EU-Emissionshandel in der Krise
Von Raphaël SchmellerIm Kapitalismus ist der Markt die Lösung für alle Probleme, auch für die Klimakrise. Das wichtigste Instrument ist in diesem Fall der Emissionshandel. Wer CO2 ausstößt, muss sich die »Erlaubnis« dazu kaufen, indem er Rechte in Form von Zertifikaten erwirbt. Für jede Tonne CO2, die in die Atmosphäre gelangt, wird ein bestimmter Preis fällig. Wer mehr CO2 produziert, als er in Form von Zertifikaten besitzt, muss nachkaufen, wer weniger produziert, kann seine Verschmutzungsrechte verkaufen. Die Gesamtmenge der CO2-Zertifikate ist begrenzt und sinkt jährlich. Dieses System bietet Unternehmen einen finanziellen Anreiz, Emissionen zu reduzieren und gleichzeitig nachhaltiger zu wirtschaften – so zumindest die Theorie.
Denn in der Praxis stößt dieses System schnell an seine Grenzen, wie sich derzeit in der Europäischen Union zeigt. Der Preis für CO2-Zertifikate im EU-Emissionshandel hat sich innerhalb eines Jahres nämlich fast halbiert. Kostete eine Tonne CO2 im Februar 2023 noch 95 Euro, so waren es im Februar dieses Jahres nur noch 52 Euro.
Der Preisverfall ist vor allem auf die Energiekrise zurückzuführen. Diese hat zum einen die Produktion von Chemie- oder Stahlunternehmen einbrechen lassen und die Konjunktur im Euro-Raum ins Stocken gebracht. Die Industrie benötigt deshalb weniger CO2-Zertifikate als geplant und kann die überschüssigen Papiere verkaufen. Zum anderen hat die EU während der Gaskrise im vergangenen Jahr beschlossen, zusätzliche Zertifikate auf den Markt zu werfen, um die Energiepreise zu drücken. Beides hat die Zertifikatspreise in den Keller geschickt.
Die Folge ist, dass sich klimafreundliche Investitionen für Industrie- und Energieunternehmen deutlich weniger lohnen und damit das Anreizsystem des Emissionshandels wirkungslos wird. Mit dem Preisverfall sinken auch die Einnahmen für den Klima- und Transformationsfonds, mit dem die Ampelkoalition den klimafreundlichen Umbau der Industrie finanzieren will. Blieben die Preise bis zum Jahresende auf dem aktuellen Niveau von rund 60 Euro pro Tonne, hätte Wirtschaftsminister Habeck in diesem Jahr rund 1,8 Milliarden Euro weniger in der Kasse, sagte Michael Pahle vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung am Dienstag dem Spiegel. »Um die Klimaziele mit hoher Sicherheit zu erreichen, können im Jahr 2030 Preise von bis zu 190 Euro je Tonne notwendig sein«, so Pahl.
Ohne starke politische Interventionen der EU-Institutionen, ähnlich wie die EZB bei den Zinsen, wird dieser Preis sicherlich nicht zu erreichen sein. Und selbst dann dürfte der Emissionshandel volatil bleiben. Die für den Klimaschutz benötigten Milliarden werden also woanders herkommen müssen.
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