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Aus: Ausgabe vom 02.04.2024, Seite 5 / Inland
Landwirtschaftspolitik

Preiskampf am Milchmarkt

Kritik am BMEL-Entwurf: Verbändegemeinschaft fordert »vollumfängliche« Vertragspflicht für Molkereien
Von Oliver Rast
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Melker stehen oft unter ökonomischem Druck, die Rinder indes unter Leistungsdruck

Nun beginnt die entscheidende Phase: für die hiesige Milchwirtschaft. Der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zur Änderung der Agrarorganisationen-und-Lieferkettenverordnung (AgrarOLkV) liegt seit vergangenen Mittwoch den übrigen Ministerien der Ampelregierung vor, zur Ressortabstimmung. Worum geht es? Um Lieferverträge zwischen Milchviehhaltern und Molkereien. Die »Marktmacht« der Erzeuger gegenüber den Abnehmern ist schwach, das soll sich ändern. Wie? Der Artikel 148 der Gemeinsamen Marktorganisation (GMO) der Europäischen Union (EU) könnte nationales Recht werden. Die GMO wiederum ist zentral für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU.

Laut Referentenentwurf müssen Molkereien und genossenschaftliche Erzeugerzusammenschlüsse künftig mit Milchbauern einen schriftlichen Vertrag schließen – ganz wichtig: vor der Milchanlieferung. Über Menge und Preis. Dafür haben Abnehmer Erzeugern ein ausformuliertes Angebot unterschriftsreif vorzulegen für mindestens 80 Prozent der Liefermenge samt Preis. Dies soll auch für Genossenschaftsmolkereien gelten. Sie werden nur dann von der Angebotspflicht entbunden, wenn ihre Satzungen oder Lieferordnungen »Bestimmungen mit ähnlicher Wirkung enthalten«, heißt es im Referentenentwurf. Bereits Anfang März hatte das BMEL einen »Vier-Punkte-Plan: Zukunftsfähige Milchviehhaltung stärken« präsentiert. Die Milcherzeuger erfahren derzeit oft erst Wochen nach der Ablieferung, welchen Preis sie für ihre Milch erhalten. »Die Gestaltung der Lieferbeziehungen ist daher ein Baustein, um die Kräfteverhältnisse in der Wertschöpfungskette zugunsten der Milcherzeuger besser auszubalancieren.«

Wie reagieren die Marktkontrahenten? Erwartbar disparat. Den Erzeugern geht der Entwurf nicht weit genug, den Abnehmern hingegen viel zu weit. Eine Verbändegemeinschaft von MEG Milch Board, LsV Deutschland, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) und European Milk Board (EMB) forderte am vergangenen Donnerstag in einem Statement, den Entwurf nachzubessern. Zunächst: Eine Angebotspflicht, wie im Entwurf formuliert, sei keine Vertragspflicht, schon gar keine »vollumfängliche«, wie das Verbandsquintett moniert. »Denn dann könnte die abnehmende Hand ein sehr niedriges Preisangebot machen«, was auskömmliche Erzeugereinkommen weiterhin verhindern würde. Und: Das Recht, ein Angebot abzulehnen, bedeute nicht, keine Milch mehr an die Molkerei zu liefern. Wohin sonst damit? Ferner sei die Angebotspflicht für nur 80 Prozent der Milchlieferung absurd. Auch das »Genossenschaftsprivileg« müsse fallen. Rechtssicher könne eine ergänzte AgrarOLkV nur sein, wenn die vertragliche Vereinbarung von Preis, Menge, Qualität und Lieferdauer für alle gelte. Zumal rund 70 Prozent der Milchmenge hierzulande in genossenschaftlich organisierten Molkereien verarbeitet wird.

Was meinen Vertreter des Milchindustrieverbands (MIV)? Die wehren sich gegen eine »gesetzliche Einmischung«. Vertragsverhandlungen gehörten in die Hände von Erzeugern und Verarbeitern, teilte der MIV am vergangenen Donnerstag mit. Der Milchhandel laufe nach Angebot und Nachfrage und werde über internationale Warenterminbörsen geregelt. Und: Der Milchpreis in Deutschland unterscheide sich regional und betrieblich sehr – um bis zu satte 23 Cent pro Liter, so ein MIV-Sprecher jüngst auf jW-Nachfrage. Würde der Staat eingreifen, sei eher ein gleicher Preis für alle Erzeuger die Folge, indes kein höherer. MIV-Hauptgeschäftsführer Eckhard Heuser bezeichnete den Referentenentwurf am Donnerstag gegenüber dem Fachportal Agrar heute dann auch »eine Klientelverordnung für kleine Verbände«.

Ute Zöllner vom MEG Milch Board widerspricht gegenüber jW. Mit der Umsetzung des Artikels 148 der GMO setze der Staat keine Preise fest, »sondern gibt den Erzeugern erstmals die Möglichkeit, Preise und Mengen zu verhandeln«. Bislang hatten Molkereien weder ein Mengen- noch ein Preisrisiko. Die Zeit sei überreif, endlich zu einer Preisbildung von unten nach oben zu kommen.

Apropos Zeit: Die Zahl milcherzeugender Betriebe ist in diesem Jahr auf ein Rekordtief von unter 50.000 gesunken. Um so wichtiger sei es laut Verbändegemeinschaft, den Referentenentwurf zu konkretisieren und eine Vertragspflicht ohne Schlupflöcher in der Milchwirtschaft umzusetzen.

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