4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Tätertöchter (2)

Von Helmut Höge
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Ganz anders als das Buch von Ute Scheub »Das falsche Leben. Eine Vatersuche« von 2006 ist die Faschovater­geschichte der Kölner Journalistin Traudl Bünger, die sie in ihrem demnächst erscheinenden Buch »Eisernes Schweigen« (Kiepenheuer & Witsch) und einem eigenen Podcast erzählt. Er, Heinrich Bünger, war ebenfalls ein unbedingter Nazi und beteiligte sich an Bombenattentaten in Italien, um die »Heim-ins-Reich-Sehnsucht« der Südtiroler zu unterstützen. In den 1980ern wurde er »in einem der längsten Strafverfahren in der Geschichte der BRD wegen Sprengstoffverbrechen im Kontext des ›Südtirol-Konfliktes‹ angeklagt, aber nicht verurteilt«, schreibt die Autorin. Bei dem Anschlag wurde 1962 eine Person getötet und mehrere wurden verletzt. Neben Heinrich Bünger waren noch andere Personen an dem Attentat beteiligt: Sein Zwillingsbruder Fritz Bünger, er tauchte einige Jahre in Südafrika unter, sowie Manfred Schröder, der dann in Ostberlin mehrere Pakete mit Sprengstoff an staatlichen Gebäuden deponierte, von denen eins explodierte und eine Scheibe zu Bruch gehen ließ. Schröder wurde geschnappt und lebenslänglich im Zuchthaus Bautzen inhaftiert.

Traudl Bünger hat für das Buch über ihren Vater keine Kosten und Mühen gescheut, um seine »Bombengeschichte«, bei der ein Mensch starb, zu recherchieren, indem sie nicht nur die Hinterlassenschaften ihres Vaters auf dem Dachboden auswertete, sondern auch etliche Leute interviewte und vor allem alle möglichen Archive durchforstete. Sogar das Wetter, das während der verschiedenen Tatzeiten herrschte, interessierte sie.

Traudl Büngers Eltern fuhren oft nach Südtirol, nachdem ihr Vater erfahren hatte, »dass er nicht mehr im Fahndungsbuch stand«. Als sie sich einmal in Bozen mit ihren Eltern traf und einen Bahnbeamten auf Englisch wegen eines Zuges nach Brixen ansprach, »explodierte« ihr Vater: »Zornbebend hielt er mir vor, ich hätte wohl das ›Zweite Autonomiestatut‹ für Südtirol nicht gelesen. Darin sei festgelegt, dass in jeder öffentlichen Stelle, in jedem Amt und in jedem Bahnhof deutsch gesprochen werden müsse. ›Spricht die mit dem Englisch!‹ Er konnte sich kaum beruhigen.« »Ja, aber wir sind doch in Italien«, sagte sie nicht, fragte ihn auch nicht, warum er sich denn so aufrege.

Im Gegensatz zu Ute Scheub liebte sie ihren Vater, der über seine Südtirol-Aktionen beharrlich schwieg. Während der Recherchen hatte Traudl Bünger immer noch »Restzweifel« an der Schuld ihres Vaters: »Irgendwo in mir hatte hin und wieder ein leises Stimmchen geflüstert, was denn wäre, wenn er unschuldig ist. Wenn alles eine ­große Verschwörung ist. So etwas gibt es ja. Menschen werden unschuldig verurteilt.«

Erneut blätterte sie in den Papieren ihres Vaters auf dem Dachboden: »Ich will wissen, wie mein Vater damit gelebt hat, dass der Sprengsatz in Verona Termini nicht [wie geplant] nachts, sondern nachmittags explodiert ist« – als dort viele Leute unterwegs waren. »Wie hat er gelebt mit seiner Schuld am Tod von Gaspare E. Ich schäme mich für diese Fragen. Ich sollte mich fragen, wie es Gaspare E.s Frau und seiner Tochter erging.« Sie hat den Nachnamen dieses Opfers anonymisiert. Ute Scheub tat das mit dem Namen ihres Vaters, der 1969 öffentlich Selbstmord mit Zyankali beging. Eine Todesart, die 1945 auch die führenden Nazis bevorzugten.

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