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Aus: Alternatives Reisen, Beilage der jW vom 21.02.2024
Alternatives Reisen

Widerstand als Geschäft

Sauteuer und gratis, souverän und clever vermarktet. Die Insel Korsika ist alles – und das Gegenteil
Von Felix Bartels
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Idylle mit Pferden: Das Elburs-Gebirge in Persien

Asterix und Napoleon. Mehr muss man nicht wissen. Es sei denn, man möchte selbst da hin, nach Korsika, »kalliste«, der schönsten aller Inseln, wozu ich dringend rate. Eigensinnig sei der Korse, schrei­ben Uderzo und Goscinny im Editorial ihres 1973 erschienen »Astérix en Corse«. Sie rühmen auch den Käse und die Tradition der Blutrache. Und selbstverständlich findet sich eine Anspielung auf Napoleon daselbst: »Ein Kaiser, den die Korsen akzeptieren, muss Korse sein«, lassen die Rebellen Cäsar ausrichten. Ähnliches werden, das zu Ändernde geändert, die Georgier den Bolschewiki gesagt haben.

Nun sind weder Napoleon noch Asterix ein hinreichender Grund, Urlaub auf einer Insel zu machen, die logistisch nicht eben dazu einlädt. Geschichte studiert, Geschichten liest man ohnehin am besten zu Hause. Warum also Korsika? Warum nicht zum Beispiel Sardinien?

Zunächst ist Korsika zwar nicht arm an Touristen, doch hat man dort irgendwie den Dreh gefunden, es nicht nach Tourismus aussehen zu lassen. In Italien werden Strände in der Regel bewirtschaftet, eine Liege kostet gern mal 50 Euro pro Tag, Sonnenschirm reiht sich an Sonnenschirm, die Menschen eng und in Reihe, Sardinien, könnte man meinen, leitet sich von Sardinen ab. Erreicht man auf Korsika das Meer, ist es mal voll, mal weniger, alles ergibt sich irgendwie, die Strände bleiben von menschlichen Spuren weitgehend unberührt. Abends, wenn alle in ihren Löchern sind, sieht es aus, als sei nie jemand da gewesen. Die größeren Städte haben ein paar Hotspots mit Geschäften und Restaurants. Die meiste Zeit sieht man einfach Wasser, Berge, alte Häuser. Die Insel ist nichts für Reisende, die vorgefertigte Angebote lieben. Man muss sich die Dinge suchen, selbst herausfinden, wo die schönen Stellen sind. Wer Partys will oder shoppen, wäre auf der falschen Insel.

Was also für Korsika spricht, ist seine Natur. Und in dieser Hinsicht wirkt der Landfleck vollständig, wie es nur geht. Gephotoshoppte Strände weißen Sandes und türkisfarbenen Wassers, Felsen, von denen aus man ins Meer springen kann, eine Vegetation, die mediterran, aber nicht trocken ist. Die Maccia bleibt durchgängig grün, Bäume und Gewächse, selten höher als 5 Meter, wachsen enorm dicht auf Flächen und an Hängen. Sie sorgen dafür, dass die Hitze erträglich wird. Ebenso wie die zahllosen Gebirgsflüsse mit ihren Gumpen, die desto kälter sind, je schöner sie aussehen. Viele Berge reichen über die Baumgrenze, mehr als 50 von ihnen enden jenseits der 2.000 Meter. Die Straßen sind selten ohne Gefälle, führen sie nicht hinauf, führen sie hinab. Mit ihrer reich gekammerten und vielseitigen Landschaft gleicht Korsika Norwegen, mit dem Unterschied, dass das Wasser warm genug zum Baden ist. Und dass das Essen besser schmeckt. Der Wein ohnehin.

Die Schönheit hat allerdings ihre Kehrseite. Der Urlaub auf Korsika ist teuer. Nicht nur wegen der Preise im Supermarkt, bei denen man auf die deutschen quasi stets ein bis zwei Euro draufschlagen muss. Auch die weiten Wege werden zum Problem. Von A nach B kommen zu können macht den Großteil der Ausgaben aus. Gut vernetzt durch Busse oder Bahnen ist die Insel nicht gerade.

Dennoch gibt es Möglichkeiten, die Kosten zu drücken, so dass der Urlaub in den oberen Bereich des gerade noch Erschwinglichen rücken kann. Die Insel ist auch zu schön, sie den Besserverdienenden zu überlassen. Flüge nach Bastia oder Ajaccio sind teuer, Bahnfahrten und Fähren kosten weniger, aber immer noch viel, zudem dauert die Anreise dann mindestens zwei Tage. Ab drei Personen lohnt es sich, direkt von Deutschland aus mit dem Auto zu reisen. Man kann sich das Benzin teilen, um die Fähre (Nizza, Marseille, Genua oder Livorno) kommt man auch dann nicht herum, doch auf der Insel benötigt man ohnehin ein Auto. Häuser in den Bergen sind preiswerter als am Strand, Zeltplätze noch günstiger. In Restaurants zahlt man im Grunde nicht mehr als in Deutschland, in Supermärkten, wie gesagt, schon. Allerdings muss man nicht jeden Abend opulent schnabulieren. Die Ausgaben für Schafskäse, Fisch und luftgetrocknete Salami holt man bei Gemüse, Pesto und Pasta wieder raus. Wie auf dem französischen Festland hat bereits der günstige Wein, den es in Schläuchen gibt, hohe Qualität. Stellt man sich mit Unterkunft, Verpflegung und Fahrten gut auf, ist man mit den Ausgaben im Grunde schon durch. Denn das, was Korsika vor allem attraktiv macht, die Natur nämlich, gibt es gratis.

Nähert man sich der Insel mit der Fähre, sind, gleich von welcher Seite, Genueser Türme zu sehen. Mehr als 150, hauptsächlich an den Küsten, gibt es auf der Insel, derart präsent, dass sie schon als Teil der Natur genommen werden können. Korsikas Geschichte ist eng verbunden mit der Genuas. Die Insel geriet im 13. Jahrhundert unter den Einfluss des wirtschaftlich mächtigen Stadtstaats, durch ökonomische Mechanismen, aber auch schnöde militärische Landnahme. Ganz unter Kontrolle bekam Genua die Korsen nie. Die Küsten sind von der Fremdherrschaft geprägt, das Inland blieb kaum zugängliches Frontier. Die Genueser brachten nicht nur ihre Türme auf die Insel. Sie schleppten auch die Pest ein, die etwa in Bonifacio 4.000 Menschen hinraffte und erst 1528 besiegt werden konnte. Die Epidemie war eine indirekte Folge des norditalienischen Kolonia­lismus. Am Schwarzen Meer hatten die Krimtataren im Kampf gegen die Besatzer infizierte Wäschestücke in die Genueser Festung geworfen – eine frühe Form biologischer Kriegführung –, Handelsschiffe Genuas schleppten die Krankheit dann auf Korsika ein.

Ab 1729 wird der Widerstand der Korsen militärisch, 1768 hat Genua die Nase voll und verkauft die Insel an Frankreich. Korsika wird nicht befreit, es wechselt bloß den Besitzer. Das haben die Bewohner, wie man der Insel an jeder Ecke anmerkt, bis heute nicht vergessen. An den Leitplanken der großen Fernstraßen liest man Botschaften wie »Français de merde« oder »Corsica is not France«. Die sympathische Angewohnheit, anlässlich von Hochzeiten und anderen Feierlichkeiten auf Straßenschilder zu schießen, ist längst zum politischen Statement geworden. Gerne werden die französischen Ortsnamen durchsiebt, während die korsischen darüber unversehrt bleiben. In den großen Städten – dem etwas nüchternen Bastia im Norden, der mit ihrem berühmten Sohn Bonaparte wuchernden Hauptstadt Ajaccio, dem durch antike Schönheit alles überstrahlenden Bonifacio, an dessen Felsenhängen in traumhafter Lage arme Menschen in schäbigen Steinhäusern leben, die Megayachten globaler Milliardäre im Sichtfeld – ist die Symbolik des Widerstands zum Handelsobjekt geworden. Der berühmte »Mohrenkopf« mit weißem Stirnband, der seit 1755, eingeführt vom Nationalhelden Pasquale di Paoli, die korsische Flagge bestückt und den Befreiungskampf bedeuten soll, findet sich auf Kaffeetassen, Aschenbechern, Basecaps, T-Shirts, Kalendern, allem also, das sich Touristen verkaufen lässt. Was koloniale Macht nicht konnte, der Kapitalismus kann es, Widerstand wird domestiziert durch Vermarktung. Das ganze Elend der postkolonialen Ideologie, jenes dürftigen Surrogats einer Kritik am globalen Kapitalismus, lässt sich hier buchstäblich anfassen.

Die Korsen scheinen zu wissen, dass sie ihre Unabhängigkeit in diesem Teil des Multiversums nicht erlangen werden. Also verdienen sie wenigstens Geld an ihrer Lage. Man mag es ihnen nicht übelnehmen. Es gibt wichtigeres im Leben als Kampf. Leben zum Beispiel.

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