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Aus: Ausgabe vom 09.04.2024, Seite 16 / Sport
Radsport

Die große Kehre

Sturzrisiken und Nebenwirkungen bei Baskenlandrundfahrt und Paris–Roubaix
Von Holger Römers
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Last Man Cycling: Mathieu van der Poel (Roubaix, 7.4.2024)

Bevor am Sonntag das 121. Radrennen Paris–Roubaix ausgetragen wurde, sorgte eine Sicherheitsmaßnahme für Furore: Auf Initiative der Fahrergewerkschaft CPA hatte der Veranstalter kurzfristig eine Schikane eingebaut, um vorm ersten Kopfsteinpflasterabschnitt der schwersten Fünf-Sterne-Kategorie ein Abbremsen zu erzwingen. Da nun auf wenigen Metern gleich zwei 90-Grad-Kurven und eine 180-Grad-Kehre absolviert werden sollten, fragte Vorjahressieger Mathieu van der Poel (Alpecin-Deceuninck) am Mittwoch: »Ist das ein Witz?«

Am Donnerstag bekam das Thema Sturzprävention freilich neuerliche Dringlichkeit, als auf der vierten Etappe der 63. Baskenlandrundfahrt unter anderem drei Grand-Tour-Sieger während einer Abfahrt in einen Massensturz gerieten. Von dem Trio kam nur Primož Roglič (Bora-Hansgrohe) ohne Knochenbrüche davon. Allerdings musste der Sieger des Auftaktzeitfahrens ebenso aus dem Rennen aussteigen wie Remco Evenepoel (Soudal Quick-Step) und der am schlimmsten betroffene Jonas Vingegaard (Team Visma-Lease a Bike). Tags darauf musste nach einem weiteren Sturz Evenepoels designierter Edelhelfer Mikel Landa mit Frakturen aufgeben. So konnte am Sonnabend Juan Ayuso (UAE Team Emirates) den Gesamtsieg erringen. Dabei profitierte der 21jährige Katalane von einer perfekten Mannschaftstaktik sowie von der abschließenden Zusammenarbeit mit dem Andalusier Carlos Rodríguez (Ineos Grenadiers), der mit dem Tagessieg und Gesamtrang zwei vor dem vorherigen Gesamtführenden, dem gleichaltrigen Dänen Mattias Skjelmose (Lidl-Trek), belohnt wurde.

Am Sonntag gab es dann in Nordfrankreich nach 38 Kilometern ebenfalls einen Massensturz, der allerdings wie jener im Baskenland auf Anhieb niemandem anzukreiden war. Dass der Konkurrenzdruck im Peloton nicht nachlässt, ist klar. Generell würde die Hälfte der Stürze von Fahrern verursacht, verlautbarte der Präsident des Radsportweltverbandes auf Basis einer Evaluierung, was auch die Frage nach der anderen Hälfte aufwirft.

Ob die neue Schikane zweckdienlich war, blieb derweil fraglich, da der gewünschte Stau vorm Wald von Arenberg keine potentielle Nebenwirkung entfalten konnte: Die Mannschaft Alpecin-Deceuninck hatte das Rennen nämlich schon so schwer gemacht, dass das Peloton auf kaum 40 Fahrer reduziert und die ursprüngliche Ausreißergruppe längst eingefangen war. Nun sorgte van der Poel auf den groben Kopfsteinen, 95 Kilometer vorm Ziel, gleich für eine weitere Auslese, wobei neben seinem Hauptkonkurrenten Mads Pedersen (Lidl-Trek) auch sein Kollege Jasper Philipsen mitging – dessen prompte Reifenpanne die Eskapade allerdings schnell beendete. Als wenige Kilometer später drei Fahrer ausrissen, ließ Pedersen sich indes dazu verleiten, seinen einzigen verbliebenen Helfer mit der erschöpfenden Einholung zu beauftragen. Deshalb war der 28jährige Däne schon ohne mannschaftliche Unterstützung, als der ein Jahr ältere van der Poel auf einem weiteren Pavé-Sektor beschleunigte – und 59 Kilometer solo ins Ziel fuhr. Hinterm niederländischen Weltmeister, der sein sechstes Monument gewann, setzte sich wiederum nach knapp 260 Kilometern der 26jährige belgische Vorjahreszweite Philipsen im Sprint der Verfolgergruppe vor Pedersen durch.

Das war weniger aufregend als die vierte Austragung des Frauenrennens am Tag davor. Dabei ließ das Superteam SD Worx-Protime wie schon bei der Flandernrundfahrt die übliche kollektive Dominanz vermissen, so dass Lotte Kopecky zuletzt in einer sechsköpfigen Spitzengruppe isoliert war. Nachdem sie nach knapp der Hälfte der 148,5 Kilometer erstmals die Konkurrenz auf dem Pavé getestet und bald darauf bei ununterbrochener Fahrt ihren gelockerten Lenker mit einem Inbusschlüssel festgezogen hatte, schien die belgische Weltmeisterin das Rennen allerdings auch alleine kontrollieren zu können.

Dagegen hatte Lidl-Trek wie eine Woche zuvor zwei Fahrerinnen im Finale. Doch das Team mochte sich nicht entscheiden, die Zeitfahrspezialistin Ellen van Dijk konsequent für die 26jährige Topsprinterin Elisa Balsamo arbeiten zu lassen. Statt dessen zwang das Tempodiktat der Niederländerin die Italienerin dazu, 16 Kilometer vorm Ziel abreißen zu lassen und mit Pfeiffer Georgi (Team DSM-Firmenich Post NL) hinterherzuhetzen. In einem herrlichen Sprint musste Balsamo sich schließlich der zwei Jahre älteren Kopecky geschlagen geben. Deren Jubel über den ersten Roubaix-Sieg war freilich kaum größer als der von Georgi, als die 23jährige Britin nachträglich realisierte, dass sie überraschen Dritte geworden war.

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