errichten ihre Zelte. Wachsende Spannungen ­zwischen teilnehmenden Staatsoberhäuptern im Vorfeld des Gipfels
    Kristian Stemmler
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    Probelauf für die Zeltstadt: Aktivisten Mitte Juni vor der Elbphilharmonie

    Während die ersten Protestcamper in Hamburg ihre Zelte aufbauen, stehen eine Woche vor Beginn des dortigen G-20-Gipfels die Zeichen auf Sturm – nicht nur auf den Straßen der Stadt, sondern auch auf dem Gipfelparkett. Der Spiegel meldete am Freitag, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe ihren Chefunterhändler Lars-Hendrik Röller nach Washington geschickt. Er soll ausloten, ob die USA noch zu Kompromissen beim Treffen bereit seien. »Falls die USA aus weiteren internationalen Vereinbarungen aussteigen, steht auch der G-20-Gipfel in Hamburg vor dem Scheitern«, schreibt das Nachrichtenmagazin.

    Die US-Regierung blockiere, so der Spiegel, nicht nur die Zusammenarbeit in der Klimapolitik und in Handelsfragen. Berlin habe auch Hinweise darauf, dass die Administration von Präsident Donald Trump die Kooperation im Kampf gegen Steueroasen und Steuerdumping aufkündigen könnte. Dass zumindest in Sachen Klimaschutz nicht mit ihm zu reden ist, bewies Trump am Donnerstag bei einer Rede in Washington. Man habe sich aus dem Klimaschutzabkommen zurückgezogen, »um amerikanische Jobs, Unternehmen und Arbeiter zu schützen«, sagte er laut AFP: »Ich möchte Ihnen sagen, dass wir stolz darauf sind.«

    Die Stimmung dürfte also nicht die beste sein, wenn am kommenden Freitag und Sonnabend die Staats- und Regierungschefs der 19 »wichtigsten Industrie- und Schwellenländer« sowie EU-Vertreter an der Elbe zusammenkommen. Nicht nur Merkel will mit dem US-Präsidenten ein Hühnchen rupfen. Auch Trump und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin werden keine Nettigkeiten austauschen, wenn sie sich laut Reuters beim Gipfel erstmals treffen. Vor allem das Thema Syrien verspricht Ärger. In der vergangenen Woche hatte die US-Administration von einem bevorstehenden Giftgasangriff der syrischen Regierung phantasiert und mit Luftangriffen gedroht.

    Dass es auch auf Hamburgs Straßen ungemütlich zugehen wird, dafür sorgt die Polizei mit neuen Provokationen. Sondereinheiten stürmten am Donnerstag die Wohnungen zweier Aktivisten der Gruppe Roter Aufbau Hamburg (jW berichtete). Der G-20-Ermittlungsausschuss bezeichnete die Aktion als »Einschüchterungsversuch gegen die Anti-G-20-Protestbewegung«. Dafür spreche »das martialische Auftreten der Polizei: Vermummte, dunkel uniformierte Einheiten zerstörten im Morgengrauen Eingangstüren und stürmten mit gezogenen Maschinenpistolen die Wohnungen von Linken.«

    Einen unerwarteten Erfolg konnten die Organisatoren des Protestcamps im Altonaer Volkspark erringen. Mit den Behörden sei es zu einer »Teileinigung« gekommen, erklärten sie am Freitag nachmittag. Man werde sofort mit dem Teilaufbau des Camps beginnen. Die Auftaktveranstaltung finde am Sonnabend um 12 Uhr im Jugendsportpark statt, ab 20 Uhr sei ein Konzert unter dem Titel »Rap gegen G 20« geplant. Keine Einigung sei über die Nutzung der Wiese im Volkspark erzielt worden.

    Von neuen Schikanen hatte der Ermittlungsausschuss noch am Donnerstag berichtet. Die Stadt verbiete nicht nur Protestcamps, sie übe auch »starken Druck« aus, um eine andere Unterbringung zu erschweren. Vereinen und Genossenschaften habe die Stadt verboten, Gipfelgegner aufzunehmen. Eine weitere Schikane: Den Organisatoren der »Welcome to Hell«-Demo am Donnerstag seien die Dixi-Klos gekündigt worden. Genug Toiletten dürften am Sonntag bei der Demo des Bündnisses »G-20-Protestwelle« um das Kampagnennetzwerk Campact bereitstehen. Diese Form bunten Protestes mit Bannermeer und Bootsdemo ist für Hamburgs Obere eine saubere Sache.

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    Verfassungsgericht lässt sich ignorieren

    Protest gegen Camp- und Demonstrationsverbote am Donnerstag abend im Hamburger Schanzenviertel

    Im Streit um das im Hamburger Stadtpark geplante Antikapitalistische Camp von G-20-Gegnern hat das Bundesverfassungsgericht am Freitag den Erlass einer weiteren einstweiligen Anordnung gegen die Veranstaltungsverbote der Behörden abgelehnt – und damit akzeptiert, dass die staatlichen Stellen der Hansestadt den Richterspruch vom Mittwoch ignorieren.

    Mit ihrem Eilantrag hatten die Organisatoren des Camps versucht, die Karlsruher Richter zu einer Konkretisierung ihrer Entscheidung von Mittwoch zu bewegen. Karlsruhe hatte der Stadt Hamburg aufgegeben, das Camp nach dem Versammlungsrecht und nicht nach der Grünflächenverordnung zu behandeln. Zudem sollten die Behörden einen »Ausgleich« mit den Veranstaltern suchen, der das Camp »möglichst weitgehend« ermöglichen sollte. Erste Gespräche waren allerdings ohne Einigung verlaufen, die Polizei will keine Übernachtungen in dem Park erlauben.

    Das Verfassungsgericht verwies die Camper nun zunächst an die Verwaltungsgerichte. Erst nach deren letztinstanzlichem Urteil kann wieder Verfassungsbeschwerde eingereicht werden.

    Unterdessen hat ein Konzert der Band Irie Révoltés in der »Roten Flora« die Woche der G-20-Proteste eingeleitet. Das Konzert sollte eigentlich unter freiem Himmel stattfinden, wurde aber wegen des schlechten Wetters in das Innere des Veranstaltungszentrums verlegt. Vor dem Gebäude im Schanzenviertel verfolgten trotz Regens Hunderte den Auftritt der Band auf einer Leinwand. In Redebeiträgen kritisierten Aktivisten die Demonstrationsverbote in der Hansestadt. (dpa/jW)

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    Wessen Welt ist die Welt?

    Unsere Zeitung begleitet den G-20-Gipfel in Hamburg mit einer Sonderredaktion und Reportern vor Ort
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    Das Großereignis vom kommenden Wochenende wirft bereits seine Schatten voraus. Teile Hamburgs sind zum undemokratischen Sektor gemacht worden. Das führende Management der G-20-Staaten soll von Protesten möglichst verschont bleiben. Die linke Szene lernt schon mal den Polizeistaat kennen. Mit allen Mitteln versuchen die Behörden, die Versammlungsfreiheit auf Bonsai-Größe zurückzuschneiden, wie die Auseinandersetzung um das Stadtpark-Camp demonstriert. Den Oberen passt die ganze Richtung nicht. Das ist auch nachvollziehbar, denn die Bewegung gegen den Gipfel in ihrer ganzen Breite zeugt von der wachsenden Ablehnung einer ungerechten Ordnung, dem lauter werdenden Nein zu einer Welt, die vom Geld regiert wird.

    Unsere Leitmedien werden ganz gewiss in aller Breite berichten – ausgewogen und überparteilich, versteht sich. Ein »Kessel Buntes« aus Hofberichterstattung, Polizeisprech, guten Demonstranten und bösen Chaoten erwartet Sie dort. Als Nebenwirkungen können Sehstörungen auftreten. Doch Hilfe ist unterwegs. Mit Reportern an den Brennpunkten des Geschehens und einem Team, das in der Redaktion die Dinge ordnet, sorgen wir ab dem kommenden Donnerstag für klare Sicht auf den Gipfel und vor allem auf Gipfelstürmer. Online wollen wir in unserem Blog, den sie unter www.jungewelt.de/g20 aufrufen können, mit laufenden Aktualisierungen – Meldungen, Fotos und Videos – für Durchblick sorgen. Bereits jetzt ist dort das Wichtigste aus unserer Vorberichterstattung dokumentiert. Aktive Hamburg-Besucher bekommen unter der Nummer 030/53 63 55-77 Anschluss an unser Team. Auch Hinweise per Mail (g20@jungewelt.de) sind willkommen. (jW)