»S 21« brandgefährlich
Von Ralf WurzbacherBeim »Aktionsbündnis gegen S 21« ist man sicher: »Kein Zug wird fahren bei Stuttgart 21.« Warum nicht? Weil die Kosten immer weiter aus dem Ruder laufen? Weil der Start sich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag hinzieht? Das vielleicht auch, aber schwerer wiegt für die Projektgegner die mögliche Gefährdung durch den mangelnden Brandschutz im künftigen Tiefbahnhof und den viele Kilometer langen unterirdischen Zuläufen. Am vergangenen Freitag schlugen sie im Rahmen einer Pressekonferenz Alarm – zum wiederholten Mal. Die Deutsche Bahn (DB) sowie das Eisenbahnbundesamt (EBA) hätten zu keiner Zeit die Vorgaben der Tunnelrichtlinie hinreichend geprüft, wonach im Falle eines Feuerereignisses die »Selbstrettung gewährleistet« sein muss. Deshalb sei eine Inbetriebnahme unter Einhaltung der Brandschutzstandards »ausgeschlossen«.
Nach Ausführungen durch Christoph Engelhardt vom Faktencheckportal Wikireal.org ist bei halbierter Rettungswegbreite und einer Personenkapazität der Züge rund vierfach über dem Üblichen »in so langen Tunneln eine Evakuierung nicht rechtzeitig möglich«. Durch die verengten Querschnitte hole der Rauch die Fliehenden etwa doppelt so schnell ein wie von den Planern angenommen. Der Physiker zog Vergleiche zu ähnlichen Bauwerken im Ausland, die »alle ein um Faktoren höheres Sicherheitsniveau« erreichten, und sprach von einem »Geisterfahrerproblem«: Entweder seien die »S 21«-Tunnel »falsch ausgelegt oder aber alle anderen mehr als 50 internationalen Tunnel«. Die Verantwortlichen beteuern dagegen, der Brandschutz genüge den Anforderungen und sei regelkonform genehmigt. Allerdings könnten die DB und das EBA beispielsweise keine belastbaren Daten zur Dimensionierung der Rettungswege nach der Personenzahl vorlegen, monieren die Kritiker. Dabei wäre das »schon zur Planfeststellung nötig gewesen«.
Die »Ingenieure 22«, eine dem Aktionsbündnis nahestehende Gruppe von Fachleuten unterschiedlichster Disziplinen, pochten vor Gericht über sieben Jahre lang auf die Herausgabe einer Simulation eines Schweizer Planungsbüros im Auftrag der DB Projekt Stuttgart–Ulm GmbH (PSU). Von der hieß es einst, sie stelle eine Brandkatastrophe im Fildertunnel nach, dem mit neun Kilometern längsten Zulauf zum künftigen Stuttgarter Tiefbahnhof. Dabei sei der Beweis erbracht worden, dass sich alle 1.757 Passagiere eines vollbesetzten Doppelstockzuges unbeschadet und über Querstollen innerhalb von elf Minuten in die Nachbarröhre in Sicherheit retten könnten. Die Sache hat etliche Haken: Heute kalkuliert die Bahn mit bis zu 3.681 Fahrgästen pro Zug, während in vergleichbaren doppelröhrigen Tunneln in anderen Ländern Züge mit im Schnitt 1.000 Fahrgästen verkehren. Außerdem stellte sich während des Rechtsstreits heraus, dass besagtes Computermodell kein »Heiß-«, sondern ein »Kaltereignis« durchspielte. Was fehlte, war ein Feuer und noch viel mehr. Rauch- und Hitzeentwicklung? Mobilitätseingeschränkte Personen? Panikverhalten der Flüchtenden? Nichts davon war Gegenstand der Untersuchung.
Und jetzt das: Vor elf Tagen gab das Verwaltungsgericht Stuttgart einer Klage der Bahn gegen die von der Gegenseite verlangte Zwangsvollstreckung zur Freigabe des Videomaterials statt. Zuvor hatte ein Mitarbeiter der Schweizer Gruner AG erklärt, die Simulation sei schon vor acht Jahren mit DB-Zustimmung gelöscht worden. »Wo nichts mehr ist, kann auch nichts herausgegeben werden«, kommentierte Bündnissprecher Dieter Reicherter, früher selbst Richter, den Entscheid in einer Stellungnahme. Er sei »entsetzt, dass wieder einmal nur formale Tatbestände verfahrensbestimmend waren« und nicht die Frage, »dass mit realistischen Simulationsparametern die Evakuierung eines Zuges in der vorgeschriebenen Zeit nicht gelingt, in der Realität schon gar nicht«.
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