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Aus: Ausgabe vom 21.02.2024, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Öffentlicher Friede

Von Horsta Krum
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Von links den öffentlichen Frieden stören? Welchen Straftatbestand erfüllt das?

Der Begriff »öffentlicher Friede« ist nur vage definiert. So oder so ist er ein Terminus des deutschen Strafgesetzbuchs und wird dort in mehreren Paragraphen als ein zu schützendes Gut bestimmt. Der Jurist und Hochschullehrer Martin Heger nennt öffentlichen Frieden den »Zustand eines von der Rechtsordnung gewährleisteten, frei von Furcht voreinander verlaufenden Zusammenlebens der Bürger und das Vertrauen in der Bevölkerung (…) in die Fortdauer dieses Zustandes«. Schon das Reichsgericht hatte den öffentlichen Frieden ähnlich definiert als den »Zustand des beruhigenden Bewusstseins der Staatsbürger, in ihren durch die Rechtsordnung gewährleisteten berechtigten Interessen geschützt zu sein und zu bleiben« beziehungsweise später als »das befriedete Zusammenleben der Volksgenossen innerhalb derselben rechtlich geschützten staatlichen Ordnung«.

Bereits die preußische Rechtsprechung von 1876 formulierte im sogenannten Klassenkampfparagraphen: »Wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise verschiedene Klassen der Bevölkerung zu Gewaltthätigkeit gegen einander öffentlich anreizt, wird mit Geldstrafe (…) oder mit Gefängnis (…) bestraft.« Wundert es da, dass Karl Marx in diesem Lande nicht willkommen war?

Auch die Rechtsprechung der Nazizeit kannte den Begriff des öffentlichen Friedens, wandte ihn aber selten an. Rudolf Buttmann, Hitlers Beauftragter bei den Verhandlungen mit dem Vatikan über die Umsetzung des Reichskonkordats, nutzte ihn im Oktober 1933 als Drohung gegenüber Eugenio Pacelli, dem Bevollmächtigten des Papstes. Zuvor hatten deutsche katholische Würdenträger die Reichsregierung kritisiert. Buttmann: »Man muss, wenn man derartige, doch zum Teil außerordentlich krasse Äußerungen und Stellungnahmen (…) erleben muss, verstehen, dass die Staatsregierung hierdurch den öffentlichen Frieden erheblich gefährdet sieht.«

Auf den Begriff konnten Ende 2022 auch Nichtjuristen aufmerksam werden, die sich in der Regel eher wenig mit dem Strafgesetzbuch beschäftigen. Der Bundestag verabschiedete damals einen neuen, fünften Absatz zum Paragraphen 130 Strafgesetzbuch (StGB), der den Gesamttitel »Volksverhetzung« trägt und der so beginnt: »Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören …« Volksverhetzung, also die Aufstachelung zum Hass oder die Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen eine in Absatz 1 genannte »nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe«, ist danach eine Störung des öffentlichen Friedens. Mit den Absätzen drei und vier werden die öffentliche Billigung, Leugnung oder Verharmlosung der »nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft« sowie von »unter der Herrschaft des Nationalsozialismus« begangenen Verbrechen unter Strafe gestellt. Daran angehängt wird der neue Absatz fünf, der besagt, dass mit einer »Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe« bestraft wird, wer Volksverhetzung gegen in Absatz 1 genannte Gruppen »öffentlich oder in einer Versammlung in einer Weise billigt, leugnet oder gröblich verharmlost, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt gegen eine solche Person oder Personenmehrheit aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören«. Der Absatz ist also sehr allgemein gehalten.

Der Volksverhetzungsparagraph ist – so ist es im Nomos-Kommentar von 2023 zu lesen – »die vielleicht am meisten angefochtene Bestimmung« des StGB. Das gilt um so mehr für den neuen Absatz 5: Der öffentliche Frieden muss gar nicht direkt gestört werden. Schon Meinungsäußerungen, die geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören, können bestraft werden. Sieht so Rechtssicherheit aus? Und welche Rolle spielt dann noch die Meinungsfreiheit, die das Grundgesetz garantiert?

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