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28.03.2024, 13:15:51 / Sport
Staatsfeind Fußballfan

Rustikaler Weckdienst

Razzien bei aktiven Anhängern des FC Augsburg: Türen demoliert, Equipment zerstört – Fanhilfe beklagt Rechtsbrüche
Von Oliver Rast
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Klare Botschaft: Reaktion auf Dauerstress mit uniformierten Stadionbesuchern ohne Ticket (Augsburg, 27.1.24)

Es ist eine kleine Fotostrecke, eine Art Bilderquartett. Von Wohnungstüren. Für gewöhnlich unspektakulär, nicht bei diesen Aufnahmen. Mal ist der Türfalz lädiert, mal der Türrahmen, mal das Schließblech, mal der Schlosskasten; und mal alles gleichermaßen. Jedenfalls überall Holzsplitter. Auch ohne detektivischen Spürsinn ist auf dem ersten, spätestens auf dem zweiten Blick ersichtlich: Einbruchsspuren, ganz klar. Bloß, wer war das? Wer macht so was? Morgens um sechs Uhr, unangemeldet? Denkpause. Und richtig, die Ahnung ist korrekt: Einsatzkräfte, etwa Angehörige der Bereitschaftspolizei oder einer geschlossenen Einheit wie dem Unterstützungskommando, kurz USK.

Bleibt noch die Frage, warum? Ein Klingelstreich hätte doch gereicht, um Schlafende aus dem Schlaf zu holen. Aber nein, mittels Rammbock und viel Tamtam übernahmen Beamte am 19. März den rustikalen Weckdienst, schildert die Rot-Grün-Weiße Hilfe (RGWH), die Fanhilfe des FC Augsburg am Mittwoch abend via Statement. Ein Eindringen in den Schutzraum Wohnung, ohne Not, ohne Gefahr in Verzug. Dafür mit Handschellen und Kabelbindern. Warum der ganze Popanz? Eine Sprecherin des Polizeipräsidiums Schwaben Nord wollte sich dazu am Donnerstag gegenüber jW nicht äußern – und verwies auf die leitende Staatsanwaltschaft Mainz. Nur, die scheint bereits seit Tagen im vorösterlichen Ruhezustand zu sein, telefonische Kontaktversuche enden im Leitungsnirwana.

Vorwurf »schwerer Landfriedensbruch«

Warum Mainz? Ganz einfach: Staatsanwältin und Ermittlungsrichter verfolgen zwei sogenannte Drittortauseinandersetzungen unter aktiven Fanszenen in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt. Zwischen der dynamischen Anhängerschar vom 1. FSV Mainz 05 und Eintracht Frankfurt kurz vor Weihnachten. Ferner ein Aufeinandertreffen der Heimfans mit Ultras vom FC Augsburg 1907 (FCA) im Februar. Besonders letzterer Clinch machte medial die Runde. Zumal die Rivalität nach einem Zaunfahnenklau 2007 von Mainzern nachwirkt – vor allem bei erlebnisorientierten FCAern.

Am Dienstag voriger Woche hatten rund 300 Einsatzkräfte 45 Durchsuchungsbeschlüsse der Staatsanwaltschaft wegen »schweren Landfriedensbruchs« vollstreckt, mehrheitlich in Mainz, aber auch in Augsburg. Dort betraf es nach Angaben der Fanhelfer fünf Wohnungen von Beschuldigten, wobei vier Eingangstüren demoliert wurden. Im Anschluss an die teils mehrstündigen Hausdurchsuchungen ging es auf den örtlichen Polizeiabschnitt zur sogenannten erkennungsdienstlichen Behandlung; Abdrücke von Fingern und Handflächen, Schnappschüsse der Konterfeis für die Kartei, das volle Programm eben.

Nicht nur das: Beamte sollen beim Durchstöbern Zimmer betreten haben, für die keine Durchsuchungsbeschlüsse vorlagen. Zerstört wurden der RGWH zufolge auch persönliches Eigentum wie Laptops und Handys von Unbeteiligten. Und erwartbar: Einige der eingesetzten Beamten riskierten risikolos eine kesse Lippe, einer etwa meinte: »Wir sammeln deine Fanutensilien ein und verschenken sie an andere Ultras.« Ein Brüller. Nach jW-Informationen taten sich dabei speziell die Spezialisten vom USK aus Nürnberg hervor. Selbst zu »Fäkalspielchen« soll es gekommen sein; so wurde die Toilette in einem Gäste-WC offenbar vorsätzlich verstopft und »mit Kotresten garniert.«

»Bullenschweine« hinter dem Block

Peter Emil Monz kennt sich mit Verfahren gegen Fans aus. Tatvorwürfe würden bei Ermittlungen bisweilen »hochgejazzt, um mehr Eingriffsbefugnisse zu haben«, so der Augsburger Fananwalt am Donnerstag zu jW. Erfahrungsgemäß komme es dann vor, dass bei etwaigen Prozessen Punkte wie Landfriedensbruch überhaupt nicht angeklagt würden. Monz mahnt: Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gelte auch bei Ermittlungsverfahren.

Und sowieso: Das Verhältnis zwischen Polizei und aktiver FCA-Fanszene sei am Tiefpunkt, sagen am Donnerstag mehrere Gesprächspartner gegenüber jW. Mit Beginn der Saison postierten sich Einsatzkräfte hinter dem M-Block in der Heimkurve; dort, wo die Ultras supporten. Für viele von ihnen zugleich Provokation und Bedrohung. Nicht von ungefähr zierte beim Kick gegen den FC Bayern München am 27. Januar in der letzten Spielviertelstunde ein großes Banner den Block der Kurvenrebellen – darauf stand: »Bullenschweine raus aus den Stadien.« Die Klubführung distanzierte sich eilig von dem Spruchband, Diffamierungen gehörten nicht in die Arena und sei »nicht mit den 07-Werten des FCA vereinbar«. Was hingegen seitens der Vereinsbosse fehlt, ist offizieller Beistand für verfolgte Supporter. Bislang jedenfalls.

Die Fanhelfer setzen zuvorderst auf eigene Kräfte: Rechtsbrüche dokumentieren, Aufklärung betreiben, Gegenöffentlichkeit organisieren. Denn: »Fanhilfe hilft – die Polizei nicht!«

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