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Aus: Ausgabe vom 11.04.2024, Seite 4 / Inland
Entzug der Gemeinnützigkeit

ATTAC will weiter kämpfen

Globalisierungskritisches Netzwerk geht seit zehn Jahren gegen Entzug der Gemeinnützigkeit wegen politischer Betätigung vor
Von Marc Bebenroth
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Den Status versagt der Staat dem Netzwerk bis heute (6.12.2014)

Sie begreifen sich als »Teil der Brandmauer« gegen rechts und fordern, Reiche zumindest »gerecht« zu besteuern. Seit zehn Jahren geht ATTAC Deutschland gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit vor – durch alle Instanzen, wie Judith Amler vom bundesweiten Koordinierungskreis am Mittwoch in Berlin berichtet hat. Mit dem Bescheid des Finanzamtes Frankfurt am Main vom 14. April 2014 sei ein Präzedenzfall geschaffen worden, »der kritisches demokratisches Engagement der Zivilgesellschaft nicht nur erschwert, sondern in Teilen sogar verhindert«. Damals hatte die Behörde den Status entzogen, weil sich ATTAC »zu politisch« engagiert haben soll.

Gerade in Zeiten »multipler Krisen« müsse sich jede und jeder für demokratischen Zusammenhalt einsetzen. Dafür brauche es eigene Infrastruktur und Geld zum Anmieten von Räumlichkeiten. ATTAC Deutschland stehe »finanziell unter Druck«, erklärte Amler. Man sei zu über 90 Prozent spendenfinanziert. Nach dem Entzug des steuerlich begünstigten Status einer gemeinnützigen Organisation habe man zunächst eine »Welle an Solidarität« verspürt, erklärte Frauke Distelrath von ATTAC gegenüber den anwesenden Journalisten. Zuletzt aber sei das Spendenaufkommen zurückgegangen, was unter anderem mit der Inflation zusammenhänge. 2023 wurden demnach rund 1,6 Millionen Euro an ATTAC gespendet, im Jahr zuvor rund 1,9 Millionen. Auch für dieses Jahr plane man mit einer ähnlich geringen Summe.

Über eine Verfassungsbeschwerde, die ATTAC bereits vor drei Jahren in Karlsruhe eingereicht hatte, ist bis heute nicht entschieden worden. Wann sich das Bundesverfassungsgericht dem annehmen wird, »ist offen«, heißt es in einer Mitteilung des Netzwerks vom Mittwoch. Andreas Fisahn, der die Organisation vor dem Bundesverfassungsgericht vertritt, vermutete, dass man in Karlsruhe auf eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts warte. Berlin wiederum warte wohl auf eine Entscheidung des höchsten Gerichts, damit ein neues Gesetz auf sicherem Fuß stehe. Der Jurist sprach von einer »absurden Situation«.

Paragraph 52 der Abgabenordnung regelt, welche Vereinszwecke als gemeinnützig anerkannt werden. »Einige Lobbys waren sehr aktiv«, stellte Fisahn fest. Er halte den Paragraphen für »entrümpelungsbedürftig«. Die bestehende Rechtslage könne ihm zufolge vor dem Hintergrund der Vereinigungsfreiheit »verfassungskonform kaum so« ausgelegt werden, »dass die Absicht, auf die politische Meinungsbildung des Volkes Einfluss zu nehmen, ein expliziter Grund ist, eine Gemeinnützigkeit auszuschließen«. Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstandsmitglied der Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung e. V. – ATTAC ist eines von mehr als 200 Mitgliedern –, erinnerte an die Botschaft des Bundesfinanzhofs, der 2019 im Fall urteilte: »Wenn der Gesetzgeber Engagement für Demokratie, Menschenrechte oder soziale Gerechtigkeit fördern will, dann muss er diese Zwecke auch als gemeinnützig gesetzlich festhalten«, sei damals mit auf den Weg gegeben worden.

Von junge Welt danach gefragt, ob zu ihrer Forderung nach einer Reform des Gemeinnützigkeitsrechts auch gehöre, Vereinigungen diesen Status zu verweigern, die sich beispielsweise für Vermögensungleichheit oder ähnliche unsoziale Zwecke engagieren, betonten Amler und Fisahn am Mittwoch die Bedeutung eines breiten Spektrums an vertretbaren Meinungen. Gegensätzliche Forderungen müssten vertreten werden können, solange nicht menschenfeindliche Zwecke verfolgt werden, sagte die ATTAC-Vertreterin. Stefan Diefenbach-Trommer erklärte, dass das Abgabenrecht Debattenräume eröffne, aber eben nicht beim Thema Vermögensungleichheit. So seien Industrieverbände steuerlich begünstigt, ATTAC aber nicht.

Dem Netzwerk geht es laut Amler und Fisahn an erster Stelle um Gleichbehandlung, weil nur dadurch demokratische Vielfalt in der öffentlichen Meinungsbildung stattfinden könne. Doch wie beim Recht auf freie Meinungsäußerung müsse die Grenze dort gezogen werden, erklärte Fisahn, wo faschistische Positionen vertreten werden.

Am 18. April soll vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg über eine Informationsfreiheitsklage von ATTAC gegen das Bundesfinanzministerium verhandelt werden. Dieses will Dokumente nicht herausgeben, »die Hinweise auf eine politische Einflussnahme des Ministeriums« bei der Aberkennung der Gemeinnützigkeit enthalten könnten.

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