05.03.2024 / Inland / Seite 5

Deutsche Bildungsklüfte

West–Ost, Stadt–Land: Studien zu Verteilung »Hoch-« und »Niedrigqualifizierter«

Arnold Schölzel

Das kapitalnahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat am Montag zwei Studien seines Ökonomen Wido Geis-Thöne über die »Regionale Verteilung der Niedrigqualifizierten in Deutschland« sowie über die »Regionale Verteilung der Akademiker in Deutschland« veröffentlicht. Auf den ersten Blick erscheinen die Ergebnisse nicht überraschend. Für alle kapitalistischen Industrieländer dürfte zutreffen, dass der Anteil von Universitätsabsolventen, aber auch der von Menschen ohne Schul- oder Berufsabschluss in Großstädten besonders hoch ist. In der Bundesrepublik gibt es aber eine Besonderheit: die Spaltung im Bildungsgrad vor allem zwischen Ost und West. Allerdings kommt in beiden Studien die Abkürzung DDR nicht vor, eine Bemerkung zu Ursachen für die Unterschiede nur am Rande. Bereits am Montag berichtete die FAZ über die Studien.

Zusammenfassend schreibt Geis-Thöne, dass der Anteil der Personen ohne Abschluss einer mindestens zweijährigen beruflichen oder hochschulischen Ausbildung unter den 25- bis 64jährigen im Jahr 2019 in den Großstädten mit 20,8 Prozent nahezu doppelt so hoch wie in den kleinen Gemeinden mit unter 5.000 Einwohnern war. Allerdings stechen das Ruhrgebiet und Ostdeutschland hervor. Die sogenannte Raumordnungsregion Emscher-Lippe kommt demnach auf einen Anteil von 26,8 Prozent »Niedrigqualifizierter« an der Gesamtbevölkerung. Es folgen Bochum/Hagen mit 25 Prozent und Duisburg/Essen mit 24,1 Prozent. Zusammen mit der Region Dortmund, die hinter Bremen auf dem fünften Rang liegt, bilden diese Regionen weitgehend das Ruhrgebiet.

Niedrig hingegen seien die Anteile im Osten Deutschlands. Konkret: »Am kleinsten ist der Anteil mit 4,6 Prozent in der Raumordnungsregion Nordthüringen. Auch in fast allen anderen Bereichen Ostdeutschlands finden sich niedrige Werte unter zehn Prozent. Insgesamt zeigt sich ein sehr starkes West–Ost-Gefälle. Im Westen liegt der Anteil in der südlich von München gelegenen Raumordnungsregion Oberland mit 10,1 Prozent am niedrigsten, und die Lage ist in den meisten anderen Teilen Bayerns ebenfalls besonders günstig.« Bezeichnend erscheint diese Zahl: Während der Anteil der »Niedrigqualifizierten« in der Altersgruppe der 55- bis 64jährigen im Westen zwischen 14,7 Prozent (ländliche Regionen) und 19,7 Prozent (städtische Regionen) lag, betrug er im Osten, also unter den weitgehend in der DDR Ausgebildeten, insgesamt 6,7 Prozent.

Der Autor führt sowohl das Stadt–Land- als auch das West–Ost-Gefälle »vorwiegend auf Unterschiede bei der Zuwanderung« zurück. Nur rund die Hälfte der »Niedrigqualifizierten« im Alter zwischen 25 und 64 Jahren sei in Deutschland geboren. Im Ruhrgebiet komme eine starke Zuwanderung »Niedrigqualifizierter« »mit vielen im deutschen Bildungssystem gescheiterten Personen zusammen«. Besonders vulnerabel seien diejenigen, die neben dem fehlenden Berufsabschluss zudem über keinen Schulabschluss verfügen. Bei ihnen seien die regionalen Unterschiede sogar noch größer: »So ist ihr Anteil an der 25- bis 64jährigen Bevölkerung in den Großstädten mit 4,3 Prozent mehr als dreimal so hoch wie in den kleinen Gemeinden mit 1,4 Prozent.«

Aus der Studie zur regionalen Verteilung von Akademikern geht hervor, »dass die Regionen München mit einem Akademikeranteil an der Bevölkerung von 40,3 Prozent und Berlin mit 39,1 Prozent sehr stark« herausstechen. Hamburg folgt auf Platz drei. Allerdings gelten in Berlin und Hamburg die Stadtgebiete als Raumordnungsregionen, in München zählt auch das Umland dazu. In vielen ländlichen Gebieten liegen die Akademikeranteile laut Geis-Thöne bei unter 15 Prozent. Am niedrigsten sind sie in Schleswig-Holstein (Südwest) mit 10,1 Prozent und der Altmark mit 10,3 Prozent. Besonders niedrig sei der Akademikeranteil auf dem Land im Osten, was nach Ansicht des Autors »teilweise auf seine stark ländliche Prägung und teilweise auf seine besondere Geschichte mit ehemals sozialistischem Bildungssystem und starker Abwanderung zurückgehen« dürfte.

https://www.jungewelt.de/artikel/470687.wirtschaftsnahe-wissenschaft-deutsche-bildungsklüfte.html