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Aus: Ausgabe vom 29.04.2024, Seite 14 / Leserbriefe

Aus Leserbriefen an die Redaktion

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Zu jW vom 15.4.: »Gedenken nach 79 Jahren«

(…) So wie wir uns vor dem jüdischen Volk, den Sinti und Roma, den Opfern aller Nationen verneigen, so verneige ich mich auch vor den Opfern des russischen Volkes: Ich verneige mich vor allen russischen Menschen, die ermordet, gefoltert, geschändet und gedemütigt wurden, die im Befreiungskampf im Zweiten Weltkrieg gefallen sind.

Hat nicht die Sowjetunion den größten Anteil daran gehabt, dass die Welt und besonders Deutschland vom Hitlerfaschismus befreit wurden? Sind wir an einem Punkt angelangt, an dem alles, was von deutschem Boden aus geschehen ist, in Vergessenheit gerät?

Ich protestiere scharf gegen den Ausschluss der russischen Delegation bei der Gedenkfeier des Konzentrationslagers. Waren es nicht auch russische Soldaten, die unter anderem die Konzentrationslager Auschwitz, Sachsenhausen und Ravensbrück befreit haben? Und waren es nicht auch russische Soldaten, die zahlreiche deportierte Menschen von den mörderischen Todesmärschen der Nazis befreit und Leben gerettet haben?

Deutschland, die deutsche Regierung, sollte sich schämen angesichts dieser Ausgrenzung der russischen Delegation zur Kranzniederlegung im Konzentrationslager Sachsenhausen zu Ehren ihrer ermordeten Landsleute. Ich habe gemeinsam mit meinem verstorbenen Ehemann und meiner verstorbenen Schwester jahrelang an den Gedenkveranstaltungen in den Konzentrationslagern Ravensbrück und Sachsenhausen teilgenommen. Wir haben gesehen, wie sich die ehemaligen Überlebenden aller Nationen gemeinsam mit ihren Familienangehörigen in den Armen lagen, miteinander geweint, aber auch gelacht haben. (…)

Mein Schwager war Résistance-Kämpfer und hatte viele Freunde unter den deportierten Menschen, wie zum Beispiel den 1. Präsidenten des Internationalen Sachsenhausen-Komitees, Charles Désirat, oder Cécile Lesieur, Schatzmeisterin des Internationalen Ravensbrück-Komitees von 1982 bis 1993. Es wurden auch unsere Freunde.

Was mir fehlt, ist eine Erinnerungskultur wie in Frankreich. Hier werden sogar Schülergruppen zu den Gedenkfeiern eingeladen und mitgenommen. Das in Deutschland zu fordern scheint fast schon vermessen. Schaffen es unsere Schulen doch nicht einmal, die Jugendlichen bis zum Ende der zehnten Klasse ausreichend über die Zeit von Hitlers Machtergreifung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges zu informieren. Ich habe das schockiert bei meinen sechs Enkeln zur Kenntnis nehmen müssen und bin froh, dass unsere Familie diese Thematik anders behandelt. (…)

Bei einem meiner Enkelsöhne wurde in der Schule die Frage gestellt, wer schon einmal in einem Konzentrationslager gewesen sei. Er meldete sich als einziger Schüler. Der Lehrer zog das daraufhin in den Augen meines Enkels ins Lächerliche, als er sagte, wieviel Zeit er in einem Konzentrationslager verbracht hätte. Die Klasse lachte … Welch eine Schande.

Ein so wichtiges Kapitel deutscher Geschichte so stiefmütterlich zu behandeln spiegelt sich auch in dem aktuellen Ereignis, dem Umgang mit der russischen Botschaft, und dem in meinen Augen in der Bevölkerung fehlenden breiten Aufschrei wider. Die aktuellen Schwierigkeiten, die Deutschland mit Russland hat, in eine so wichtige Gedenkfeier einfließen zu lassen zeugt in meinen Augen von fehlender Reflexionsfähigkeit. Ich und auch andere Menschen werden weiterhin Gesicht zeigen und aufzeigen, dass nicht die gesamtdeutsche Bevölkerung hinter diesem Verhalten steht. Wir verurteilen diesen Wahnsinn aufs tiefste und stehen gegen jedwede Ausgrenzung, Rassismus und Krieg auf. (…)

Bärbel Zeun, per E-Mail

Bewusste Tat

Zu jW vom 24.4.: »Paare nach Besuch in Braunau angezeigt«

Das Zeigen des Hitlergrußes gilt in der Bundesrepublik Österreich als Wiederbetätigung und wird nach dem Verbotsgesetz in diesem südlichen Nachbarland verfolgt. Deutsche Staatsbürger sollten diese Kenntnis besitzen. Am Geburtshaus des »Führers« der grausamen deutsch-faschistischen Diktatur in Braunau lässt diese Tat auf eine bewusste Handlung dieser vier Deutschen schließen. Bekanntlich fielen dieser blutigen Schreckensherrschaft zwischen 1933 und 1945 durch Massenrepressalien, Eroberungskriege, indus­trielle Massenvernichtung 60 Millionen Frauen, Männer und Kinder zum Opfer. Am 20. April habe ich eine Geldspende an die Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e. V. überwiesen. Aus meinem Geburtsort Barchfeld/Werra sind drei Männer, zwei Kommunisten und ein Jude, im KZ Buchenwald auf dem Ettersberg bei Weimar unter den Folgen der Zwangsarbeit und Willkürherrschaft der SS umgekommen. Von Juli 1937 bis zum 11. April 1945, dem Tag der Selbstbefreiung und Befreiung der Häftlinge durch Kampftruppen der US-Streitkräfte, wurden 56.000 Menschen aus zahlreichen Ländern Europas allein in diesem Konzentrationslager Opfer des Faschismus.

Rainer Döhrer, Barchfeld/Werra

»Unanständig«

Zu jW vom 19.4.: »Sein gutes Recht«

Liebe Freunde, dieser Beitrag hat mir fast die Sprache verschlagen. In dieser sehr angespannten Weltlage auf diese Weise sich über den äußerst mutigen, sensiblen, politisch klugen Dieter Hallervorden und seinen Koautoren Diether Dehm zu äußern, halte ich menschlich für äußerst unanständig. Euer Beitrag mit dem abschließenden Zitat des Grünen-Politikers Volker Beck geht m. E. politisch vollkommen an der Sache vorbei und ist einer soliden, verständnisvollen Argumentation über die Lage im Nahen Osten nicht dienlich und der jungen Welt – wie ich sie auch im Zusammenhang mit dem jüngst verbotenen Palästina-Kongress erlebt habe – nicht würdig.

Marianne Linke, Stralsund

Die aktuellen Schwierigkeiten, die Deutschland mit Russland hat, in eine so wichtige Gedenkfeier des Konzentrationslagers einfließen zu lassen zeugt von fehlender Reflexionsfähigkeit.

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