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Aus: Ausgabe vom 09.03.2024, Seite 6 (Beilage) / Wochenendbeilage

Wer ist Herr auf dem eigenen Hof?

Vom langen Sterben der bäuerlichen Familienbetriebe. Ein Ortsbesuch
Von Jürgen Roth
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Links und rechts schmücken Nadel- und Mischwälder die sanften Hügel. Vor ihnen fläzen Wiesen und Äcker herum.

Am Ausgang des Tals, das einmal lieblich hatte genannt werden können, bis man genau auf die Sichtachse den grünen Kuppelbau einer Biogasanlage pflanzte, liegt der fränkische Weiler S.

Gegründet wurde die Ruralgemeinde wohl im 13. Jahrhundert. Etwa 60 Menschen leben hier, und in der Ortsmitte grüßt die mächtige Linde auf dem Hof der Familie L.

Herrmann L., ein baumlanger, gottesfürchtiger Mann, ist Bauer in x-ter Generation. Urkundlich verzeichnet ist der »Familienbetrieb«, wie man heute im Sinne der allmächtigen Wirtschaftslehre sagt, seit dem 29. Juli 1760, das dickwandige, zweigeschossige und sehr schöne Zentral- und Wohngebäude mit einer riesigen Küche und einer kleinen Stube erbaute der Urgroßvater des Vaters von Herrmann L. 1879.

Zirka vierzig Hektar Land sind Eigentum, dazu etwas Wald. Im angrenzenden Stall stehen dreißig Kühe, oben am Hang befindet sich der Laufstall mit Strohschüttung für die Nachzucht.

Seit Wochen liest und hört man allenthalben, die Landwirte seien ein »Mob« und zum Teil staatszerstörerische »Ex­tremisten« (Olaf Scholz) sowie »Demokratiezersetzer« (Robert Habeck), seien »völkisch-nationalistisch« (Habeck) gesinnt und hegten »Umsturzphantasien« (Cem Özdemir).

Vielleicht wäre es an der Zeit, die Stigmatisierten einmal zu Wort kommen zu lassen. Herrmann L. hat uns am Kaffeetisch Auskunft gegeben.

*

Roth: Wie geht es den bäuerlichen Familienbetrieben?

Herrmann L.: Es kommt auf die Betriebsstruktur, die Größe und die Zahl der Arbeitskräfte an. Alle Betriebe über einen Kamm zu scheren, das funktioniert nicht. Bei den einen läuft es zur Zeit gut, die haben drei, vier Arbeitskräfte: Vater und Mutter sind noch fit, und der Sohn hat eine Frau, die mitarbeitet, vielleicht kommen noch Enkel dazu, die bald so weit sind. Wenn genug Arbeitskräfte da sind, geht’s gut, wenn einer ausfällt, wird’s eng.

Man hört immer wieder, dass die kleinbäuerlichen Betriebe, die in Bayern noch relativ stark vertreten sein sollen, unter der Agrarpolitik sowohl der EU als auch der Bundesregierung am meisten zu leiden haben.

Unter der hat eigentlich jeder zu leiden, das muss ich ganz deutlich sagen, einfach, weil der Bürokratismus unglaubliche Höhen erreicht hat. Jede Antibiotikagabe muss gemeldet werden, die Zahl der Tiere muss permanent gemeldet werden, obwohl die Bürokraten auf die sogenannte HIT-Datenbank Zugriff haben – nur, um mal ein Beispiel zu nennen.

*

Die HIT-Datenbank heißt offiziell Datenbank HI-Tier und ist ein sogenanntes zentrales Herkunftssicherungs- und Informationssystem Tiere, das der Seuchen-, Herkunfts- und Prämienkontrolle dienen soll. Wer einen Blick auf die entsprechenden Internetseiten wirft, bekommt sofort ein Gefühl dafür, welche Ausmaße administrative Regelungswut anzunehmen vermag.

*

Herrmann L.: In der Datenbank sind sämtliche Viecher akribisch aufgelistet, vom Kalb bis zur Kuh, vom Huhn und vom Hahn bis zur Pute. Bei einem Seuchenfall hätten die sofort genauen Einblick, aber der Bauer muss alles noch mal separat melden, als Bestätigung. Jedes Kalb zum Beispiel muss markiert werden. Aus dem Ohr wird ein Stück rausgestanzt, um zu prüfen, ob Erbkrankheiten vorliegen. Es ist einfach ein wahnsinniger Bürokratismus.

Die roten und grünen Gebiete, die über die Nitratwerte im Grundwasser Auskunft geben! Bei hohen Nitratwerten darfst du da nicht mal mehr düngen. Grenzwerte zu diesem und jenem! Dann musst du entweder Gülle verkaufen, oder du darfst keine zukaufen. Oder kein Mineraldünger mehr! Also, ein Bürokratismus, der völlig aus dem Ruder gelaufen ist!

Und man muss es erst mal beherrschen, im Vorfeld einen sogenannten Düngeplan aufzustellen und den dann draußen umzusetzen. Auf diesen Hektar habe ich jetzt Gülle hingefahren und damit schon 80N – N ist Stickstoff – ausgebracht. Deshalb darf ich danach höchstens noch 20N mit einem mineralischen Stickstoff ausgleichen – und so weiter. Es ist ein Rattenschwanz, das kann man sich nicht vorstellen!

Und die wissen alles. Die wissen alles! Durch Satellitenüberwachung. Die schauen sich von oben deine Flächen an und sagen: »Herr L., das ist da unten grün. Sie haben da ein Kleegras angegeben. Nehmen Sie dazu Stellung! Ein Kleegras sieht normalerweise anders aus.« Dann muss ich rausfahren und mit dem Handy ein Foto machen, positionsbezogen, kontrolliert über die GPS-Daten. Ich kann nicht irgendeine andere Luzerne fotografieren oder irgend so was. Ich muss das denen schicken und somit dokumentieren.

Ständig hat man diese Computerprogramme laufen, und dann brechen die zu allem Überfluss immer mal wieder zusammen, und man wird wieder sanktioniert.

Man merkt Herrmann L. den Ärger über die Arroganz und die Anmaßungen der Brüsseler Technokraten an, und in den Unmut mischt sich unüberhörbar Resignation, vielleicht sogar Verzweiflung.

*

Herrmann L.: Jeder Obstbaum ist über GPS erfasst und muss kategorisiert werden: Das ist ein Kirschbaum, das ist ein Apfelbaum, das ist ein Birnbaum – und das für ein paar Euro. Wie viele Landwirte gibt es deshalb bereits, die sagen: Wir wollen keine Zuschüsse mehr. Wir lassen das sein. Und dann greift statt dessen die »gute fachliche Praxis« – so nennt sich das.

Gute fachliche Praxis heißt nicht, dass man in Ruhe gelassen wird. Gute fachliche Praxis bedeutet zum Beispiel, dass man Gülle nur ausbringen darf, wenn der Boden richtig aufgetaut ist. Wenn du meinst, dass du, weil du jetzt aus dem Programm draußen bist, einfach deine Gülle ausfährst oder ein gerade nicht zugelassenes Pflanzenschutzmittel spritzt, kriegst du genauso auf den Sack.

Andererseits: Solche guten Programme wie etwa zur bodennahen Gülleausbringung mit den großen Fässern, da hat’s einen Zuschuss gegeben – alles weg! Oder zur vielfältigen Fruchtfolge: 60 Prozent Getreide, nicht mehr als 30 Prozent Mais und zehn Prozent Kleegras, als Leguminose, die Stickstoff aus der Luft bindet. Und die Getreidesorten mussten aufgeteilt werden: nicht weniger als zehn Prozent und nicht mehr als 30 Prozent. Das hieß, dass du einen Winterweizen mit zehn Prozent und eine Triticale, eine Kreuzung aus Weizen und Roggen, mit 30 und eine Gerste mit 20 Prozent anbauen konntest, das musstest du genau ausjonglieren, aber das funktionierte gut. Wurde alles abgeschafft! Und in Ökoprogramme umgemünzt, die nicht mehr akzeptiert werden. Die Gelder des bayerischen Kulturlandschaftsprogramms zum Beispiel wurden wegen mangelnder Nachfrage nicht ausgeschöpft. Und damit sind Teile der Beihilfen verschwunden.

Allen Respekt vor den Bauernprotesten, allen Respekt, dass das so organisiert ist und so funktioniert! Ich bin auch mitgefahren. Aber für mich ist klar: Wenn jetzt wieder nichts passiert, dann sagen die Leute: So, ihr könnt uns mal. Ihr habt uns sauber hockenlassen. Jetzt wählen wir AfD. So wird’s kommen.

*

Wer meint, die Dieselpauschale sei die Gretchenfrage, und werde sie gelöst, halte wieder Ruhe Einzug, liegt offenbar daneben. Es scheint nunmehr um eine Art Abwehrkampf zu gehen – Notwehr gegen eine Wirklichkeit, die politisch definiert und über Paragraphen exekutiert wird, mit gravierenden ökonomischen Folgen.

*

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Herrmann L.: Die Rechnung geht folgendermaßen: Wenn ich heute vom Staat 2.500 Euro als Agrardieselsubvention bekomme, sind die als Haben auf dem ­Konto, da muss ich vorher nichts eingesetzt und erwirtschaftet haben. Den Antrag schicke ich ans Zollamt in Regensburg, die bearbeiten den und überweisen den Betrag. Es gibt stichprobenartige ­Kontrollen, da war ich auch schon dabei. Da vergleicht einer die Kilometerstände der Fahrzeuge, der Verbrauch des Privatautos und so weiter muss ja abgezogen werden, die Dieselvergünstigung gilt nur für die landwirtschaftlichen Maschinen.

Weiterhin kommen die EU-Prämien als Haben aufs Konto. Die sind in den vergangenen Jahren allerdings laufend ziemlich stark gekürzt worden, insgesamt um zirka ein Drittel.

Dann schau’ ich mir meine Buchführung an, und die sogenannte Betriebsanalyse sagt mir dann folgendes: Im Milchkuhbereich mache ich pro Euro Einsatz im Durchschnitt zwanzig Cent Gewinn. Fallen jetzt die zweieinhalbtausend Euro, für die ich vorher nichts verausgaben muss und die deshalb gewissermaßen betriebskostenloser Gewinn sind, weg, muss ich diesen Betrag mal fünf nehmen und in einer Sparte 12.500 Euro mehr verdienen, um die zweieinhalbtausend Euro zu erwirtschaften. Und das ist nicht möglich.

So geht es jedem Betrieb. Bei Mastbetrieben ist es sogar noch schlimmer, weil die eine viel niedrigere Gewinnrate haben, weshalb die eine höhere staatliche Bezuschussung erhalten. Fällt das alles weg, sind die als erste erledigt.

Die Probleme für uns Landwirte sind sowieso gewaltig, und die jetzigen Veränderungen könnten wir überhaupt nicht mehr zu stemmen. Was bei den Protesten benannt wird – Kfz-Steuer und Agrardiesel –, ist ohnehin nur die Spitze des Eisbergs. Was unten alles wegfließt! Mit welcher Lässigkeit die Politiker den sogenannten Agrarsektor, diesen Batzen Geld hintenrum anzapfen, das merken wir doch gar nicht mehr! Was da stellenweise für angebliche Ökoprojekte ausgegeben wird, für den Wald und für dies und das! Die Rehe fressen halt den ganzen Wald zusammen, aber das ist denen doch wurscht! Das interessiert die doch nicht! Hauptsache, der Politiker kann sich hinstellen: »He, wir haben was für Ökosysteme getan!« Welche Gelder für den Waldumbau freigesetzt werden, das kannst du dir nicht vorstellen!

Du bist auch Waldbauer, kein großer, aber immerhin.

Bin ich auch, ja. Wenn der Sturm durchgegangen ist oder sich der Borkenkäfer durchgefressen hat, kannst du heute eine Fördermaßnahme beantragen, bei der du mit deiner Laubholzkultur gleich bei über 20.000 Euro liegst. So hoch sind die Zuschüsse noch nie gewesen. Und es muss gerade mal fünf Jahre was dastehen. Und sollte ein Jahr sehr trocken sein, kriegst du noch mal Geld fürs Nachpflanzen.

Es sind unzählige Beispiele, bei denen die Bauern sagen: Uns langt es einfach. Gülleuntersuchung! Und diese Dokumentationspflicht, für die ich alles aufgliedern muss. Ich hab’ auf einen Hektar 15 Kubikmeter Gülle gefahren. Jetzt darf ich noch 20 nachdüngen, obwohl die Wiese noch 40 oder 50 vertrüge … Der Bürokratismus frisst uns auf.

Aber du als Bauer weißt doch am besten, was dein Grund oder der Boden, den du bewirtschaftest, braucht und verträgt. Warum muss dir das irgendeine Behörde vorschreiben?

Das ist aber so. Das ist mit allem so. Mit allem! Jeden Sack Futtermittel, den du einkaufst, musst du protokollieren – Etikett aufheben, Lieferschein aufheben –, jedes verkaufte Huhn. Dann wird das alles gegengerechnet. Es ist ein Wahnsinn. Hoftorbilanz heißt das. Das meint den Saldo von Nährstoffzuflüssen und -abflüssen. Das wollen – die – so – haben!

Also noch mal: Es geht nicht nur um den Agrardiesel, und es geht …

Nein! Um Gottes willen! Die Bauern haben die Schnauze voll von dem ganzen Zeug! Noch ein Beispiel. Ich habe Anbindehaltung. Meine Milch wird zur Zeit noch nicht gesondert abgeholt. Es hatte geheißen, ab 1. Januar werde sie gesondert abgeholt, und ich bekäme drei Cent weniger als jemand, der einen Melkroboter oder einen Melkstand hat. Da musst du die Haltungsstufe drei haben. Anbindehaltung ist keine Haltungsstufe. Das wollen sie nicht mehr haben, und Herr Özdemir will sie ja am besten so schnell wie möglich verbieten. Haltungsstufe drei hieße, dass die Kuh im Laufkaltstall mit Einstreu und Liegebuchten gehalten wird und einen Auslauf hat. Dazu kommt das Liege-Fressplatz-Verhältnis. Alle Kühe müssen gleichzeitig fressen können, und liegen müssen immer mindestens 80 Prozent können. Und weil ich die Anforderungen nicht erfüllen kann, soll meine Milch separat abgeholt werden. Was die in der Molkerei damit machen, will ich gar nicht wissen.

Die schütten das doch alles zusammen, oder?

Weiß ich nicht.

Wie viele Stunden pro Tag hast du mit Bürokratiebewältigung zu tun?

Das kann ich nicht sagen. Es ist jedenfalls ein Riesenaufwand. Und dann die Anträge, die Flächennachweise! Du kennst ja die Siloballen, die man auf Wiesen lagert. Den Platz, den die einnehmen, musst du jetzt bis aufs Ar – ein Ar sind zehn mal zehn Meter – angeben. Zwanzig Ballen sind zwei Ar. Wenn du die nicht abziehst, und es kommt die Vorortkontrolle – oder sie sehen es über Satellit –, heißt es: »Herr L., die haben Sie nicht abgezogen, und außerdem ist ihr Silo nicht sauber genug« – und schon bist du dabei. Und schon hängst du voll in diesem Kontrollsystem drin. Und im nächsten Jahr wirst du wieder kontrolliert. Und dann kannst du von deiner sogenannten Betriebsprämie mal fünf, mal drei Prozent zurückbezahlen, und das tut richtig weh.

Was fordert ihr? Weniger Staat, weniger Bevormundung, weniger Gängelung? Habe ich das richtig verstanden?

Wie soll ich das sagen? (Zögert.) Sehr viele Leute sagen: Wenn die Bauern das Fleisch wie früher produzieren würden, also praktisch nach Biokriterien, mit Stroheinstreu und so weiter, würde ich vielleicht weniger Fleisch kaufen, aber wesentlich höhere Preise zahlen. Ich gehe manchmal mit meiner Frau einkaufen. Dann sehe ich: Da werden die Tomaten abgefingert, ob eine weich ist, da wird das betatscht und das betatscht und das beäugt – und trotzdem das billige Fleisch gekauft. Zu mir hat mal ein Biobauer gesagt: Wenn es so wäre, dass alle mehr Geld für Bioware ausgeben würden, müssten die Leute vor meinem Laden Schlange stehen. Und sie stehen nicht Schlange. Das ist eine ganz einfache Angelegenheit.

Bei der Milch ist es genauso. Mir hat jemand von Aldi erzählt, dass das meiste, was sie wegschmeißen müssen, die Bioprodukte sind, weil das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Eier und sonstwas. Aus, fertig. Man muss bloß hinter die Kulissen schauen.

Neulich hat Herr Özdemir gesagt, man komme den Bauern mit den Haltungsstufen entgegen. Mit Sicherheit werden sie ein Programm auflegen, mit dem sie demjenigen Bauern, der unter hohen Auflagen weitermachen will, Zuschüsse in Aussicht stellen. Da wird der eine oder andere allerdings aussiedeln müssen. Bei meiner Hoflage ist das sowieso nicht möglich, weil ich die anliegenden Auslaufflächen nicht habe. Da bist du zum Aufhören gezwungen. Die Anbindehaltung ist in den Augen der Bürokraten ein Auslaufsystem, obwohl meine Tiere auch gepflegt sind. Ist nicht mehr zeitgemäß, also Feierabend. Die kleine Struktur rechnet sich so nicht mehr, und dann hört sich das auf.

Meine Frau, die auf dem Hof mitarbeitet, ist berufstätig und kriegt wenigstens später eine Rente. Meine Berufskollegen bekommen irgendwann mal 520, 530 Euro und haben 40 Jahre eingezahlt. Ich zahle im Monat 299 Euro in die Alterskasse ein und werde 500 Euro rauskriegen. Da weißt du, wie alt ich werden muss, damit ich wenigstens das Geld sehe, das ich eingezahlt habe. Das ist auch ein Knackpunkt in der Landwirtschaft. Wer tut sich das noch an, wenn ihm in der Industrie oder im Staatsdienst eine ordentliche Alterssicherung garantiert wird?

Was hältst du von der Tierwohlabgabe, die Özdemir ins Spiel gebracht hat?

Hält ein Bauer die Vorschriften für die Stallhaltung ein, kriegt er halt 20 Cent mehr – wenn denn sein Fleisch vermarktbar ist. Das ist das übliche Geschmarre vom Özdemir. Der gilt unter den Bauern zu Recht als Heuchler. Im Moment redet er schön daher – weil er in Baden-Württemberg Ministerpräsident werden will. Als Landwirtschaftsminister ist er eine Null, einer, der einzig und allein die grüne Ideologie durchdrücken will. Und als nächstes werden auch wir über 40 Cent für die Kilowattstunde Strom bezahlen. Für meinen Betrieb sind das sechs-, siebentausend Euro mehr pro Jahr. Ein reiner Wahnsinn.

Hier zwicken sie uns was weg, und da zwicken sie uns was weg. Und du kannst bei den hohen Zinsen keinen neuen Schlepper mehr finanzieren, keine größere Investition mehr tätigen. Es ist nur noch traurig. Es geht alles in die Großstruktur, und das ist offenbar politisch gewollt.

*

Das Ende des Liedes ist das Ende eines alten Liedes: Konzentration, Zentralisierung der Wertschöpfung, schließlich Monopolisierung. Die Vernichtung des autonom wirtschaftenden Standes zugunsten der großen Agrarindustrie. Man braucht keinen Marx, um das zu verstehen. Man kann es sehen.

*

Herrmann L.: Die Entwicklung ist, dass du 150 bis 200 Kühe halten musst, um rentabel zu arbeiten. Und das funktioniert ohne Fremdarbeitskraft nicht mehr. Und der nächste Sprung sind 500, 600 Kühe, da brauchst du massiv Fremdarbeitskräfte, damit es überhaupt funktioniert. Für kleine Betriebe bleibt im Grunde bloß noch die Biogasproduktion. Die wird staatlich gefördert. Aber mit Landwirtschaft hat das nicht mehr viel zu tun. Das ist ein Gewerbe.

Der familiengeführte Bauernhof, der hört sich in absehbarer Zeit auf.

Jürgen Roth, Jahrgang 1968, ist Schriftsteller und Sprachwissenschaftler. Er ist regelmäßiger Autor des jW-Feuille­tons und einziger Träger der jW-Ehrennadel für hervorragende Sportberichterstattung. Zuletzt erschien von ihm an dieser Stelle in der Ausgabe vom 2./3. Dezember 2023 »Der Schmerz des Phoebetyrannenmännchens«, ein Essay über Bernd Heinrichs Buch »Flugbahn und Federflaum«

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