4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Animal Turn

Von Helmut Höge
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In den Kulturwissenschaften wurde erst ein Cultural Turn, dann ein Visual Turn und schließlich, in der Geschichtswissenschaft, ein Animal Turn ausgerufen. Im englischsprachigen Raum gibt es freilich inzwischen komplette Animal-Turn-Buchreihen. Gemeint ist, knapp gesagt, Geschichte von unten bzw. Geschichte aus der Perspektive von Tieren, die hier als Subjekte wahrgenommen werden.

Derlei ist vor allem in den USA verbreitet, es gibt dort Zeitschriften, Dokumentarfilme, allerlei Videoclips. Wobei wohl die Anarchisten die ersten waren, die, inspiriert von Kropotkins Werk »Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt« (1902), Nutz- und Wildtiere im Fokus hatten – für eigenes widerständiges Handeln.

Auch in Deutschland gibt es Animal Studies, die entsprechenden Publikationen sind aber meist eine akademische Quälerei, die US-amerikanische Literatur ist flotter und empirischer. Der Historiker Jason Hribal veröffentlichte 2003 den Aufsatz »›Animals Are Part of the Working Class‹: A Challenge to Labor History«, 2007 »Animals, Agency, and Class: Writing the History of Animals from Below«, 2010 dann das Buch »Fear of the Animal Planet: The Hidden History of Animal Resistance«.

Derzeit lese ich Sarat Collings Buch »Animal Resistance in the Global Capitalist Era« (2021). Es handelt hauptsächlich von Tieren, die von Farmen, aus Zoos oder Schlachthöfen geflohen sind. Viele wurden wieder eingefangen, manchmal erst nach Monaten, nur wenige blieben für immer verschwunden, etliche landeten in Tierasylen. Während ihrer Flucht bekamen sie Namen – etwa von Reportern, die eine Story witterten und darüber hinaus meinten, dass, wer soviel unternommen hat, um frei zu sein, es verdient habe, am Leben zu bleiben. Rinder, Schafe, Ziegen, Affen, Kamele, Papageien, Hühner und Truthähne wurden so quasi zu Subjekten, im Gegensatz zu all den anonymen, traurigen Kreaturen in Gefangenschaft.

Auch in Deutschland sind die Medien im Fall entflohener Tiere meist auf der Seite tierischer Freiheit. In München erschoss im Jahr 2014 ein Polizeitrupp eine »wildgewordene Kuh«. Die Kuh war auf dem Schlachthof ausgerissen, hatte anschließend eine Gruppe Jogger über den Haufen gerannt. Die Beamten schossen das Tier erst bewegungsunfähig, danach töteten sie es mit zwei Schüssen aus dem Gewehr. Der Spiegel schrieb von einem »Kugelhagel«, in dem die Kuh starb. Am nächsten Tag wurden am Tatort Blumen hinterlegt und Grablichter in Milchflaschen angezündet, ein Zettel lag daneben: »Sie wollte leben und floh vor dem Schlachthof.«

Als durchaus radikal darf man die Tierrechtsorganisation Animal Peace bezeichnen. Auf ihrer Seite viva-vegan.info hieß es mal: »Ein dreijähriger Bulle hat nahe Köln seinen Sklavenhalter angegriffen und tödlich verletzt. Der 61jährige Landwirt wollte eine Schiebetür im Stall reparieren. Als am Abend der Sohn den Stall betrat, um die Kühe zu melken, entdeckte er die Leiche seines Vaters. Wir verneigen uns vor dem Held der Freiheit. Mögen ihm viele weitere Rinder in den Aufstand der Geknechteten folgen.«

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (19. Februar 2024 um 22:28 Uhr)
    Seit 5 Monaten läuft in französischen Kinos das erfolgreiche Fiktion-Drama »Le Règne animal« (Das Tierreich oder Herrschaft der Tiere). Es handelt sich um eine Welt, die von einer Welle von Mutationen heimgesucht wird, die einige Menschen in Tiere verwandeln, wobei Region von neuartigen Kreaturen bevölkert werden. Natürlich werden diese gejagt und »erledigt«, denn sie passen nicht in die »menschliche« Gesellschaftsstruktur. Sehenswert!

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