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30 Jahre Todestrakt. Unschuldig

Kolumne von Mumia Abu-Jamal
Von Mumia Abu Jamal
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Daniel Gwynn, der fast 30 Jahre lang in der Todeszelle gesessen hat, verlässt nun den Todestrakt und das Gefängnis. Das Todesurteil gegen ihn wurde am Ende aufgehoben, weil die ursprüngliche Anklage in sich zusammengebrochen war. Annähernd dreißig Jahre war Gwynn im Todestrakt isoliert, der Androhung des Todes und herzzerreißender Einsamkeit ausgeliefert.

Gwynns Verurteilung beruhte sowohl auf einem falschen Geständnis als auch auf der offensichtlichen Beeinflussung von Zeugen durch Polizei und Staatsanwaltschaft. Er wurde wegen Mordes, Brandstiftung und schwerer Körperverletzung angeklagt und verurteilt, weil er im November 1994 den Tod von Marsha Smith im Block 4.500 der Chestnut Street in West Philadelphia verursacht haben soll, die an einer Rauchvergiftung starb. Mehrere andere Personen erlitten Verletzungen, als sie aus Fenstern des dreistöckigen Hauses sprangen. Gwynn wurde beschuldigt, das Feuer gelegt zu haben.

Warum war das Geständnis zweifelhaft? Weil Gwynn, damals in seinen Zwanzigern, stark von Drogen abhängig war. Sein »Geständnis« wich erheblich von den fraglichen Tatsachen des Falles ab.

Wie hat er die drei Jahrzehnte im Todestrakt überlebt, ohne den Verstand zu verlieren? Dank der Kunst. Insbesondere hat er zu malen gelernt und sonnige Kunstwerke geschaffen. Als ich im Todestrakt des Staatsgefängnisses SCI Greene in Waynesburg, Pennsylvania, saß, strahlte das Gefängnis Aufnahmen von Kunstwerken auf seinem internen Fernsehkanal aus. Ich erinnere mich an ein Gemälde, das einen Jazzpianisten zeigt, der in seine Musik vertieft ist. Die Klaviatur war in sanftem Licht gemalt, wie eine Welle, die zur Musik zu tanzen schien. Dieses schöne Bild stammte von Daniel Gwynn.

Nun ist Gwynn, der heute 54 Jahre alt ist, wirklich frei.

Übersetzung: Jürgen Heiser

Die Bezirksstaatsanwaltschaft von Philadelphia gab am 28. Februar 2024 bekannt, dass sie die Anklage gegen Daniel Gwynn niedergeschlagen und umgehend seine Freilassung beantragt hat. Der Grund: Polizei und Staatsanwaltschaft hatten 1994 Informationen über einen zweiten Verdächtigen unterdrückt. Auf die Berücksichtigung dieser Details hatten der Angeklagte und seine Verteidigung einen Rechtsanspruch. Das wirft erneut die Frage auf: Wie kommt es, dass Mumia Abu-Jamal nach über 42 Jahren Knast – 29 davon isoliert im Todestrakt – von derselben Behörde, die von Bezirksstaatsanwalt Larry Krasner geleitet wird, immer noch nicht freigelassen wird? Es ist bekannt, dass auch in Abu-Jamals Prozess 1982 von Polizei und Staatsanwaltschaft Beweise manipuliert wurden. Diese Frage wird von der US-Justiz bis heute rein politisch beantwortet, weil Abu-Jamal als Ex-Black-Panther, Bürgerrechtler und antirassistischer Journalist für sie ein »Public Enemy« (Staatsfeind) ist.

Was ihn den Todestrakt und vier Jahrzehnte Knast überleben ließ, ist zum einen die internationale Solidarität, vor allem jedoch sein ungebrochener Wille, auch aus der Zelle heraus weiterhin zu schreiben, was wahr ist und gesagt werden muss. (jh)

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