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Aus: Ausgabe vom 02.05.2024, Seite 6 / Ausland
EU-Wahlen

»Auf lokaler Ebene aktiv werden«

Serie:Aufstieg der Rechten (Teil 2 von 7): In Dänemark drohen die zersplitterten reaktionären Kräfte zur Massenbewegung zu werden.
Von Morten Larsen
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Machtdemonstration auf der Straße: Bauernprotest in der dänischen Region Midtjylland (Holstebro, 6.11.2020)

Am 9. Juni wird das EU-Parlament neu gewählt. Das nehmen wir zum Anlass für eine Serie, die sich mit dem Aufstieg extrem rechter Kräfte in Europa beschäftigt. Die siebenteilige Reihe erscheint in Zusammenarbeit mit der dänischen Zeitung ­Arbejderen, der schwedischen ­Proletären und dem britischen Morning Star. Die Beiträge werden in allen vier teilnehmenden Zeitungen veröffentlicht, nachfolgend ein Artikel von Morten Larsen von Arbejderen. (jW)

Sollte es keine breite parteiübergreifende EU-Oppositionsbewegung geben, die den Kampf gegen die Sozialkürzungspläne aus Brüssel anleitet sowie der Wut und Frustration der Menschen eine Stimme gibt, »dann wird es die Rechte sein, die den Widerstand organisiert«. Davon ist die Vorsitzende des EU-Ausschusses in der Dänischen Kommunistischen Partei (KP), Karen Sunds, überzeugt, wie sie im Gespräch mit der dänischen Tageszeitung Arbejderen warnte. Sunds ist Mitglied der »Folke­bevægelsen mod EU« (»Volksbewegung gegen die EU«), die EU-Gegner parteiübergreifend auf einer antirassistischen und solidarischen Grundlage zusammenbringen will.

In der Folkebevægelsen war sie an einer Vielzahl von Kampagnen beteiligt, zum Beispiel gegen die EU-Entsenderichtlinie, das Outsourcing, die Kürzungen der öffentlichen Haushalte und den EU-Binnenmarkt sowie die sogenannte Freizügigkeit innerhalb der Union. Der Grund: Diese führten zu furchtbaren Wohn- und Arbeitsbedingungen für ausländische Arbeiter, die durch Lohndumping ausgebeutet werden. 1979 war die »Volksbewegung gegen die EU« zum ersten Mal in das EU-Parlament gewählt worden, wo sie bis zur vergangenen Wahl 2019 vertreten war. Zuletzt hatte sie es jedoch nicht geschafft, die mehr als 70.000 Unterschriften zu sammeln, die in Dänemark erforderlich sind, um bei den bevorstehenden EU-Wahlen am 9. Juni kandidieren zu dürfen.

»In anderen europäischen Ländern, in denen es keine breite, parteiübergreifende Anti-EU-Bewegung gibt, machen rechte Kräfte wie Marine Le Pen in Frankreich und die Alternative für Deutschland in der Bundesrepublik erfolgreich Wahlkampf gegen die EU«, führte Sunds gegenüber Arbejderen aus. In den Niederlanden sei die Partij voor de Vrijheid (PVV) von Geert Wilders im Begriff, sich an die Spitze aller politischen Formationen zu setzen. In Dänemark wiederum habe Sunds zufolge die Existenz einer fraktionsübergreifenden Volksbewegung dazu beigetragen, den Einfluss der extremen Rechten begrenzen zu können.

Geschickt eingeklinkt

Laut einer Analyse des European Council on Foreign Relations werden EU-kritische Rechtsparteien in einer Reihe von Ländern bei den EU-Parlamentswahlen zahlreiche Stimmen erhalten. Dann würden rechte Parteien in neun der 27 Mitgliedstaaten zur stärksten Kraft, darunter in Polen, Österreich, der Tschechischen Republik, in Ungarn und Frankreich. Auch in Deutschland, Spanien, Portugal und Schweden werden die Rechtsparteien laut der Analyse gut abschneiden. Die Rechten »haben sich geschickt in die Bewegungen eingeklinkt, die dagegen protestieren, die Rechnung für die Klimakrise auf die Landwirte und einfachen Menschen abzuwälzen«, sagte die KP-Politikerin gegenüber Arbejderen.

So hatte etwa die niederländische Regierung im Jahr 2022 insgesamt 25 Milliarden Euro bereitgestellt, um landwirtschaftliche Betriebe aufzukaufen und die Tierproduktion um ein Drittel zu reduzieren. Diese Ankündigung veranlasste die Landwirte, Demonstrationen mit Landmaschinen zu organisieren, die zu Staus auf 1.200 Straßenkilometern und gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Polizei und Bauern führten. Die Rechten sprechen auch die Angst an, die Kontrolle über die Lebensmittelversorgung zu verlieren, da angeblich immer mehr Fleisch von hormonbehandelten Tieren aus dem Ausland und gentechnisch veränderte Lebensmittel in den Regalen der EU-Supermärkte auftauchten. Aus Sicht der dänischen Kommunistin greife in ganz Europa eine Stimmung in der Bevölkerung gegen Regierungen um sich, die lokal erzeugte Lebensmittel zugunsten von billigem Fleisch und Getreideimporten aus der Ukraine vernachlässigten – bei zugleich steigenden Preisen für Lebensmittel und Energie. »Zusätzlich werden Steuern auf Diesel eingeführt, und die Löhne halten nicht Schritt«, kritisierte Sunds.

Im Vergleich zu anderen EU-Ländern ist die dänische Rechte heute in viele verschiedene Parteien gespalten. Richtig gefährlich könne es aber werden, sollte sie in der Arbeiterklasse und den sozialen Bewegungen Fuß fassen und zum Massenphänomen werden, warnt die Vorsitzende des EU-Ausschusses. Wenn sich der Klassenkampf in Dänemark verschärfe und soziale Massenbewegungen entstünden, werde die extreme Rechte auch hier versuchen, die Situation für sich auszunutzen.

EU-Opposition vonnöten

Dabei gab es bereits Versuche rechter Kräfte, die Wut der Landwirte zu instrumentalisieren. In Jütland und Seeland beispielsweise versammelten sich Hunderte von Menschen gegen die Pläne zur Einführung einer CO2-Steuer für die Landwirtschaft. Mit Würstchen und Bier, einem Ritt auf einem mechanischen Rodeobullen und einem Wettbewerb, bei dem man eine Heißluftfritteuse gewinnen konnte, hatten die Danmarksdemokraterne in Kombination mit politischen Botschaften versucht, die Menschen zu mobilisieren. Gleichzeitig hat der parlamentarische Teil der Linken – das »rot-grüne« Bündnis Enhedslisten – seine konsequente Ablehnung der EU zugunsten der Idee aufgegeben, dass die Europäische Union in ein Solidaritätsprojekt zum Wohle der einfachen Menschen umgewandelt werden kann. »Wenn die Linke gleichzeitig ihren Widerstand gegen die EU aufgibt, erhalten rechte Kräfte freie Hand und die Möglichkeit, direkt an die EU-Opposition anzuknüpfen, die in weiten Teilen der dänischen Arbeiterklasse existiert«, mahnte Sunds.

Aus Sicht der KP-Politikerin sei es verhängnisvoll, dass die EU-Opposition zu einer Zeit schwach entwickelt ist, in der sie vielleicht so gebraucht werde wie noch nie zuvor. Der effektivste Weg, die rechten Kräfte zu stoppen, sei die aktive Beteiligung an den Kämpfen in der Bevölkerung. »Wir müssen uns auf bestimmten Plattformen vernetzen. Wenn wir die Menschen organisieren und sie aktiv werden lassen, können wir – und nicht die Rechten – dazu beitragen, die Bewegung zu politisieren und ihr eine Richtung zu geben.« Die aktiven Kräfte werden sich selbst vergewissern, wie Brüssel Sozialabbau vorantreibt und in welches Verhältnis zwischen der Armut der Arbeiterinnen und Arbeiter in allen Mitgliedstaaten und dem EU-Binnenmarkt besteht. »Und dann werden die Menschen schnell zu dem Schluss kommen, dass die einzige Lösung darin besteht, die EU zu verlassen«, sagte Sunds.

Es brauche eine parteiübergreifende Opposition zu dem Staatenbündnis, die wieder an Stärke gewinnen und auf lokaler Ebene aktiv werden müsse. Sunds nannte gegenüber Arbejderen zwei Wege, auf denen das zu erreichen sei: Entweder stellt sich die »Folkebevægelsen mod EU« neu auf, um eine starke Kraft zu werden, die in der Bevölkerung verwurzelt ist. Falls das nicht gelingt, müsse Sunds zufolge eine neue, breit angelegte Anti-EU-Bewegung aufgebaut werden, die auf konkreten Initiativen fußt. »Wir müssen uns mit den einfachen Menschen auseinandersetzen und ihre Sorgen ernst nehmen. Wir müssen eine breite Volksbewegung schaffen, Netzwerke bilden und die Kräfte bündeln, die zum Beispiel gegen Kürzungen und Sozialdumping kämpfen«, forderte die KP-Politikerin gegenüber der Zeitung.

Lesen Sie morgen: Ein Gespräch mit dem linken Journalisten Giuliano Marucci zur ­Situation in Italien

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In der Serie Aufstieg der Rechten:

Die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union sind am 9. Juni aufgerufen, das EU-Parlament neu zu wählen. Aus diesem Anlass berichtet die junge Welt vom Aufstieg extrem rechter Kräfte in verschiedenen europäischen Ländern. Im Rahmen dieser Serie werden sowohl Artikel als auch Interviews und Analysen veröffentlicht.

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