Beats aus der Zeitkapsel
Von Thomas SalterDie Musik der HipHop-Gruppe Arrested Development lässt sich, analog zum Afrofuturismus, am besten als Afronostalgismus beschreiben. Mit ihrem jüngsten Album »Bullets in the Chamber« katapultieren sie ältere Genrefans zurück in die frühen 90er, als das Kollektiv aus der US-Stadt Atlanta mit dem Album »3 Years, 5 Months and 2 Days in the Life of …« (1992) einen Überraschungshit landete. Und schon damals bemühte die Crew um Rapper und Produzent Speech eine mysteriöse Rückbesinnung auf ein schwer zu fassendes Früher. Mit ihren Videos mit ländlicher Idylle, afrikanischen Klamotten und spirituellen Texten wollten Arrested Development einen Kontrast zum gerade aufkommenden Gangsta-Rap um N.W.A u. a. setzen.
Nostalgie ist natürlich trügerisch, und Speech romantisierte keineswegs mit seinen textlichen Referenzen auf ein simpleres Leben mit Hufeisenwerfen und Fischen die Zeit der Sklaverei und Unterdrückung der Afroamerikaner vor der großen Urbanisierung. Der Gegensatz zu den Ghettogeschichten von Rapper Ice Cube war, dass Speech die Rolle als Unterdrückter nicht verdeckte unter dem Konzept scheinbarer schwarzer Selbstermächtigung durch skrupellose Illegalität.
In Geist des gewaltskeptischen Conscious Rap (A Tribe Called Quest, Common, Mos Def und Talib Kweli) spricht Speech etwa in »Mr. Wendal« 1992 über die asketische Weisheit eines alten Obdachlosen, mit dem er sich anfreundet. Und auch auf dem neuen, inzwischen 15. Album bestimmen entschiedener Antikapitalismus und Pazifismus die Texte.
Nichtsdestotrotz hat Speech für seine Gangsta-Rap-Kollegen ein paar verbale »Bullets in the Chamber«, also Kugeln geladen: »Shame, I dodge fame / I hate the Game / Hate the player / Hate everything that exploits / Expecially the slavers and slave behavior.« – Schande, ich weiche dem Ruhm aus, hasse das Spiel (»Game« ist auch das Business), hasse den Spieler (»Player« ist aber auch ein erfolgreicher Gangster), hasse alles, was ausbeutet, besonders die Sklavenhalter und sklavisches Verhalten.
Oder: »No designer clothes / Chains from Jacob / They replaced shackles on slaves / With jewels and make up.« – Keine Designerklamotten oder Ketten von Jacob (der berühmte Juwelier »Jacob the Jewler«, der Rapper wie Notorious B.I.G. mit teuren Halsklunkern versorgte) / Die haben nur die Sklavenfesseln ersetzt, mit Edelsteinen und Make-up.
Speeches Sing-Sang-Flow, der fließend zwischen Rap und Gesang wechselt, ist dabei eingeschlossen in eine klangliche Zeitkapsel aus Old-School-Boom-Bap: Keine durchkomponierten Trap-Hi-Hats, kein Autotune-Gesang, keine Synthsounds aus dem PC, der englische Produzent Configa legt gechoppte Soul- und Jazz-Samples und wilde Scratches über krachende straighte Drum-Beat-Loops, als wäre es 1994, als es hätte die Time-Feel-Revolution des J Dilla nie gegeben. Nur bei »Still Fired up« nimmt er den Stil des einflussreichen Detroiter Beatproduzenten auf und lässt Bassdrum und Snare absichtlich hinken.
Für ein bisschen extra Nostalgie sorgt auf »HipHop Saves Lives« ein Feature von Public Enemys Chuck D und Grandmaster Caz. Der sonst für seinen politischen Radikalismus bekannte Chuck D feiert hier jedoch lieber die Musik und die Beziehung zu den Fans, Grandmaster Caz, der in den Geburtsjahren des HipHops eine prägende Figur war, jedoch nie große Erfolge feierte, singt leider nur die Hook. Rührend, aber nicht sehr aufrührend.
Arrested Development: »Bullets in the Chamber« (Vagabond)
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