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Aus: Ausgabe vom 03.02.2024, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Aus nichts Gold machen

Karl Marx im »Kapital«: Das Kolonialsystem, also brutalste Gewalt, bezeichnet die »Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära«
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Schwarze Sklaven in Brasilien beim Goldwaschen unter der Aufsicht eines Peitsche schwingenden Aufsehers,(Handkolorierter Kupferstich, 1814)

Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika, die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingebornen Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Geheg zur Handelsjagd auf Schwarzhäute, bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära. Diese idyllischen Prozesse sind Hauptmomente der ursprünglichen Akkumulation. Auf dem Fuß folgt der Handelskrieg der europäischen Nationen, mit dem Erdrund als Schauplatz. Er wird eröffnet durch den Abfall der Niederlande von Spanien, nimmt Riesenumfang an in Englands Antijakobinerkrieg, spielt noch fort in den Opiumkriegen gegen China usw.

Die verschiednen Momente der ursprünglichen Akkumulation verteilen sich nun, mehr oder minder in zeitlicher Reihenfolge, namentlich auf Spanien, Portugal, Holland, Frankreich und England. In England werden sie Ende des 17. Jahrhunderts systematisch zusammengefaßt im Kolonialsystem, Staatsschuldensystem, modernen Steuersystem und Protektionssystem. Diese Methoden beruhn zum Teil auf brutalster Gewalt, z. B. das Kolonialsystem. Alle aber benutzten die Staatsmacht, die konzentrierte und organisierte Gewalt der Gesellschaft, um den Verwandlungsprozess der feudalen in die kapitalistische Produktionsweise treibhausmäßig zu fördern und die Übergänge abzukürzen. Die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht. Sie selbst ist eine ökonomische Potenz.

Von dem christlichen Kolonialsystem sagt ein Mann, der aus dem Christentum eine Spezialität macht, William Howitt: »Die Barbareien und ruchlosen Greueltaten der sogenannten christlichen Racen, in jeder Region der Welt und gegen jedes Volk, das sie unterjochen konnten, finden keine Parallele in irgendeiner Ära der Weltgeschichte, bei irgendeiner Race, ob noch so wild und ungebildet, mitleidlos und schamlos.« (Fußnote: William Howitt, »Colonization and Christianity. A Popular History of the Treatment of the Natives by the Europeans in all their Colonies – Kolonisation und Christentum. Eine leicht verständliche Geschichte der Behandlung von Ureinwohnern durch die Europäer in allen ihren Kolonien«, London 1838, Seite 9. Über die Behandlung der Sklaven gute Kompilation bei Charles Comte, »Traité de la Législation – Traktat über die Gesetzgebung«, 3me Édition, Bruxelles 1837. Man muss dies Zeug im Detail studieren, um zu sehn, wozu der Bourgeois sich selbst und den Arbeiter macht, wo er die Welt ungeniert nach seinem Bilde modeln kann.)

Die Geschichte der holländischen Kolonialwirtschaft – und Holland war die kapitalistische Musternation des 17. Jahrhunderts – »entrollt ein unübertreffbares Gemälde von Verrat, Bestechung, Meuchelmord und Niedertracht« (Fußnote: Thomas Stanford Raffles, verstorbener Vizegouverneur dieser Insel, »Die Geschichte Javas«, London 1817, 2. Band, Seiten 190-191) Nichts charakteristischer als ihr System des Menschendiebstahls in Celebes, um Sklaven für Java zu erhalten. Die Menschenstehler wurden zu diesem Zweck abgerichtet. Der Dieb, der Dolmetscher und der Verkäufer waren die Hauptagenten in diesem Handel, eingeborne Prinzen die Hauptverkäufer. Die weggestohlne Jugend wurde in den Geheimgefängnissen von Celebes versteckt, bis reif zur Verschickung auf die Sklavenschiffe. Ein offizieller Bericht sagt: »Diese eine Stadt von Makassar z. B. ist voll von geheimen Gefängnissen, eins schauderhafter als das andre, gepfropft mit Elenden, Opfern der Habsucht und Tyrannei, in Ketten gefesselt, ihren Familien gewaltsam entrissen.«

Um sich Malakkas zu bemächtigen, bestachen die Holländer den portugiesischen Gouverneur. Er ließ sie 1641 in die Stadt ein. Sie eilten sofort zu seinem Hause und meuchelmordeten ihn, um auf die Zahlung der Bestechungssumme von 21.875 Pfund Sterlin zu »entsagen«. Wo sie die Füße hinsetzten, folgte Verödung und Entvölkerung. Banjuwangi, eine Provinz von Java, zählte 1750 über 80.000 Einwohner, 1811 nur noch 8.000. Das ist der doux commerce (sanfte Handel)!

Die Englisch-Ostindische Kompanie erhielt bekanntlich, außer der politischen Herrschaft in Ostindien, das ausschließliche Monopol des Teehandels wie des chinesischen Handels überhaupt und des Gütertransports von und nach Europa. Aber die Küstenschiffahrt von Indien und zwischen den Inseln wie der Handel im Innern Indiens wurden Monopol der höhern Beamten der Kompanie. Die Monopole von Salz, Opium, Betel und andren Waren waren unerschöpfliche Minen des Reichtums. Die Beamten selbst setzten die Preise fest und schanden nach Belieben den unglücklichen Hindu. Der Generalgouverneur nahm teil an diesem Privathandel. Seine Günstlinge erhielten Kontrakte unter Bedingungen, wodurch sie, klüger als die Alchimisten, aus nichts Gold machten. Große Vermögen sprangen wie die Pilze an einem Tage auf, die ursprüngliche Akkumulation ging vonstatten ohne Vorschuss eines Schillings.

Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band, 24. Kapitel: Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation. 4. Auflage, Hamburg 1890. Hier zitiert nach: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke (MEW), Band 23. Dietz-Verlag, Berlin 1969, Seiten 779–780

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