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Aus: Ausgabe vom 21.02.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Palästina

Keine Bedenken gegen Bomben

Israel: Trotz Warnungen vor einer »Katastrophe« in Rafah plant Washington offenbar weitere Waffenlieferungen
Von Knut Mellenthin
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Demonstration gegen Israels Krieg in Palästina (San Francisco, 19.2.2024)

Regierungsamtlich bestätigt ist es bisher nicht, aber es gibt auch kein Dementi: Am Sonnabend meldete das Wall Street Journal (WSJ) unter Berufung auf anonym gehaltene gegenwärtige und ehemalige »Offizielle«, dass die US-Regierung eine weitere Nachschublieferung für Israels Gazakrieg vorbereite. Darin enthalten seien unter anderem rund 1.000 MK-82-Bomben mit Zündern und Lenksystemen, durch die die Bomben zu Präzisionswaffen nachgerüstet werden können. Dem Bericht der rechtsgerichteten Tageszeitung zufolge solle die geplante Lieferung einen nicht genauer bezifferten Gesamtwert von mehreren Dutzend Millionen US-Dollar haben.

Das WSJ zitierte einen »Offiziellen« mit der Aussage, das Vorhaben werde zur Zeit noch intern geprüft. Dabei könnten sich unter Umständen auch Veränderungen ergeben, bevor der Vorschlag zur Billigung an die Vorsitzenden der zuständigen Kongressausschüsse weitergeleitet wird. Nach Auskunft eines anderen Informanten solle das Kriegsmaterial über die reguläre Militärhilfe der USA an Israel finanziert werden. Diese betrug im Vorjahr 3,8 Milliarden US-Dollar. Wegen des Gazakrieges soll der Betrag zusätzlich um ungefähr 14 Milliarden Dollar aufgestockt werden. Darin enthalten ist aber unter anderem auch humanitäre Hilfe für die Bevölkerung des Gazastreifens.

Seit Beginn des Krieges im Oktober vergangenen Jahres hat Washington Israel nach Angaben des WSJ mit fast 21.000 Stück präzisionsgelenkter Munition versorgt, wovon ungefähr die Hälfte schon verbraucht sein soll. Die jetzt angeblich geplante Lieferung von weiteren 1.000 Bomben würde einen auffallenden Kontrast zu den öffentlichen Mahnungen der US-Regierung an Israel darstellen, sich mit dem angekündigten Großangriff auf Rafah mehr Zeit zu lassen.

Nachdem Premierminister Benjamin Netanjahu die Führung der Streitkräfte am 9. Februar aufgefordert hatte, »dem Kabinett einen kombinierten Plan für die Evakuierung der Bevölkerung und für die Zerstörung der Bataillone« der Hamas vorzulegen, wird jetzt weithin davon ausgegangen, dass die israelische Offensive vermutlich nicht vor April, nach dem Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan, beginnen werde. Angesichts der Warnungen aus aller Welt, in letzter Zeit sogar von den engsten Verbündeten Israels, vor einem »Desaster« und einer »humanitären Katastrophe« in Rafah, wird nicht einmal ausgeschlossen, dass die politische und militärische Führung Israels den Angriff bis auf weiteres verschiebt. Alle EU-Staaten, mit Ausnahme Ungarns, haben am Montag die Forderung nach einer sofortigen Feuerpause unterstützt.

US-Präsident Joseph Biden scheint zumindest symbolisch den Kongressmitgliedern aus seiner Partei entgegenzukommen, die die kontinuierlichen Nachschublieferungen an die israelischen Streitkräfte von der Einhaltung der Menschenrechte abhängig machen wollen. Zu einem von ihnen hat sich Bernie Sanders, seinem Selbstverständnis nach Sozialist, im Laufe dieses Krieges entwickelt. Am 16. Januar scheiterte der 83jährige im Senat, wo die Demokraten zusammen mit drei Unabhängigen eine knappe Mehrheit stellen: Nur elf Senatoren, Sanders eingeschlossen, stimmten seinem Resolutionsantrag zu, der das State Department verpflichtet hätte, innerhalb von 30 Tagen einen Bericht zur Frage zu liefern, ob Israel während seiner Kriegführung Menschenrechtsverletzungen begangen habe. 72 Senatoren, darunter nur 49 Republikaner, stimmten gegen den Antrag.

Am 8. Februar ließ Biden dennoch ein »Memorandum zur nationalen Sicherheit« publizieren, das den Intentionen der innerparteilichen Kritiker partiell zu entsprechen scheint und das – je nach Standort und Interessen – als »neue Politik« des Präsidenten getadelt oder gelobt wird. Wirklich sensationell neu ist das angeordnete Verfahren aber nicht. Dass Empfänger US-amerikanischer Militärhilfe nach den Menschenrechten gefragt werden und dass dabei natürlich nicht alle Partner gleichbehandelt werden, ist seit vielen Jahren möglich. Das Memorandum vom 8. Februar macht das Verfahren lediglich verbindlicher und legt Formalien fest. Demnach geht es um ein Prüfverfahren, das das Pentagon oder das Außenministerium in Gang setzen können, wenn sie »den Eindruck haben«, dass die Zusicherungen eines Empfängerstaats, nicht ausreichend glaubwürdig sind. In einem solchen Fall kann dieser Staat aufgefordert werden, die fehlenden Erläuterungen und Dokumente innerhalb der nächsten 180 Tage nachzuliefern.

Für Israel gelten scheinbar sogar etwas strengere Regeln: Empfänger, die sich im Moment der auftretenden Zweifel »in einem aktiven bewaffneten Konflikt« befinden, müssen auf die an sie gerichteten Zweifel innerhalb der nächsten 45 Tage reagieren. Falls das US-Außenministerium die nötigen Zusicherungen nicht innerhalb dieser Frist erhält, soll bis zu einer Klärung der Transfer von »Verteidigungsartikeln« und »verteidigungsbezogenen Dienstleistungen« unterbrochen werden.

Aber das ist im Sonderfall Israel nur Theorie: Das Wall Street Journal zitierte am Sonnabend eine Einschätzung der US-amerikanischen Botschaft in Jerusalem, wonach die israelische Regierung »den beschleunigten Erwerb dieser Gegenstände« – die erwähnten 1.000 Bomben samt Zubehör – »zur Verteidigung gegen fortgesetzte und entstehende regionale Bedrohungen« anstrebe. Der Einschätzung der US-Botschaft zufolge, die real keine Kompetenz bei diesem Thema hat, gebe es keine menschenrechtlichen Bedenken gegen den geplanten Waffendeal. Das ist offenbar das, was man den kurzen Dienstweg nennt.

Hintergrund: IGH-Anhörung

Seit Montag tagt der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag mit Anhörungen, die zunächst auf eine Woche geplant sind, zu – so der offizielle Verhandlungstitel – »rechtlichen Konsequenzen, die sich aus der Politik und den Praktiken Israels im besetzten palästinensischen Territorium einschließlich Ostjerusalems ergeben«. Mehr als 50 Staaten und mindestens drei internationale Organisationen haben damit begonnen, den Richtern ihre Meinungen zum Thema vorzutragen. Als erste sprachen am Montag und Dienstag die Vertreter Palästinas, Südafrikas, Algeriens, Saudi-Arabiens, der Niederlande, Bangladeschs und Belgiens. Die Jury wird sich nach dem letzten Sitzungstag am 26. Februar vermutlich zu mehrmonatigen Beratungen zurückziehen und anschließend eine nicht bindende Rechtsmeinung verkünden.

Grundlage des Verfahrens ist ein Ersuchen der Vollversammlung der Vereinten Nationen an den IGH, nach umfassender Prüfung der Lage in den von Israel seit 1973 besetzten Gebieten eine Art Gutachten abzugeben. Die entsprechende Resolution wurde am 30. Dezember 2022 mit 87 gegen 26 Stimmen, bei 53 Enthaltungen, beschlossen. Vom Ergebnis wird hauptsächlich politisch-propagandistische Wirkung gegen die Verewigung der israelischen Besatzungspolitik erwartet.

Israel wird, soweit bisher bekannt, in Den Haag keine mündliche Stellungnahme abgeben, sondern hat lediglich ein fünfseitiges schriftliches Statement eingereicht. Begründet wird das mit der Behauptung, ein Spruch des Gerichts sei schädlich für die Versuche, den Konflikt mit den Palästinensern zu lösen. Die Anhörungen seien dazu bestimmt, Israels Recht auf Selbstverteidigung gegen Bedrohungen zu beeinträchtigen und »ohne Verhandlungen die Ergebnisse einer diplomatischen Lösung zu diktieren«, hieß es am Montag aus dem Büro von Premierminister Benjamin Netanjahu. (km)

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