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Aus: Ausgabe vom 27.03.2024, Seite 4 / Inland
BSW

BSW ruft die Polizei

Wagenknecht zu Straftaten von Ausländern
Von Nico Popp
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Sahra Wagenknecht vor einer Lesung in ihrer Geburtsstadt Jena (21.9.2023)

Als die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht vor ein paar Tagen sagte, ihre Partei wolle sich potentiellen AfD-Wählern als »seriöse Alternative« anbieten, war das nicht nur so gemeint, dass das BSW Inhalte aufgreifen wird, die die anderen Parteien – etwa in den Bereichen Sozial-, Wirtschafts- und Außenpolitik – »liegengelassen« oder gegen klare Mehrheiten in der Bevölkerung politisch betreut und deshalb Wähler an die AfD verloren haben. Wagenknechts Aussage war, wie sich nun zeigt, durchaus so zu verstehen, dass das BSW auch genuin rechte Perspektiven integrieren wird.

Denn nichts anderes ist es, wenn Wagenknecht sich nun zu den Themen Polizei und »Ausländerkriminalität« in einer Weise einlässt, die sich nicht wesentlich von Stellungnahmen etwa von Polizeigewerkschaftern unterscheidet. Konkret forderte sie am Dienstag gegenüber dpa Maßnahmen von Bund und Ländern gegen Straftaten von Ausländern und für eine »bessere Ausstattung« der Polizei. Fällig sei ein »Innenministergipfel im Kanzleramt«, bei dem es auch um »das Problem der unkontrollierten Migration gehen« solle.

Wenn die Kriminalstatistik zeige, dass »Straftaten überproportional von Menschen aus bestimmten Einwanderungsmilieus begangen werden, darf eine Innenministerin dieses Problem nicht tabuisieren und herunterspielen«, sagte Wagenknecht. Die Bundestagsabgeordnete wandte sich auch gegen eine »gesellschaftliche Herabsetzung von Polizisten«; die Arbeit »unserer Polizei« verdiene »deutlich mehr Respekt und gesellschaftliche Anerkennung«.

Zuletzt hatten Zahlen aus Bayern und Nordrhein-Westfalen auf einen gestiegenen Anteil nichtdeutscher Straftäter an der Gesamtzahl der Delikte hingedeutet. Früher war für Linke einmal klar, dass solche Statistiken etwas mit der sozialen Lage der hier erfassten Bevölkerungsgruppen zu tun haben. Ein Versuch, die insbesondere auch migrantisch geprägte Arbeiterklasse in Deutschland anzusprechen, ist Wagenknechts neueste Positionsbestimmung mit Sicherheit nicht.

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  • Leserbrief von Hans Wiepert aus Berlin (28. März 2024 um 12:45 Uhr)
    Schnappatmung bei Herrn Popp und dem versammelten Kommentariat: Wie kann Frau Wagenknecht bloß auf die unerfreuliche Statistik hinweisen, dass es nun mal signifikant höhere Kriminalitätsquoten unter Nichtdeutschen gibt? (Ähnlich indigniert reagiert unsere »Qualitätspresse« ja gerade auf das Freiklagen der RKI-Files durch ein Online-Magazin.) In beiden Fällen möchte eine Wohlfühlblase statistisch belegte Missstände lieber greinend beiseite schieben, als sich ihnen zu stellen. Sind Nichtdeutsche offenbar doch nicht nur die herzigen Neuankömmlinge vom Swinging Summer 2015? War nicht schon die Kölner Silvesternacht 2015/16 ein Fingerzeig, dass einiges aus dem Ruder läuft? Sahra Wagenknecht hat schlicht erkannt, dass es nun mal ein genuin linkes Anliegen ist, Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung in ihren verschiedenen Facetten konstruktiv aufzugreifen: Soziale Sicherheit gehört dazu, klar – darüber lässt sich hier weitgehende Einigkeit herstellen. Auch Sicherheit vor Krieg gehört dazu. Dass die Bevölkerung genauso aber auch eine gewisse Sicherheit vor Kriminalität beanspruchen darf, löst bei manch Superlinken plötzlich Kopfschütteln und Augenrollen aus. Die Polizei – sie besteht auch aus lohnabhängig Beschäftigten! – gilt dann selbstverständlich als Gegner (Achtung: gilt nicht retrospektiv für deren Exkollegen der DDR-Volkspolizei - das waren ja die »Guten« …). Law and Order muss v.a. ein linkes Anliegen sein (selbstverständlich sieht man das ja z. B. bei der Anprangerung von Mindestlohnverstößen oder Steuerhinterziehung). Vielleicht sollten die politisch Korrekten hier ihren Schaum erstmal abwischen und innehalten, ob es wirklich klug ist, gegen valide Statistiken zu wettern.
  • Leserbrief von Paul Vesper aus 52062 Aachen (28. März 2024 um 10:17 Uhr)
    Mit der ihr eigenen »Vernunft« kommentiert Frau Wagenknecht, Postergirl ihrer Truppe, die Daten der Kriminalstatistik. Mich würde interessieren, wie die auf Bevölkerungsgruppen aufgeteilte Statistik im Hinblick auf die verursachte Schadenssumme aussieht. Das Fliegenbeinzählen, also eine rein quantitative Betrachtung, sagt überhaupt nur für die ganz Dummen etwas aus. Ich kann mir vorstellen, dass die jährlichen Milliardenschäden durch Steuerhinterziehung und kriminelle Machenschaften nicht durch kriminelle Ausländer, sondern durch »gesetzestreue« deutschen Bürger verursacht werden.
    Der Finanzminister Lindner hat eine neue Behörde angekündigt oder schon aus der Taufe gehoben, die diese großkriminellen Straftaten ahnden soll. Bis diese Behörde, wenn überhaupt, arbeitsfähig sein wird, können sich die »Cum-Exler« nach wie vor im Dschungel des deutschen Steuerrechts tummeln. Herrn Lindner trifft der Vorwurf der strafbewehrten Beihilfe durch Unterlassen, volkstümlich ausgedrückte Nichtstun.
    Paul Vesper, DKP
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (27. März 2024 um 17:01 Uhr)
    »Früher war für Linke einmal klar, dass solche Statistiken etwas mit der sozialen Lage der hier erfassten Bevölkerungsgruppen zu tun haben.« Nicht nur das. Ich kann zwar nicht in die Köpfe aller Linken schauen und folglich nicht für sie sprechen, jedoch ist das wichtigste Merkmal der »Kriminalstatistik«, dass es sich um Etikettenschwindel handelt, denn sie erfasst nicht Kriminalität, sondern Anzeigen (!), unabhängig davon, ob die Staatsanwaltschaft überhaupt ein Verfahren eröffnet, geschweige denn, wie ein solches ausgeht. Wenn man dazu noch berücksichtigt, dass die Polizei eher zu Schlagseite nach Steuerbord – für Landratten: rechts – neigt und der gemeine Deutsche beim Anblick von »Orientalen« auch, kommt man leicht drauf, dass »Ausländer« überproportional angezeigt werden. Der kiffende »Ausländer«, ist nämlich ein »schwerkriminelles Clanbandenkinderesserterrorsektenmitglied«, wissen schon, während der kiffende »Biodeutsche« nur ein »harmloser Hippie« ist – der tut nix. Auch ist der etwas übereifrig flirtende »Muselmann« sofort mindestens der versuchten Vergewaltigung verdächtig, während der »Biodeutsche« halt nur ein unbeholfener »Incel« ist. Außerdem gibt es auch Delikte, die nur Immigranten begehen können, z. B. illegale(r) Grenzübertritt/Einreise/Aufenthalt. Nein, die PKS war noch nie ein Beweis für »Ausländerkriminalität«, sondern nur einer für die, Goebbels zugeschriebene, Devise: Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (28. März 2024 um 11:23 Uhr)
      »Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.« Dieses Zitat wird in der Regel Winston Churchill zugeschrieben. Aber Sie sind mit Goebbels schon auf der richtigen Spur. Werner Barke, der Referent im Referat »Grundsatzfragen, Öffentlichkeitsarbeit, Büro der Amtsleitung« des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg war, hat herausgefunden, dass dieses Zitat sehr wahrscheinlich in Goebbels Fälscherwerkstatt entstanden ist: https://www.statistik-bw.de/Service/Veroeff/Monatshefte/PDF/Beitrag04_11_11.pdf
  • Leserbrief von Bernd Vogel aus Leipzig (27. März 2024 um 13:46 Uhr)
    Es handelt sich hier nicht um die große Schauspielerin Sahra Bernhard, sondern um die Politikerin Sahra Wagenknecht. Hier geht es um eine Variation zum Thema Sektierer in der proletarischen und sozialistischen Bewegung. Dies scheint ein unausrottbares Phänomen zu sein, möglicherweise gehört es als Krisensymptom zur Überwindung von Krankheiten unabdingbar dazu.
    In der jW vom 27. März 2024 berichtet Nico Popp unter der Überschrift »BSW ruft die Polizei« über einige politische Forderungen der Partei, die ihren Namen trägt. Er berichtet in einem sachlichen Ton, aber doch merkbar verwundert. An diesem Tag war auch ein Flyer im Briefkasten, wo das »Bündnis Sahra Wagenknecht« zu Unterstützungsunterschriften auffordert. Ganz am Schluss steht dann »ideologiefrei: Vernunft und Gerechtigkeit«. Es wird gesagt, die Kategorie »Gerechtigkeit« sei ideologiefrei. Fürwahr, eine kühne Behauptung. Und ein erneutes Beispiel für Wirrwarr in der theoretischen Analyse der kapitalistischen Wirklichkeit.
    Frau Wagenknecht hat sich erklärt bei der Gründung eines Vereins und einer Partei, die ihren Namen tragen. Als erste politische Bestimmung des Vereins taucht der Begriff »Vernunft«, noch vor der Gerechtigkeit, auf. Vernunft ist eine zentrale Kategorie in der Philosophie von Hegel, einem idealistischen Philosophen. Eine vergleichbare Zentralkategorie bei Marx und Engels sind die »materiellen gesellschaftlichen Verhältnisse«. Aber die materiellen gesellschaftlichen Verhältnisse kommen bei Frau Wagenknecht nicht vor. Sie hat den Übergang vollzogen, von einer materialistischen Gesellschafts- und Geschichtsanalyse zu einem idealistischen Vernunft-Standpunkt. In der sozialistischen Terminologie nennt man derartiges Verhalten »Renegatentum«. Im christlichen Kontext nennt sich so etwas Konvertiten. Der berühmteste Konvertit im Christentum war der Apostel Paulus, der Apostel der Heiden, der vom Saulus, welcher die Christen verfolgte, zum Paulus, dem christlichen Prediger, konvertierte. Bei Frau Wagenknecht ist es eher umgekehrt. Sie konvertierte vom marxistischen Prediger zum nichtmarxistischen Saulus.
    Das Parteiprojekt von Frau Wagenknecht erinnert mich an die Ukraine. Es gab und gibt die ukrainische Politikerin Juli Timoschenko, die tot-sterbenskrank in ukrainischen Zuchthäusern von Janukowitsch vegetierte, von Frau Merkel freiverhandelt wurde und in der Charité auf wundersame Weise genesen ward. Sie gründete eine Partei mit dem schlichten Namen »Bjut« – »Block Julia Timoschenko«. Etwas später gründete auch Petro Poroschenko (»Schokoladenpeter«) den »Block Petro Poroschenko«. Es gab keine weiteren politischen Inhalte, der Name des Oberchefs reichte völlig. Später hat man sich dann einen eher politischen Namen zugelegt. Auch beim Projekt Wagenknecht steht der Name anstelle von politischem Inhalt.
    Kleine Arabeske: es ist dies auch eine Variation des klassischen dialektischen Themas von Knechtschaft und Herrschaft. Frau Wagenknecht will aus ihrem Knechtdasein ausbrechen und zur Parteiherrin werden.
    Im Hintergrund der Geschichte steht Oskar Lafontaine. Nun habe ich als gelernter DDR-Bürger meine Erfahrungen mit intriganten Saarländern. Diese haben sich kindliche Verhaltensweisen bewahrt: erst etwas aufbauen, um es dann dickköpfig wieder einzureißen.
    Das Vorgehen von Frau Wagenknecht wird in den bürgerlichen Medien mit offensichtlichem Wohlwollen begleitet. In einer solchen Situation meinte August Bebel sinngemäß: wenn die mich loben, muss ich überlegen, was ich falsch gemacht habe. Aber eine solche Überlegung gibt es bei Frau Wagenknecht nicht.
    Sie wird von den bürgerlichen Medien hochgelobt, um zu scheitern.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (27. März 2024 um 13:58 Uhr)
      »Im Hintergrund der Geschichte steht Oskar Lafontaine. Nun habe ich als gelernter DDR-Bürger meine Erfahrungen mit intriganten Saarländern.« Ein schönes Beispiel, wie man mit einer Anbiederung an den antikommunistischen Zeitgeist einen bis dahin sehr guten Beitrag entwertet. Wird da Erich Honecker als intrigant diffamiert und mit Lafontaine auf eine Stufe gestellt?