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Aus: Ausgabe vom 10.05.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kunst

Leicht und frei

Experimentelles Formen: Die Berlinische Galerie zeigt Hans Uhlmann als prägenden Künstler der westdeutschen Nachkriegsmoderne
Von Sabine Lueken
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Der Zeichner und Bildhauer Hans Uhlmann (27.11.1900–28.10.1975)

»Kinder, wartet doch ab, wird ja noch ausgepackt, ist ja noch nicht enthüllt«, zitiert der »Abendschau«-Reporter die »Berliner Schnauze«. »Nirosta-Dirigent«, »Schaschliknadel«: Die vor der neuerbauten Deutschen Oper in Westberlin im Oktober 1961 aufgestellte Plastik erregte die Gemüter. Die Spottnamen verbauen die unvoreingenommene Sicht, ärgerte sich der Künstler. Allegorisch zu arbeiten, »eine Muse der Tonkunst mit einer Harfe in der Hand … das ist ja für unser Jahrhundert nicht mehr denkbar«. Statt dessen setzte er mit einer gefalteten Vertikale einen Kontrapunkt zu der eintönigen Kieselbetonfassade.

Heute fällt diese Plastik kaum noch auf, und wenn doch, weiß keiner, von wem sie stammt. Das gilt auch für die anderen Werke Hans Uhlmanns im öffentlichen Raum: Das verspielte »Concerto« im Foyer des Konzertsaals der Hochschule der Künste (1954), die an ein Atommodell erinnernde Plastik im Hansaviertel (1958) und die aus Aluminiumblech geformte, unauffällige Flügelfigur auf dem Dach der Philharmonie (1964). Weitere Werke finden sich u. a. in Stuttgart, Bonn und Rom.

Grund genug für die Berlinische Galerie, dem fast vergessenen Künstler, der als Begründer der Metallplastik in Deutschland gilt, eine elegante Retrospektive zu widmen. Streng chronologisch aufgebaut erlaubt sie, den künstlerischen Werdegang des im Jahr 1900 geborenen Berliners nachzuvollziehen. Den historischen Kontext muss man sich dazudenken. Nach dem Krieg wollten junge Künstler den Realismus der Reichs-Schamhaarmaler und die völkisch-monumentalen Skulpturen nicht mehr sehen, statt dessen »frei« arbeiten.

Uhlmanns erste Drahtplastik, das »Lächeln der Berolina« von 1933, ist in der Ausstellung zu sehen, ein grotesk lachender Kopf mit abstehendem Haar und Holzperlenkette. Er war auf einem Wagen befestigt, mit dem Uhlmann und seine gute Freundin Jeanne Mammen herumzogen und – mit wenig Erfolg – versuchten, antiquarische Bücher und Kunstblätter zu verkaufen. Im Januar 1933 hatte Uhlmann als KPD-Mitglied seine Stelle als Assistent am Lehrstuhl für Elektromaschinenbau an der Technischen Hochschule verloren. Beinahe hätte der Kopf »einen Liebhaber gefunden, einen 14jährigen Jungen, der sein ganzes Vermögen, zehn Reichsmark, dafür opfern wollte«, berichtete Uhlmann später.

Im Oktober 1933 wurde Uhlmann von der Gestapo auf offener Straße verhaftet, ins Gestapo-Gefängnis Columbia-Haus gebracht, wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt. Er und sein Begleiter hatten 200 Klebezettel, die zum Klassenkampf aufriefen, bei sich gehabt. Im Strafgefängnis Tegel schrieb er Tagebuch, zeichnete und entwickelte »ganze Nächte lang« Ideen für Plastiken. Nach seiner Haftentlassung experimentierte er neben seiner Brotarbeit bei der National-Krupp Registrierkassen GmbH im geheimen mit verschieden Formen und Materialien, entwickelte abstrakte Plastiken aus Draht und Köpfe aus Eisenblechplatten. Er sah diese Zeit als »die wichtigste Periode« seiner künstlerischen Entwicklung.

Ab 1945 widmete sich Uhlmann ausschließlich der Kunst. Er wurde von sowjetischen Kulturoffizieren als »Fachreferent für Malerei und Plastik bei der Abteilung für Volksbildung« im Bezirksamt Steglitz eingesetzt und organisierte wenige Wochen nach Kriegende bereits die erste Ausstellung. »Nach 12 Jahren. Antifaschistische Maler und Bildhauer stellen aus« zeigte ehemals als »entartet« diffamierte Künstler, er selbst war mit 42 Arbeiten vertreten. Ein Jahr später leitete er die legendäre »Galerie Gerd Rosen« am Kurfürstendamm, die schnell zum Zentrum der Berliner Kunstavantgarde wurde. »Das einzige Konzept, das wir hatten, war, keine Nazis auszustellen«, so Uhlmanns Vorgänger Heinz Trökes.

1950 wurde Uhlmann als außerordentlicher Professor für das Fach »Grundlehre für künstlerische Gestaltung« an die Hochschule für bildende Künste in Westberlin berufen, später unterrichtete er auch eigene Klassen im »experimentellen Formen«, war als Lehrer eine Instanz. Zudem hatte er nun ein Atelier, das ihm erlaubte, auch große Plastiken zu realisieren, er löste sich in seinen Arbeiten zunehmend von gegenständlichen Bezügen. Die zahlreichen Zeichnungen in der Ausstellung lassen aber nachvollziehen, wie die Abstraktion aus der Menschendarstellung erwuchs, besonders aus der Darstellung von Tanz und Bewegung. Seine späteren Plastiken hingegen haben nicht mehr das Geschwungene, Verspielte, sondern wirken kompakter, härter, kantiger.

Uhlmanns Arbeiten wurden als Visitenkarte einer sich als modern und freiheitlich verstehenden Bundesrepublik international präsentiert, in São Paulo, Venedig, New York und Mailand. Aber sie erfuhren auch harsche Kritik. Heinz Lüdecke, Kulturredakteur beim Neuen Deutschland, kritisierte »asketischen Formalismus« und fehlenden Bezug zur Wirklichkeit, im Westen verurteilte der rechtskonservative Kritiker Richard W. Eichler »die Verächter des Figürlichen« als Scharlatane, beklagte »Kunstverfall« und sprach damit vielen aus der Seele.

Was Kritiker über den deutschen Ausstellungsraum der Mailänder Triennale 1954 schrieben, auf der Uhlmanns »Concerto« der Blickfang war, konnte eine Besucherin auch in der aktuellen Uhlmann-Ausstellung in der Berlinischen Galerie nachempfinden. Man fühle sich beim Betrachten »frei, heiter und leicht«.

Hans Uhlmann: »Experimentelles Formen«, Berlinische Galerie, bis 13. Mai 2024

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