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Aus: Ausgabe vom 26.04.2024, Seite 4 / Inland
Staatsfeind Fan

Denunziation auf Schalke

Gelsenkirchen: Großfahndung nach Fußballfans. Kritik von Fanhilfe und Anwalt
Von Oliver Rast
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Kontaktversuch: Anhänger der Frankfurter Eintracht (links) clinchen mit Kontrahenten des Ruhrpottklubs am vorletzten Spieltag der vergangenen Saison (20.5.2023)

Sie sind akkurat in Szene gesetzt, optisch aufpoliert, in einer Art Fotogalerie. Von jedem gibt es zwei, drei, vier Schnappschüsse. Porträts, herausgefiltert aus der Videoüberwachung in der Arena auf Schalke. Am Dienstag veröffentlichte das Gelsenkirchener Polizeipräsidium die Bilderstrecke von insgesamt 69 Personen zwecks öffentlicher Fahndung. 42 mutmaßliche Fans vom FC Schalke 04, 27 von Eintracht Frankfurt. Es ist eine großangelegte Denunziationskampagne gegen Anhänger des Fußballsports, monierte gleichentags die Königsblaue Hilfe, die Fanhilfe der Schalker. Und: Die Boulevardpresse sei »bereits auf den Zug der Polizei aufgesprungen und verbreitet Teile der Fahndungsbilder«. Unzensiert, unverpixelt.

Was war passiert? Vorletzter Spieltag, vergangene Saison, Sonnabend, 20. Mai 2023, circa 17.32 Uhr. Nach dem Schalker Abstiegsfight auf dem Feld folgt der Clinch auf den Rängen. Erlebnisorientierte Eintrachtler hatten nach Abpfiff den Kontakt zu den Ruhrpott-Kontrahenten gesucht – und gefunden. Tumult in einzelnen Stadionblöcken, ein Kräftemessen auf Augenhöhe. Während der Auseinandersetzung sollen laut Einsatzkräften auch Unbeteiligte verletzt worden sein.

Vorfälle, die seit rund zehn Monaten eine eigens gegründete Ermittlungskommission der Polizei Gelsenkirchen aufklärt. Die leitete unterdessen 212 Verfahren ein und identifizierte eigenen Angaben zufolge 143 Tatverdächtige. Fußballspiele seien kein rechtsfreier Raum, wurde Gelsenkirchens Polizeipräsident Tim Frommeyer am Dienstag in einer Mitteilung zitiert. »Wer offenkundig mit Vorsatz andere Personen angreift und sogar verletzt, muss mit Strafverfolgung rechnen.« Die Vorwürfe: schwerer Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung, tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte samt Beleidigung, bestätigte ein Sprecher der leitenden Staatsanwaltschaft Essen am Donnerstag gegenüber jW. Und diejenigen, die seitens der Ermittler nicht identifiziert werden konnten, wurden nun zur Fahndung ausgeschrieben. Das Amtsgericht Essen hatte auf Antrag der örtlichen Staatsanwaltschaft die Veröffentlichung von Bildmaterial der Gesuchten angeordnet. Ein ganz normaler Vorgang, befand der Sprecher.

Das sehen die Fanhelfer anders. Diese Massenfahndung »aufgrund des schnell konstruierten Vorwurfs des Landfriedensbruchs stellt für uns eine neue Qualität polizeilicher Repression dar«. Die Schrauben würden angesichts der bevorstehenden Europameisterschaft in Deutschland fester gedreht. Zumal der neue Staatsanwalt der Fußballabteilung sich durch »einen besonderen Verfolgungseifer und harte Strafanträge auszeichnet«, ergänzte Thomas Wings am Donnerstag im jW-Gespräch. Beispiel: Allein die physische Anwesenheit bei Körperverletzungsdelikten weit abseits des eigentlichen Tatgeschehens werde als Beihilfe ausgelegt, so der Strafverteidiger und Fananwalt aus Gelsenkirchen, der unter anderem Mandaten aus der aktiven Fanszene des FC Schalke 04 vertritt. »Aus meiner Sicht sehr weit hergeholt.«

Was ferner auffällt: Die »szenekundigen Beamten« (SKB) – also jene Polizisten, die dem »erlebnisorientierten Klientel« nachsteigen – hätten das ganz große Fass aufgemacht. Denn das Gros der zur Fahndung Ausgeschriebenen seien unorganisierte, »normale« Fans, schätzt Wings. Und: Eine solche Fahndung komme einer vorweggenommenen Bestrafung gleich, sie sei auch deshalb unverhältnismäßig.

Das dürfte die Ermittler wenig interessieren. Zudem war die mediale Hatz erfolgreich. Im Halbtagestakt verbreitete der polizeiliche Pressestab »Jubelmeldungen« über neue Identifizierungen. Von den anfangs 69 Verfolgten seien bislang 33 namentlich ermittelt worden, sagte ein Präsidiumssprecher am Donnerstag auf jW-Nachfrage.

Eine weitere Wirkung: Abschreckung und Verunsicherung. Andererseits dürfte die Verfolgungsmaßnahme »einen starken Solidarisierungseffekt innerhalb der Fanszene und gegen die Polizei auslösen«, erwartet Wings. Betroffene sollten in jedem Fall gegen die Anordnung der Öffentlichkeitsfahndung Rechtsmittel einlegen. Wer will schon Pin-up eines Fahndungsaufrufs sein?

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  • Leserbrief von B. S. aus Ammerland (26. April 2024 um 11:55 Uhr)
    Nicht nur der FC Schalke 04 ist auf den Hund gekommen . . . . . . sondern auch die Politik und Justiz in diesem Land. Das Hooligans nicht zum Fußball gehen, um mit anderen Friedlichen-Fans Sport und Spaß zu erleben - manchmal jedenfalls - sondern um Randale zu veranstalten, weiß ein jeder. Nur was der Rechtsstaat hier vom Zaune bricht, ist reine Rechte Machtdemonstartion. Der »Unterdrückungsapparat« eines Faeser-Staates wird immer offensichtlicher, befeuert durch die hiesigen »System-Medien«! China . . .ick hör dir trapsen!»

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