4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 10.04.2024, Seite 8 / Inland
Repression

»Durchsuchungen kommen immer wieder vor«

Polizeieinsatz bei Journalist nach »Tag X« in Leipzig war rechtswidrig. Ein Gespräch mit Erkan Zünbül und Constantin Waechter-Cardell
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Großaufgebot gegen angeblich drohende Aufstände zum »Tag X« in Leipzig (3.6.2023)

Das Landgericht Leipzig hat mit Beschluss vom 25. März einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Leipzig bei einem Journalisten aufgehoben. Was war der Hintergrund der Durchsuchung?

Erkan Zünbül: Der Journalist hatte vom Demonstrationsgeschehen am sogenannten Tag X berichtet. An diesem Tag sollten verschiedene Versammlungen im Nachgang und mit Bezug zum Antifa-Ost-Verfahren vor dem OLG Dresden stattfinden. Es wurde ein massives Polizeiaufgebot in Leipzig zusammengezogen und diverse Versammlungen verboten. Nach einer Versammlung kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Dabei sollen auch Brandsätze auf Polizeikräfte geworfen worden ein. Der Journalist veröffentlichte ein Foto auf seinem Twitter- und Flickr-Profil, das einen Tatverdächtigen dieser Würfe zeigen soll. In der Folge beantragte die Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbeschluss, ohne auf die Journalisteneigenschaft des Betroffenen hinzuweisen. Bei der Durchsuchung wurden sämtliche Speichermedien, Laptop, Handy und Tablet des Betroffenen beschlagnahmt.

Was genau war laut Feststellung des Amtsgerichtes Leipzig rechtswidrig an dem Durchsuchungsbeschluss?

Constantin Waechter-Cardell: Das Landgericht hat festgestellt, dass der Durchsuchungsbeschluss den Journalisten in seinem Grundrecht aus Artikel 5 des Grundgesetzes verletzt, da sich an keiner Stelle mit der Journalisteneigenschaft auseinandergesetzt wurde. Schon einfachste Recherchen im Internet hätten die Gewissheit bringen können, dass es sich bei dem Betroffenen um einen Journalisten handelt und dieser auch als solcher am besagten Tag im Einsatz war. Ferner war auch die Anordnung der Beschlagnahme aller Speichermedien und Medien rechtswidrig, da nur solche hätten überhaupt in Betracht kommen dürfen, die in Verbindung mit dem Wurf des Brandsatzes stehen und eben nicht sämtliche.

Wie häufig kommen solche polizeilichen Maßnahmen bei Journalistinnen und Journalisten vor? Sollte nicht davon ausgegangen werden können, dass sie von der Pressefreiheit geschützt sind und eben keine Hausdurchsuchungen stattfinden, um an Bilder zu kommen?

E. Z.: Durchsuchungen bei Journalisten kommen immer wieder vor, gerade wenn die Journalisten nicht offensichtlich unter dem Dach großer Medienhäuser agieren oder von den Ermittlungsbehörden für linke Aktivistinnen oder Aktivisten gehalten werden. So geschehen beispielsweise bei Radio Dreyeckland in Freiburg oder einem Fotojournalisten in Würzburg 2020. Auch in diesem Fall drängte sich der Verdacht auf, dass bewusst anders gegen einen einzelnen freien Journalisten vorgegangen wurde als gegen etablierte Medienhäuser. Beim MDR und anderen Medienhäusern fragten die Ermittlungsbehörden zunächst nach dem gesuchten Material und durchsuchten schlussendlich gar nicht.

Inwieweit stärkt dieser Beschluss die Pressefreiheit von jungen Journalisten?

C. W.-C.: Der Beschluss stützt junge Journalisten insoweit, als das klar ausgesprochen wird: Auch Jugendpresse ist Presse und von Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt. Gleiches gilt für die Verbreitung von Bildern und Erzeugnissen über eigene Social-Media-Kanäle. Auch dies ist dem Beschluss nach unzweifelhaft Journalismus, nicht nur der Verkauf an große Medienhäuser.

Welche Konsequenzen hat der Beschluss für die Verantwortlichen des rechtswidrigen Durchsuchungsbeschlusses? Werden derartige Razzien in Zukunft unterbleiben?

E. Z.: Man kann nur hoffen, dass dieser Beschluss die Ermittlungsrichter am Amtsgericht Leipzig wachrüttelt und die Praxis der ungeprüften Ausfertigung von Durchsuchungsbeschlüssen beendet. Und die Staatsanwaltschaft wird hoffentlich ein wenig zur Räson gebracht, was die Verfolgungswut in Leipzig nach dem »Tag X« betrifft. Alles in allem muss man sich aber nichts vormachen: Echte spürbare Konsequenzen jenseits davon, dass unser Mandant seine Gegenstände zurückerhält, wird der Beschluss wahrscheinlich nicht haben.

Erkan Zünbül und Constantin ­Waechter-Cardell sind Rechtsanwälte in Leipzig

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