junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Sa. / So., 27. / 28. April 2024, Nr. 99
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 05.03.2024, Seite 5 / Inland
Wirtschaftsnahe Wissenschaft

Deutsche Bildungsklüfte

West–Ost, Stadt–Land: Studien zu Verteilung »Hoch-« und »Niedrigqualifizierter«
Von Arnold Schölzel
Mehr_Akademiker_auf_59725731.jpg
Absolventen der Universität Bonn (10.7.2010)

Das kapitalnahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat am Montag zwei Studien seines Ökonomen Wido Geis-Thöne über die »Regionale Verteilung der Niedrigqualifizierten in Deutschland« sowie über die »Regionale Verteilung der Akademiker in Deutschland« veröffentlicht. Auf den ersten Blick erscheinen die Ergebnisse nicht überraschend. Für alle kapitalistischen Industrieländer dürfte zutreffen, dass der Anteil von Universitätsabsolventen, aber auch der von Menschen ohne Schul- oder Berufsabschluss in Großstädten besonders hoch ist. In der Bundesrepublik gibt es aber eine Besonderheit: die Spaltung im Bildungsgrad vor allem zwischen Ost und West. Allerdings kommt in beiden Studien die Abkürzung DDR nicht vor, eine Bemerkung zu Ursachen für die Unterschiede nur am Rande. Bereits am Montag berichtete die FAZ über die Studien.

Zusammenfassend schreibt Geis-Thöne, dass der Anteil der Personen ohne Abschluss einer mindestens zweijährigen beruflichen oder hochschulischen Ausbildung unter den 25- bis 64jährigen im Jahr 2019 in den Großstädten mit 20,8 Prozent nahezu doppelt so hoch wie in den kleinen Gemeinden mit unter 5.000 Einwohnern war. Allerdings stechen das Ruhrgebiet und Ostdeutschland hervor. Die sogenannte Raumordnungsregion Emscher-Lippe kommt demnach auf einen Anteil von 26,8 Prozent »Niedrigqualifizierter« an der Gesamtbevölkerung. Es folgen Bochum/Hagen mit 25 Prozent und Duisburg/Essen mit 24,1 Prozent. Zusammen mit der Region Dortmund, die hinter Bremen auf dem fünften Rang liegt, bilden diese Regionen weitgehend das Ruhrgebiet.

Niedrig hingegen seien die Anteile im Osten Deutschlands. Konkret: »Am kleinsten ist der Anteil mit 4,6 Prozent in der Raumordnungsregion Nordthüringen. Auch in fast allen anderen Bereichen Ostdeutschlands finden sich niedrige Werte unter zehn Prozent. Insgesamt zeigt sich ein sehr starkes West–Ost-Gefälle. Im Westen liegt der Anteil in der südlich von München gelegenen Raumordnungsregion Oberland mit 10,1 Prozent am niedrigsten, und die Lage ist in den meisten anderen Teilen Bayerns ebenfalls besonders günstig.« Bezeichnend erscheint diese Zahl: Während der Anteil der »Niedrigqualifizierten« in der Altersgruppe der 55- bis 64jährigen im Westen zwischen 14,7 Prozent (ländliche Regionen) und 19,7 Prozent (städtische Regionen) lag, betrug er im Osten, also unter den weitgehend in der DDR Ausgebildeten, insgesamt 6,7 Prozent.

Der Autor führt sowohl das Stadt–Land- als auch das West–Ost-Gefälle »vorwiegend auf Unterschiede bei der Zuwanderung« zurück. Nur rund die Hälfte der »Niedrigqualifizierten« im Alter zwischen 25 und 64 Jahren sei in Deutschland geboren. Im Ruhrgebiet komme eine starke Zuwanderung »Niedrigqualifizierter« »mit vielen im deutschen Bildungssystem gescheiterten Personen zusammen«. Besonders vulnerabel seien diejenigen, die neben dem fehlenden Berufsabschluss zudem über keinen Schulabschluss verfügen. Bei ihnen seien die regionalen Unterschiede sogar noch größer: »So ist ihr Anteil an der 25- bis 64jährigen Bevölkerung in den Großstädten mit 4,3 Prozent mehr als dreimal so hoch wie in den kleinen Gemeinden mit 1,4 Prozent.«

Aus der Studie zur regionalen Verteilung von Akademikern geht hervor, »dass die Regionen München mit einem Akademikeranteil an der Bevölkerung von 40,3 Prozent und Berlin mit 39,1 Prozent sehr stark« herausstechen. Hamburg folgt auf Platz drei. Allerdings gelten in Berlin und Hamburg die Stadtgebiete als Raumordnungsregionen, in München zählt auch das Umland dazu. In vielen ländlichen Gebieten liegen die Akademikeranteile laut Geis-Thöne bei unter 15 Prozent. Am niedrigsten sind sie in Schleswig-Holstein (Südwest) mit 10,1 Prozent und der Altmark mit 10,3 Prozent. Besonders niedrig sei der Akademikeranteil auf dem Land im Osten, was nach Ansicht des Autors »teilweise auf seine stark ländliche Prägung und teilweise auf seine besondere Geschichte mit ehemals sozialistischem Bildungssystem und starker Abwanderung zurückgehen« dürfte.

2 Wochen kostenlos testen

Die Grenzen in Europa wurden bereits 1999 durch militärische Gewalt verschoben. Heute wie damals berichtet die Tageszeitung junge Welt über Aufrüstung und mediales Kriegsgetrommel. Kriegstüchtigkeit wird zur neuen Normalität erklärt. Nicht mit uns!

Informieren Sie sich durch die junge Welt: Testen Sie für zwei Wochen die gedruckte Zeitung. Sie bekommen sie kostenlos in Ihren Briefkasten. Das Angebot endet automatisch und muss nicht abbestellt werden.

  • Leserbrief von Sigurd von Stockert aus Nöthen (5. März 2024 um 10:28 Uhr)
    Was sagt uns diese Studie? Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat wieder einen leichten geistigen Furz abgesondert. Nach dem Motto: »Ich will auch mal etwas sagen.« Als ob man das Emsland, Oldenburger und westfälisches Münsterland mit den Millionenstädten in der BRD vergleichen könnte. Die Abwanderung nach der Übernahme der DDR durch die BRD betrug nicht nur in Nordthüringen mehr als 25 % der Qualifizierten. Schließlich wurde dort die Industrie wegen lästiger Konkurrenz von der BRD abgewickelt und in die Armut gejagt. Nach diesem sehr erfolgreichen Prozess begann man dasselbe im Ruhrgebiet. Abgesehen vom Steinkohlenbergbau ist dort auch die chemische Industrie völlig bedeutungslos geworden. Ferner darf man nicht vergessen, dass die Statistiken zum Ausbildungsniveau der Bürger einer Kommune systematisch gefälscht werden. Dafür gibt es Beweise. Der Grund ist einfach, man möchte als Kommunalpolitiker gern glänzen und da der eigene Bildungsstand nur kümmerlich ist, was die Damen Fester und Baerbock täglich beweisen, wird dann eben die Wirklichkeit umgelogen. So ist selbst das Örtchen Hundeluft als »Top Ausbildungsstandort« in den Medien vertreten, weil es neben guter Luft auch eine Hundeschule beherbergt. Schon die Frage, wer sich Akademiker nennen darf, ist nicht geklärt. Nachdem die Ingenieursschulen zu Universitäten ernannt wurden, wo sogar eine einfacher graduierter Ingenieur promovieren darf und sich dann als »Dr.« betiteln lässt, schwächt doch das magere Ergebnis dieser Studie zusätzlich. Halten wir fest: die Nebelschwaden über dem Wort »Qualifikation« sollen nur vertuschen, dass für das niedere Volk in diesem Ständestaat auch nur »Helotenjobs« vorgesehen sind. Fachkräfte sind zu teuer und bald aus der Ukraine für fünf Euro pro Stunde zu haben, falls der Krieg bald beendet wird, sonst gibt es da nämlich keine Jobsuchenden mehr. Die Elite bleibt Elite – dafür sorgen Bertelsmann-Stiftung und das IW.

Ähnliche:

  • »Ohne Kultur und Disziplin keine schlagkräftige Armee«: Die Kult...
    29.11.2023

    Lernen an der Front

    Neue Ausstellung im Münchner Instituto Cervantes widmet sich »Cartilla Escolar Antifascista«

Mehr aus: Inland