4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Tiger

Von Helmut Höge
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Kürzlich begleitete ich meinen Philosophenfreund Anselm in den Ostberliner Tierpark. Er wollte sich die zwei jungen Sumatra-Tiger Luise und Lotte ansehen, aber man hatte sie gerade in den Westberliner Zoo verbracht. Anselm schimpfte: »Dieser verdammte Doppeldirektor von Zoo und Tierpark (Andreas Knieriem, jW). Er packt auf Drängen des Zoo-Aufsichtsrates alle interessanten Tiere, und Tiger sind die philosophisch interessantesten, in den Zoo. Zurück bleiben in Ostberlin nur solche Tiere, die der Zoo nicht haben will. Eine Riesensauerei, denn der Tierpark ist der größte Europas und hat viel Platz, aber seit der Wende immer weniger Tiere, während der Zoo einer der kleinsten ist, aber von Knieriem wird er immer mehr mit Prestigebauten und Gehegen zugeballert. Dabei sollte man das Gelände besser verkaufen, es ist die wertvollste innerstädtische Immobilie, und die Tiere in den Tierpark umsiedeln. Statt dessen wird dort das Gelände Stück für Stück an Immobilienentwickler verkauft und die Tierpfleger demotiviert. Ach, diese verbrecherische Wiedervereinigung und dieser unselige Doppeldirektor.«

Anselm kritisierte dann auch mich: Ich hatte in einem Tiertext geschrieben: »Im indischen Sundabardelta wurden vor einiger Zeit mehrmals Menschen von Tigern getötet. Da die Raubtiere stets von hinten angeschlichen kamen, setzten sich die Waldarbeiter Halloweenmasken verkehrt herum auf, so dass es aussah, als hätten sie hinten Augen: Nach Einführung dieses Maskentricks wurden keine Maskenträger mehr angegriffen.«

Das stimme zwar, meinte Anselm, aber nur zur Hälfte, denn nach einiger Zeit kamen die Tiger hinter diesen Trick, der dann nicht mehr funktionierte. Auch meine Bemerkung, dass Putin den vom Aussterben bedrohten Amur-Tiger unter seinen persönlichen Schutz gestellt habe, sei Unsinn, meinte Anselm, denn das sei doch bloß eine blöde Propagandaaktion. Ich widersprach ihm: Tiger können unterscheiden. Naturforscher, die im Fernen Osten Russlands arbeiten, behaupten, dass die Amur-Tiger sie nicht angreifen, sondern tolerieren, weil sie ihnen wohlgesonnen seien, während sie Jägern bzw. Wilderern mitunter tagelang auflauern würden. Anselm bezweifelte das: Wenn sie sich dabei mal nicht irren …

Ich erzählte ihm von einer indischen Zoologin, die einen Tiger großzog, nicht die einzige, und ihn dann in einem Nationalpark auswilderte. Dazu musste sie dem Tier, einem Weibchen namens Jenny, das Jagen beibringen. Zunächst übte Jenny das Fangen und Töten an kleinen Amphibien. Bei ihrem ersten richtigen »Riss« tanzte sie noch um den Kadaver herum. Die Zoologin musste ihn ihr mit einem Messer quasi mundgerecht zuschneiden. Aber dann kam die Tigerin langsam auf den Geschmack – und wurde sogar ungehalten, wenn die Zoologin hinter ihr durch den Wald stolperte und der Lärm die Beute verscheuchte.

Anselm hatte ein Gegenbeispiel parat – vom Leipziger Zoodirektor Karl Max Schneider (1887–1955), der meinte, dass die Jagdfähigkeit angeboren sei. In seinem Buch »Tiere im Zoo« habe er einen viereinhalb Monate alten Tiger aus Indonesien erwähnt, der im Wirtschaftshof aufgezogen wurde und dort eine kleine Antilope, die noch die Flasche bekam, »kunstgerecht« riss – mit den Zähnen am Hals und den Krallen im Rücken: »Dabei hatte der Racker noch nie gesehen, wie erwachsene Tiger Beute schlagen! Und wie überhaupt in ihm das Gefühl dafür aufdämmerte …«

Ich erzählte ihm daraufhin von der US-amerikanischen Tigerdompteurin Mabel Stark. Sie lebte mit dem von ihr großgezogenen Tiger Rajah in ihrem Wohnwagen zusammen. Er schlief auch in ihrem Bett, ebenso wie ihr dritter Ehemann, der Löwendompteur Louis Roth. In der Manege bestand ihre berühmteste Nummer darin, dass sie ihren 20 Tigern den Rücken zukehrte und Rajah sie plötzlich von hinten ansprang, zu Boden warf und mit ihr rang. Mit der Zeit entwickelte sich daraus für den Tiger ein Paarungsakt. Weil sein Samen auf ihrem schwarzen Lederkostüm unschön aussah, wechselte sie in ein weißes Kostüm, das sie bis zum Ende ihrer Karriere 1968 trug.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (4. März 2024 um 22:02 Uhr)
    Generell gehören freilebende, sog. »Wildtiere« weder in einen Zoo, Tierpark noch in den Zirkus. Es gibt Fälle, wo Tierarten vor dem imminenten Aussterben bedroht sind, welche leider stark zunehmen, wo diese unter Aufsicht von Menschen ge- und beschützt werden können. Dies sollte jedoch kein Vorwand sein, diese Tiere zur Schau zu stellen. Es gibt genügend Reservate, um diese Tiere dort anstelle eines Zoos zu schützen und ein mögliches Überleben der Art zu versuchen. Mir tun auch diese großen Hunde leid, die in (Groß)städten zweimal pro Tag rausgehen dürfen und sonst in einer Wohnung dahin siechen. A propos Städte: da gehn Kinder in einen Zoo, um exotische Tiere zu sehen, haben jedoch oftmals nie eine lebende Kuh, Ziege, ein Schwein gesehen …

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