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Aus: Ausgabe vom 17.02.2024, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Staatsumbauprogramm

Von Arnold Schölzel
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Nikolas Busse, Verantwortlicher für Außenpolitik in der FAZ, gießt am Donnerstag Wasser in den Wein der »Ampel«-Euphorie. Da meldet Berlin erstmals seit 1992 der NATO, man werde in diesem Jahr 2,01 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fürs Militär aus dem Fenster werfen, Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sieht darin ein »Signal« und erhebt Anspruch auf eine deutsche Führungsrolle, aber Busse mäkelt: »Spät, sehr spät kommt eine Bundesregierung der verteidigungspolitischen Verantwortung nach, die sie nicht nur gegenüber der NATO hat, sondern vor allem gegenüber dem eigenen Volk.« Das hatte Kriegspfaffe Joachim Gauck beim Bundeswehr-Antrittsbesuch als Bundespräsident 2012 schon mal klarer gesagt. Es gebe in der Bevölkerung eine Tendenz zum »Nicht-wissen-Wollen« sowie: »Und dass es wieder deutsche Gefallene gibt, ist für unsere glückssüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen.«

Zwölf Jahre später ist die Bundesregierung laut Busse nicht weiter als damals die Wähler. Woran es liegt? Auf das Zweiprozentziel habe »man sich im Bündnis schon 2002 verständigt, 2014 gab es dazu noch einmal einen Gipfelbeschluss.« In diesen 22 Jahren hätten drei Bundeskanzler und diverse Verteidigungs-, Außen- und Finanzminister geglaubt, »dass eine europäische Mittelmacht, die nicht einmal Atomwaffen hat, es sich leisten könne, diese Verabredung zu ignorieren«. Bingo: »Nicht-wissen-Wollen« ist der Grund.

Bombardierung Jugoslawiens, 20 Jahre Afghanistan-Krieg, zehn Jahre Mali, Hilfe für die Kiewer Nationalisten und Faschisten bei ihrem Krieg gegen die eigene russischsprachige Bevölkerung seit 2014 und Kanonenboote im Indischen und Pazifischen Ozean – hat das überhaupt stattgefunden? Busse leidet wie seine Berufskollegen in den Qualitätsmedien an einer speziellen Form des »Nicht-wissen-Wollens«. Jetzt beschwere sich sogar der Bundespräsident über Trump? Busse: »Glauben deutsche Politiker immer noch, unser Land habe einen Anspruch darauf, von anderen verteidigt zu werden?« Bisher war es zwar ausschließlich an Angriffskriegen beteiligt, kann aber ignoriert werden.

Busse sagt endlich, warum das Berliner Politpersonal so langsam ist. Nichts mit »glückssüchtig«, sondern – die Herrschaften haben die Hosen voll: »Gebeugt hat sich die Ampel am Ende nicht dem früheren amerikanischen Präsidenten, sondern Putin.« Offenbar ist schon wieder 1945. Gäbe es den Russen nicht, er müsste erfunden werden, damit in Berlin wieder Grusel einkehrt und es endlich zackiger zugeht. Denn: »Deutschland gibt in diesem Jahr mehr als siebzig Milliarden Euro für die Verteidigung aus, weil es wieder eine Bedrohung aus dem Osten gibt.« Nicht sofort, aber in fünf bis acht Jahren – sagen Verteidigungsminister und Generalinspekteur. Fest steht: Dann greift der Russe an. Und weil das so eintreten wird, wenn die beiden das vorhersagen, reichen die 70 Milliarden nicht. Denn auch dieser Betrag, bemängelt Busse, sei nur dadurch zustande gekommen, »dass der reguläre Verteidigungshaushalt durch das Sondervermögen aufgestockt wird. Das wird in ein paar Jahren aufgebraucht sein, und spätestens dann gibt es wieder eine erhebliche Lücke zwischen den gewachsenen Anforderungen an die Bundeswehr und den Mitteln, die ihr dafür zur Verfügung gestellt werden.« Denn was sind 100 Milliarden Extra-Euro für die Armee? Ein Klacks. Aber, so Busse, es ist genügend Geld vorhanden: »Eine ernsthafte Diskussion über den Umfang des Sozialstaats, den die Deutschen bisher als wichtigste Sicherheitsgarantie empfunden haben, wird sich auf Dauer nicht vermeiden lassen.«

Für das Staatsumbauprogramm der kommenden Merz-Pistorius-Lindner-Habeck- oder Sonstwie-Koalition benötigt die FAZ nur ein paar Zeilen.

»Gebeugt hat sich die Ampel am Ende nicht dem früheren amerikanischen Präsidenten, sondern Putin.« Offenbar ist schon wieder 1945.

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