4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 25.04.2024, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Bedingungen in Heimen

»Skandal-Pflegeheim« ist kein Einzelfall

Pflegekraft löst Noteinsatz wegen Personalmangels aus. Alle entsetzt. Dabei hätte Politik es in der Hand
Von Susanne Knütter
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Eine pflegebedürftige Frau in einem sogenannten Pflegeübungszentrum (Mellrichstadt, 4.5.2023)

Anderthalb Wochen ist es her, dass eine Pflegekraft in einem Berliner Seniorenheim auf Grund von Personalmangel den Notruf rief und einen Feuerwehr- und Polizeieinsatz auslöste. Ihr Dienst endete 22:30 Uhr, aber für die Nachtschicht waren nur zwei Assistenten eingesetzt, die nicht zur Ausgabe von Medikamenten berechtigt waren. Die Heimleitung war nicht zu erreichen.

Die Domicilgruppe, die das Seniorenheim »Am Schloss Friedrichsfelde« betreibt, erklärte den Personalmangel laut Medienberichten im Nachhinein mit einem EDV-Problem. Inzwischen wurde die Heim- und Pflegedienstleitung des Seniorenheims im Berliner Stadtteil Lichtenberg ausgetauscht. Am Montag beschäftigte sich das Abgeordnetenhaus mit dem Fall. Und die Kriminalpolizei ermittelt wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Denn in der besagten Nacht sei eine 65jährige Bewohnerin gestorben, die intensiver Pflege bedurfte.

In den Medien ging der Fall rauf und runter. Die B.Z. fand reißerische Namen für die Einrichtung: Krisen-Pflegeheim, Skandal-Pflegeheim, Pflegeheim-Schande. Dabei ist der Fall nicht einmalig. Bereits 2015 berichteten die Zeitungen von einem ähnlichen Vorfall in Berlin-Rudow. Und der tagtägliche Pflegenotstand ist ja auch bekannt. So erklärte Verdi am Montag: »Das System ist das Problem«. Die »Rothgang-Studie« von 2022 habe ergeben, dass bis 2030 mindestens 51.000 Pflegekräfte fehlen werden. Würde man mit einem ausreichenden Personalschlüssel arbeiten, bräuchte es sogar 186.000 zusätzliche Kräfte, so Verdi. Aber häufig seien Dienstpläne so gestaltet, dass schon eine einzige Krankmeldung eine akute Krisensituation auslöst. Oft fehlten Springer- und Ausfallkonzepte. Die Politik trage dafür eine Mitverantwortung. Durch die bundesgesetzlichen Finanzierungsvorgaben für die Pflegekassen sei festgeschrieben, dass nur 40 Prozent des zusätzlich notwendigen Personals refinanziert werden.

Und auch die Landespolitik könnte mehr tun. Berliner Senat, Pflegekassen und Leistungserbringer müssten, z. B. in den Landesrahmenverträgen, Vereinbarungen treffen, wie »Personalstandards auf Landesebene festgelegt und wirksam kontrolliert werden«, erklärte Verdi-Sekretärin Gisela Neunhöffer. Wenn nicht, dann »ist es nur eine Frage der Zeit, bis das nächste Mal Notarzt und Feuerwehr ausrücken müssen«.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (24. April 2024 um 21:20 Uhr)
    Natürlich könnte man mehr tun, tut man aber nicht. Weil: Hier herrscht Staatsräson. ›Vorrang der Staatsinteressen vor allen anderen Interessen‹ interpretiert, eine zweite Definition sieht Staatsräson als ›Staatsnotwendigkeit, im Gegensatz zur individuellen Vernunft und Notwendigkeit‹«. Da braucht man noch nicht einmal den ideellen Gesamtkapitalisten bemühen. Offensichtlich dauert es ziemlich lange, bis sich solche Weisheiten herumsprechen. Sapere aude! (Wage es, weise zu sein!) Weil Kant-Jahr ist: »Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!« Meistens fehlt beides, nicht nur der Mut.

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