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Aus: Ausgabe vom 23.02.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Free Mumia!

Solidarische Gegenwehr

Aktionsplan zum Schutz von Mumia Abu-Jamals Leben: Solidaritätsbewegung setzt sich auch für Palästina ein
Von Jürgen Heiser
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Mumia Abu-Jamal sitzt seit 1981 im Knast, seine Unterstützer sind von seiner Unschuld überzeugt (Philadelphia, 28.12.2018)

Was die sogenannte freie westliche Welt von der Pressefreiheit und der Arbeit von Whistleblowern hält, wird aktuell durch den Umgang mit dem australischen Wikileaks-Gründer Julian Assange vorexerziert. Weil er US-Kriegsverbrechen enthüllt hat, will Washington ihn als »Spion« für immer hinter Gittern verschwinden lassen. Nichts anderes geschieht seit 1981 mit dem US-Journalisten und Bürgerrechtler Mumia Abu-Jamal. Mit vergleichbarem juristischen Terror soll er als angeblicher »Polizistenmörder« ebenfalls endgültig aus dem Verkehr gezogen werden.

Wie Assange ist auch Abu-Jamal aufgrund der Haftbedingungen und durch den permanenten Stress unter der Willkür der Klassenjustiz lebensbedrohlich erkrankt. Nach dem 8. Februar hatten sich weltweit die Eilmeldungen verbreitetet, Abu-Jamal schwebe erneut in akuter Lebensgefahr. Sein medizinisches Team sowie seine Anwälte waren »äußerst alarmiert«.

Am Mittwoch erreichte junge Welt ein von Prison Radio verbreiteter »Aktionsplan«, der zur sofortigen Intervention zum Schutz von Abu-Jamals Leben auffordert. Mit Bezug darauf, dass sich »Mumia am 19. April 2021 einer doppelten Bypassherzoperation« unterziehen musste und dass »sein Arzt ihm eine Herzdiät und regelmäßige Bewegung zur Genesung verschrieb«, wird im Aufruf festgestellt: Bis heute – fast drei Jahre später – verweigert die Gefängnisleitung dem politischen Gefangenen diese Therapien. Hofgang findet oft nicht statt, im Aufenthaltsraum darf Abu-Jamal sich nicht bewegen, nur sitzen. »Mumia ist extrem gefährdet. Sein schweres Hautleiden mit einem schmerzhaften Juckreiz hat sich verschlimmert und bereitet ihm rund um die Uhr große Beschwerden.« Seine Herztätigkeit sei – wie seine allgemeine Gesundheit –stark beeinträchtigt. Dass er das schlechte Anstaltsessen zu sich nehmen muss und sich kaum bewegen kann, stelle einen ständigen Verstoß gegen ärztliche Anordnungen dar. Ältere Menschen endlos in Haft zu halten sei ohnehin eine Menschenrechtsverletzung.

»Werdet aktiv!«, beginnt der Aktionsplan, und die Leser werden aufgefordert, sich per Telefon oder E-Mail direkt an die Hauptverantwortlichen zu wenden: an Bernadette Mason, Anstaltsleiterin des SCI Mahanoy in Frackville und Staatssekretärin Laurel Harry als Leiterin des Pennsylvania Department of Corrections sowie den stellvertretenden Staatssekretär für die östliche Gefängnisregion. Prison Radio stellt Kommunikationsdaten sowie den Entwurf eines kurzen Schreibens mit Forderungen zur Verbesserung der Haftbedingungen in englischer Sprache zur Verfügung. Der Aufruf endet mit: »Der Tod durch Inhaftierung (DBI) muss abgeschafft werden. Freiheit für Mumia Abu-Jamal!«

Der Staat sei »entschlossen, ihn zu töten«, hatte der Pädagogikprofessor Marc Lamont Hill am 11. Februar auf einer Veranstaltung in Abu-Jamals Heimatstadt Philadelphia gewarnt. Nur darum gehe es der US-Justiz, seit das Todesurteil gegen den Bürgerrechtler 2011 in lebenslange Haft umgewandelt wurde: »Slow death«, den schleichenden Tod in krankmachender endloser Haft. »Sie foltern Mumia, sie wollen ein Exempel an ihm statuieren, damit sich niemand mehr traut, seine Stimme gegen den Staat zu erheben und sich so gegen die Autoritäten zu stellen, wie er es tut«, so Hills Kritik. Deshalb sei der Staat entschlossen, ihn bis an sein Lebensende einzulochen. »Und deshalb müssen wir uns noch viel stärker dafür einsetzen, dass er freikommt.« Die online live übertragene Podiumsdiskussion »Mumia and the Epidemic of Mass Incarceration« war eine spontane Reaktion auf die erneute Lebensgefahr für den politischen Gefangenen. Auf dem von dem Aktivisten Gabe Bryant moderierten Podium saßen außer Hill noch Cornel West, Pam Africa und die palästinensische Menschenrechtsaktivistin Susan Abulhawa.

Gleichzeitig war für die Solidaritätsbewegung aufgrund des furchtbaren Genozids in Gaza der Druck gewachsen, auch die Aktivitäten der seit Monaten für den Schutz der palästinensischen Bevölkerung aktiven »Philadelphia Palestine Coalition« einzubeziehen, deren Mitglieder sich auch am Antiknastwiderstand beteiligen. Der unabhängige US-Präsidentschaftskandidat West zitierte ein Gedicht von Julia Wright, das mit den Worten endet: »So wie Palästina ein Labor ist, in dem neue Waffen ›Made in USA‹ im Einsatz getestet werden, sind unsere Gefängnisse wie Reagenzgläser, in denen am lebenden Organismus die genozidalen Methoden einer schleichenden Todesstrafe gegen unsere schwarze, braune und indigene Bevölkerung getestet werden. Gaza und Mumia – das reimt sich!«

Für Sonnabend hat das »Mumia Abu-Jamal Health Committee« zu seinem »3. Öffentlichen Bürgerforum« nach Black Harlem, New York, eingeladen. Der von Anwältinnen, Medienschaffenden, Medizinern und Unterstützern gegründete Gesundheitsausschuss wird mit den Versammelten die derzeitigen gravierenden Angriffe der US-Regierung auf die Menschenrechte in einem politischen Zusammenhang thematisieren. Unter der Überschrift »What’s Going on with Mumia Abu-Jamal, Palestine & Prison Abolition Movement« werden das bedrohte Leben des bald 70jährigen politischen Gefangenen vor dem Hintergrund der allgemeinen prekären Lage aller Inhaftierten im US-Gefängnissystem sowie dem Genozid an der palästinensischen Bevölkerung öffentlich debattiert. An diesem Abend soll in der St. Mary’s Episcopal Church der Bürgerrechtsbewegung ein erweiterter Aktionsplan für eine Strategie internationalistischer Gegenwehr beschlossen werden.

Hintergrund: Tod in Haft

Im Gefängnissystem der USA bedeutet der von Knastkritikern benutzte Begriff »Death by incarceration« (DBI), dass zu langen Zeitstrafen oder lebenslang (»Life Without Parole«, LWOP) Verurteilte keine Chance haben, das Gefängnis lebend zu verlassen. Unabhängig von der Länge der bereits verbüßten Haftzeit und losgelöst von einer möglicherweise in der Haft vollzogenen positiven persönlichen Veränderung erhält der oder die Gefangene keine zweite Chance, in Freiheit ein neues Leben zu führen.

LWOP wird besonders im US-Bundesstaat Pennsylvania oft verhängt. Zehn Prozent aller LWOP-Gefangenen in den USA sind dort inhaftiert. Auch Mumia Abu-Jamals Strafe wurde 2011 vom Todesurteil (1982) in LWOP umgewandelt. Sein Haftanwalt Bret Grote hat mit einem Team des »Abolitionist Law Center« (ALC) eine Studie zu diesem Thema erarbeitet. »Masseninhaftierung« bedeutet, dass davon vor allem schwarze, hispanische oder indigene Menschen betroffen sind. Den Abschlussbericht »A Way Out. Abolishing Death by Incarceration in Pennsylvania« hat das ALC-Team den »mehr als 5.300 Menschen« gewidmet, »die in Pennsylvania zu ›DBI‹ verdammt sind«.

Fast 80 Prozent dieser Verurteilten waren bei ihrer Verhaftung unter 30 Jahre, 53 Prozent sogar zwischen 18 und 25 Jahre alt. Sofern diese Männer und Frauen wie Abu-Jamal jahrzehntelang die krankmachenden Haftbedingungen überleben, sind sie als »Elders« in der Regel sehr krank, oftmals auch geistig (Alzheimer) und körperlich (Parkinson) behindert.

Die Bewegung der Prison Abolitionists, zu denen auch das ALC gehört, unterstützt derzeit eine Reihe von Gefangenen bei Klagen gegen ihre LWOP-Strafe, um eine gesetzliche Veränderung für alle zu erreichen. Generell soll es keine LWOP ohne Aussicht auf Bewährung mehr geben und inhaftierte Senioren, besonders, wenn sie wie Abu-Jamal krank sind, aus humanitären Gründen freigelassen werden. (jh)

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