4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 20.04.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Ecuador

Mit Referendum durchregieren

Ecuadors Präsident will sich am Sonntag Zustimmung für Rechtskurs sichern. Zustimmungswerte sprechen für ihn. Internationaler Druck steigt
Von Volker Hermsdorf
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Patrouillierende Soldaten sollen bald auch ohne Ausnahmezustand Teil des Alltags sein (Quito, 18.4.2024)

Ecuadors rechter Präsident Daniel Noboa will sich am Sonntag in einem Referendum den weiteren neoliberalen Umbau des Landes und die Militarisierung der Innenpolitik absegnen lassen. Obwohl seine Zustimmungswerte wegen anhaltender Gewalt und der schlechten wirtschaftlichen Lage im Land sinken, könnte ihm das sogar gelingen. Die Folge wären eine Verschärfung der Repression im Inneren und eine Außenpolitik, die den weiteren Rechtsruck in Lateinamerika vorantreibt.

Die Situation in Ecuador ist dramatisch. Trotz Militär auf den Straßen und des von Noboa Anfang des Jahres erklärten »internen Kriegs gegen das organisierte Verbrechen« beherrschen Gewalt und Terror den Alltag. Jüngstes Anschlagsopfer ist José Sánchez, der Bürgermeister einer Kleinstadt in der Küstenregion. Nur drei Wochen zuvor war bereits die mit 27 Jahren jüngste Bürgermeisterin des Landes, Brigitte García, erschossen worden. Örtlichen Medien zufolge töteten kriminelle Banden allein in der ersten Aprilhälfte bereits 80 Menschen.

Auch wirtschaftlich geht es unter Noboa bergab. Für das Jahr 2024 prognostiziert der Internationale Währungsfonds (IWF) für Ecuador mit 0,1 Prozent das geringste Wachstum aller lateinamerikanischen Länder. Ein deutlicher Rückschlag gegenüber der IWF-Schätzung vom Oktober 2023, die für 2024 einen Zuwachs von 1,8 Prozent voraussagte. Bei steigender Erwerbslosigkeit und Armut erhöhte die Regierung ab April die Mehrwertsteuer um drei Punkte von zwölf auf 15 Prozent, da der Staat Geld für den »internen bewaffneten Konflikt« brauche. Den Unmut der Bevölkerung verstärkt zudem eine Energiekrise. In den vergangenen Tagen fiel die Stromversorgung in einigen Städten bis zu 32 Stunden lang aus. Noboa rief am Dienstag den Notstand im Stromsektor aus und feuerte seine Energieministerin Andrea Arrobo. Studenten der Zentraluniversität von Quito protestierten daraufhin gegen die Regierung, die Stromausfälle und das Referendum. »Sie haben euch den Strom abgestellt, stellt ihnen die Unterstützung ab«, hieß es auf Transparenten.

Die außenpolitische Bilanz Noboas ist nicht besser. Mit dem Überfall auf die mexikanische Botschaft vom 5. April und der Verschleppung des ehemaligen Vizepräsidenten Jorge Glas hat der Staatschef sein Land international isoliert. Mexiko und Nicaragua brachen die diplomatischen Beziehungen ab. Venezuela und Honduras zogen ihr diplomatisches Personal zurück, und Kolumbien setzte bilaterale Gespräche über gemeinsame Projekte auf unbestimmte Zeit aus. Auf internationalen Druck distanzierten sich sogar enge Verbündete wie die Regierungen der USA und des ultrarechten argentinischen Präsidenten Javier Milei von dem Vorgehen. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat inzwischen für den 30. April und 1. Mai Anhörungen in einem von Mexiko gegen Ecuador eingeleiteten Verfahren angesetzt.

All das hat sich auf Noboas Akzeptanz in der Bevölkerung ausgewirkt, die allerdings noch immer recht hoch zu sein scheint. Laut einer von der Tageszeitung La Hora veröffentlichten Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Cedatos ist die Zustimmung zu ihm zwischen Januar und April um 12,6 Punkte von 81,4 auf 68,8 Prozent gesunken. Die Ablehnung des Präsidenten stieg dagegen innerhalb einer Woche von 19,9 Prozent am 28. März auf 29,3 Prozent am 3. April. Mit einem Erfolg bei der Volksabstimmung hofft Noboa nun, diesen Trend zu stoppen. In der von La Hora am 11. April veröffentlichten letzten Cedatos-Umfrage vor dem Referendum gaben 54,6 Prozent der Befragten an, am Sonntag mit Ja zu stimmen, während 34,2 Prozent für ein Nein votieren wollen.

Sollte Noboas Kalkül aufgehen, dürfte er nach dem Referendum die Militarisierung im Inneren vorantreiben und die Verfolgung politischer Gegner verschärfen. Der Angriff auf die Botschaft und die von einem ecuadorianischen Gericht kürzlich als »illegal« bezeichnete Festnahme von Glas haben gezeigt, dass er bereit ist, nationales und internationales Recht zu brechen. Scharfmacher wie der rechte Politiker Fernando Balda und der Journalist Pablo Guerrero, die im September 2010 an einem gescheiterten Putschversuch gegen den damaligen linken Präsidenten Rafael Correa beteiligt waren, forderten Noboa am Freitag in einem Beitrag für La Hora bereits offen zur »Säuberung des Staates von den korrupten Correístas« auf. Es müsse ein »Vorher und Nachher« geben, so Guerrero, denn heute »gibt es keinen Correismus mehr, sondern eine ungeordnete Bande von Leuten auf der Flucht«.

Auch außenpolitisch könnte Noboa sich – als verlässlicher Vertreter »westlicher Werte« – wieder erholen. Neben Milei und El Salvadors Machthaber Nayib Bukele, der sich selbst als »coolsten Diktator der Welt« bezeichnet, ist Noboa derzeit Washingtons engster Verbündeter in Lateinamerika. Zuletzt bewies er das vor der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über eine UN-Vollmitgliedschaft Palästinas. Wie das US-Portal The Intercept am Mittwoch unter Berufung auf durchgesickerte diplomatische Depeschen berichtete, hatte Ecuador vor der Debatte versucht, andere Länder gegen die Anerkennung Palästinas als Staat zu beeinflussen.

Hintergrund: Linke unter Druck

Das Leben von Jorge Glas sei in Gefahr, schlagen dessen Anwälte, Ecuadors ehemaliger Präsident Rafael Correa, dessen früherer Außenminister Ricardo Patiño und zahlreiche Unterstützer Alarm. Der 55jährige Politiker von der linken Partei »Revolución Ciudadana« war in der zweiten Amtsperiode von Rafael Correa (2013–2017) sowie zu Beginn der Amtszeit von dessen Nachfolger Lenín Moreno (2017–2021) Vizepräsident von Ecuador. Er gilt neben Correa und Patiño als eines der bekanntesten Symbole des »Lawfare« in seinem Land.

Moreno und sein Vize Glas waren am 2. April 2017 mit 51,1 Prozent der Stimmen gemeinsam in ihre Ämter gewählt worden. Beide hatten im Wahlkampf versprochen, das von Correa begonnene linke Projekt der »Bürgerrevolution« fortzusetzen. Nur wenige Monate später wechselte Moreno aber die Seiten, worauf Glas ihm Verrat an den Wählern vorwarf. Ende 2017 wurde der schärfste Kritiker von Morenos Kurswechsel wegen angeblicher Bestechung durch den brasilianischen Odebrecht-Konzern zu sechs Jahren Haft verurteilt. Zwei Jahre nach dem Urteil räumte Staatsanwältin Diana Salazar ein, dass es damals keine ausreichenden Beweise gegen Glas gegeben habe. Die Exekutivsekretärin der damaligen Regierungspartei »Alianza PAÍS« (AP), Gabriela Rivadeneira, verurteilte den Prozess gegen Glas als »rechtswidrig«. Der Konflikt führte Ende des Jahres zur faktischen Spaltung der AP und später zur Gründung der »Revolución Ciudadana«. In einem Brief aus der Haft bezeichnete Glas sich im Dezember 2018 als politischen Gefangenen und bat Freunde in aller Welt darum, sich seines und der Fälle anderer Genossen anzunehmen. »Die Instrumentalisierung der Justiz sollte als Verbrechen gegen die Menschheit betrachtet werden«, forderte er.

Doch die Verfahren gegen Linke in Ecuador gingen weiter. Im April 2020 wurden Glas, Correa sowie 18 weitere frühere Regierungsmitglieder wegen »passiver Bestechung« zu jeweils acht Jahren Haft verurteilt. Chefanklägerin Salazar hatte den Beschuldigten vorgeworfen, Gelder von privaten Unternehmen angenommen zu haben, um damit soziale Projekte und Wahlkämpfe zu finanzieren. Sie suchten »nach einem Weg, unseren Ruf zu zerstören und uns mit juristischen Mitteln von Wahlen auszuschließen«, kritisierte Correa die Urteile. Jorge Glas erhielt während seiner Haftzeit zudem wiederholt Morddrohungen, erkrankte schwer und musste häufig verlegt werden. Nachdem er fünf Jahre seiner Strafe verbüßt hatte, wurde er 2022 auf Bewährung entlassen. Vor einer erneut drohenden Verfolgung flüchtete Glas im Dezember in die mexikanische Botschaft und beantragte Asyl. (vh)

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