4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 24.04.2024, Seite 7 / Ausland
Ecuador

Absage an neoliberales Programm

Ecuador: Bevölkerung stimmt für Armeeeinsatz im Inneren, aber gegen Umbau der Wirtschaft
Von Volker Hermsdorf
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Der »große Sieg« bei dem Referendum ist ihm nicht gelungen: Bananenkönig und Präsident Daniel Noboa (Guayaquil, 21.4.2024)

Ecuadors rechter Präsident Daniel Noboa kann nach dem Ergebnis eines Referendums vom Sonntag künftig das Militär auch ohne Ausnahmezustand im Innern einsetzen. Von den rund 13,6 Millionen Berechtigten stimmten bei einer Wahlbeteiligung von 72 Prozent rund zwei Drittel für ein härteres Vorgehen gegen die Bandengewalt. Für neun der elf Fragen hatte der Staatschef wie erwartet eine Mehrheit erhalten. Zwei von ihm als entscheidend bezeichnete Projekte zum weiteren neoliberalen Umbau der Wirtschaft wurden allerdings abgelehnt. Trotz des Teilerfolges ist Noboas Wiederwahl im kommenden Februar damit ungewiss.

Nach Angaben des Nationalen Wahlrats stimmten 73 Prozent für eine Beteiligung der Streitkräfte an Polizeieinsätzen gegen das organisierte Verbrechen. Vor einem Jahr war ein entsprechender Antrag seines Vorgängers Guillermo Lasso noch abgelehnt worden. Mehr als 60 Prozent votierten dafür, dass Ecuadorianer bei bestimmten Vergehen an ausländische Staaten ausgeliefert werden. Da mit der Zustimmung zu drei Punkten die Verfassung geändert wurde, treten sie sofort in Kraft. Für sechs andere Vorhaben, die unter anderem zusätzliche Befugnisse für das Militär, härtere Strafen für verschiedene Delikte und den Einzug von Vermögen vorsehen, muss das Parlament innerhalb der nachfolgenden 60 Tage entsprechende Gesetzesänderungen verabschieden. Während Kritiker bezweifeln, dass derartige Maßnahmen der zunehmenden Gewalt ein Ende setzen werden, da die bereits durch den Ausnahmezustand ermöglichten Operationen des Militärs erfolglos waren, sieht Noboa sich bestätigt. »Jetzt werden wir mehr Mittel haben, um das Verbrechen zu bekämpfen und den ecuadorianischen Familien den Frieden zurückzugeben«, verbreitete er per Instagram.

Auf den ersten Blick erstaunlich scheint, dass sich auch die linke Opposition durch das Referendum bestätigt sieht. Der ehemalige Präsident Rafael Correa (2007–2017) bezeichnete das Ergebnis als »Sieg des Volkes« und »klare Niederlage für Noboa«, da er die Abstimmung über die beiden entscheidenden wirtschaftlichen Fragen verloren habe. »Das ecuadorianische Volk hat einem aufstrebenden Diktator das Handwerk gelegt«, zitierte die spanische Agentur Efe den Expräsidenten. Auch die Konföderation der indigenen Nationalitäten Ecuadors (Conaie) bewertete das Resultat als Abfuhr für neoliberale Weichenstellungen. So scheiterte Noboas Plan, die internationale Schiedsgerichtsbarkeit zur Beilegung von Streitigkeiten mit multinationalen Konzernen absegnen zu lassen, wodurch die Souveränität des eigenen Landes eingeschränkt worden wäre. Auch eine Flexibilisierung der Arbeitsgesetze, die noch mehr Zeitverträge ermöglichen sollte, erhielt keine Mehrheit.

Die klare Botschaft des Referendums laute »Ja zur Bekämpfung der Kriminalität und Nein zum Wirtschaftsmodell von Noboa«, erklärte Conaie. Der Koordinator der indigenen Partei Pachakutik, Guillermo Churuchumbi, verwies darauf, dass vier von zehn jungen Menschen keine Arbeit haben, fast sechs Millionen Ecuadorianer von drei US-Dollar und zwei Millionen von einem US-Dollar pro Tag leben sowie 80 Prozent der Bevölkerung auswandern wollen. In bezug auf die internationale Schiedsgerichtsbarkeit sagte er, dass das Volk keine transnationalen Unternehmen wolle, die den ecuadorianischen Staatshaushalt schädigen. Er erinnerte daran, dass das Land bisher in keinem einzigen Schiedsverfahren gewonnen hat und allein in diesem Jahr 2,6 Milliarden US-Dollar für die Bezahlung eines negativen Urteils veranschlagt würden. Laut Churuchumbi hätten bei einem Sieg Noboas in dieser Frage rund 55 Milliarden US-Dollar auf dem Spiel gestanden.

»Die Regierung wollte sich als großer Gewinner positionieren, was ihr aber nur teilweise gelungen ist«, kommentierte der Soziologe und Professor am Instituto de Altos Estudios Nacionales del Ecuador, Daniel Pontón, gegenüber dem Nachrichtenportal Brasil de Fato. Er bewertet das Ergebnis zwar als positiv für Noboas Regierung in Sicherheitsfragen, andererseits ebne es im Vorfeld der nächsten Wahlen aber auch den Weg für die Linke, weil sie den Vorstoß zu einer »neoliberalen Vertiefung« gekippt hat.

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