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Aus: Ausgabe vom 13.03.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Freihandelsabkommen

Heiß auf Indiens Märkte

EFTA-Staaten Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz schließen Handelsabkommen mit Indien. EU auf dem Abstellgleis
Von Sebastian Edinger
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»Es wird keine besseren Geschäftsmöglichkeiten auf der Welt geben als in Indien«: Handelsminister Goyal

Am vergangenen Sonntag haben die vier Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelszone (European Free Trade Area, EFTA) nach 16 Verhandlungsjahren ein Wirtschaftsabkommen mit Indien unterzeichnet. Im Kern geht es darum, dass das bevölkerungsreichste Land der Welt seinen großen Markt für Produkte aus den ziemlich bevölkerungsarmen EFTA-Staaten – Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz – durch Zollsenkungen weiter öffnet. Im Gegenzug wollen die beteiligten europäischen Staaten umfassend in Indien investieren.

So gab Handelsminister Piyush Go­yal am Sonntag an, die EFTA-Länder hätten für die kommenden 15 Jahre Investitionen mit einem Gesamtvolumen von rund 100 Milliarden US-Dollar (91,4 Milliarden Euro) zugesagt. Die Zollsenkungen durch die indische Regierung sollen teilweise sofort, teilweise mit Übergangsfristen erfolgen. Bekannt wurde nach Vertragsabschluss etwa, dass die Einfuhrgebühren auf Industrieprodukte aus der Schweiz um durchschnittlich 95,3 Prozent fallen sollen. Die Zölle auf landwirtschaftliche Produkte aus der Schweiz sollen nach einer zehnjährigen Übergangsfrist komplett wegfallen.

Aus Oslo wiederum war am Sonntag zu hören, mit dem Abkommen sei für die Zukunft sichergestellt worden, »dass auf fast alle norwegischen Waren keine Einfuhrsteuern erhoben werden«. Derzeit lägen die Zölle, die norwegische Unternehmen beim Export nach Indien zu entrichten haben, bei bis zu 40 Prozent, erläuterte Industrieminister Jan Christian Vestre. Über die Schweiz und Norwegen hinaus sind auf europäischer Seite lediglich noch Liechtenstein und Island mit ihren rund 40.000 beziehungsweise rund 370.000 Einwohnern in der EFTA und somit an dem Abkommen beteiligt. Die anderen früheren Mitglieder der 1960 gegründeten Freihandelszone sind mittlerweile der EU beigetreten.

Doch die EU-Staaten müssen noch auf ihr Handelsabkommen mit Indien warten. Solche Verträge sind derzeit begehrt, schließlich hat das Land mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern nicht nur einen gigantischen Absatzmarkt zu bieten, sondern gehört auch zu den großen Aufsteigern in der Weltwirtschaft: Von der Coronaunterbrechung 2020 abgesehen, lag das Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren stets deutlich über fünf Prozent, zuletzt betrug die Wachstumsrate 8,4 Prozent. Die EU verhandelt bereits seit 2021 wieder mit der Regierung in Neu-Delhi, nachdem frühere Gespräche 2013 ergebnislos abgebrochen worden waren. Doch die Hoffnung auf Alternativen zu Elektronikprodukten und Software aus China hat die Vertreter Brüssels zurück an den Verhandlungstisch gebracht.

Konkrete Ergebnisse sind in den EU-Indien-Gesprächen allerdings nicht in Sicht. Einer der Streitpunkte ist, dass die EU zwar einen besseren Zugang zum indischen Markt will, aber umgekehrt von Neu-Delhi die Einführung eines CO2-Preises auf industrielle Ausfuhren in die EU verlangt. Ende Februar hatte Goyal vor europäischen Zuhörern deutlich gemacht, was er davon hält. Da deutete er Richtung Himmel und sagte, Indien sei im Vergleich zur EU »kaum verantwortlich für den Mist, der dort oben passiert«. Das EU-Indien-Abkommen werde einen »Test von Fairness und Ausgewogenheit zu bestehen haben«.

Weiter stellte der Minister dann auch klar, wer am längeren Hebel sitzt: »Es wird keine besseren Geschäftsmöglichkeiten auf der Welt geben als in Indien in den kommenden zwei bis drei Jahrzehnten«, wird er zitiert. Doch da muss sich die EU – anders als die vier EFTA-Staaten, deren Nichtbeitritt zur Union sich wohl ein weiteres Mal auszahlt – ziemlich weit hinten anstellen. Das Abkommen mit den EFTA-Staaten folgt auf ähnliche Verträge mit Saudi-Arabien und Australien. Zudem steht ein Handelsvertrag mit Großbritannien kurz vor dem Abschluss. Ansonsten genießen die BRICS-Partner (Brasilien, Russland, China, Südafrika) Vorfahrt, wenn es darum geht, Marktzugang zu gewähren.

Das nun vereinbarte Abkommen Indiens mit Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz muss in allen Vertragsstaaten noch ratifiziert werden, bevor es in Kraft treten kann. Die Regierung in Bern hat bereits angekündigt, dies spätestens 2025 tun zu wollen.

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