4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Triebkräfte der Besatzung

Von Mumia Abu-Jamal
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Wenn wir die gegenwärtigen Ereignisse im Gazastreifen und in Israel analysieren, erkennen wir die Tragweite des Besatzungsregimes, mit dem der israelische Staat die Herrschaft in den palästinensischen Gebieten ausübt. Das Wort »Besatzung« erweist sich in diesem Zusammenhang als eine höfliche Umschreibung für das, was in Wirklichkeit die Eroberung und Aneignung des Landes eines anderen Volkes mit militärischen Mitteln ist.

Der aus Kamerun stammende Historiker Achille Mbembe schreibt in seinem bemerkenswerten Buch »Necropolitics« scharfsinnig und tiefgründig über den sogenannten israelisch-palästinensischen Konflikt und liefert verblüffende Einblicke in seine Ursprünge und die im Verborgenen wirkenden Triebkräfte. In erster Linie, so erklärt Mbembe, gehe es um Separation. Darauf folge die Schaffung einer Enklave oder eines abgetrennten Raums und schließlich die Vernichtung derjenigen, die als Feinde des Staates angesehen werden. Hinter dem »Absonderungsinstinkt«, so Mbembe, steht der übergeordnete Wunsch, das andere zu beherrschen, das dann der Unterwerfung ausgesetzt ist, was wiederum zu einem Wunsch nach Zerstörung führt. Dazu schreibt der Autor bezeichnenderweise – und das ist ein Zitat –, dass Besatzung »in jeder Hinsicht ein Nahkampf in einem Tunnel ist«. Ich bitte zu beachten, dass sein Buch erstmals 2016 auf Französisch veröffentlicht wurde.

Mbembe schreibt: »Als Mischung aus Sadismus und Masochismus, oft tastend in meist unerwarteten Situationen vorgehend, neigte der Kolonialismus dazu, alle Kräfte zu zerschlagen, die diesen Trieben im Wege standen oder deren Streben nach perversen Lüsten aller Art zu hemmen versuchten. Die Grenzen dessen, was dem Kolonialismus als ›normal‹ galt, wurden ständig hinausgeschoben, und nur wenige Begierden waren Gegenstand offener Ablehnung oder der Scham und des Abscheus. Die koloniale Welt besaß eine schwindelerregende Fähigkeit, sich mit der Zerstörung ihrer Objekte – einschließlich der einheimischen Bevölkerung – abzufinden.«

Wie viele afrikanische Wissenschaftler, Aktivisten und Denker hat auch Achille Mbembe die Verhältnisse des israelischen Siedlerkolonialismus in Palästina genau untersucht und sieht darin Apartheid. Aber wenn, ist es eine andere Art der Apartheid. In Südafrika brauchte das System afrikanische Arbeitskraft, um seinen Reichtum aufzubauen. Israel braucht keine palästinensischen Arbeitskräfte. Es trachtet vor allem nach der Inbesitznahme palästinensischen Landes. Das macht die Menschen überflüssig und bringt sie in eine schlechtere und schwächere Position.

Übersetzung: Jürgen Heiser

Zum ersten Mal zitierte Mumia Abu-Jamal aus dem Buch »Necropolitics« von Achille Mbembe am 16. Mai 2022 in seiner Kolumne »Die Not Palästinas«. Mbembe wies nach, wie die Absonderung der palästinensischen Bevölkerung in der von Israel zugewiesenen Enklave systematisch verschärft und die Unterwerfung auch mittels der Umzingelung durch israelische Wehrdörfer (»Siedlungsgebiete«) stattfindet. Was Mbembe nur als drohende Entwicklung skizzieren konnte, war die aktuelle Vertreibung und Vernichtung der Zivilbevölkerung in Gaza. Dagegen wird auch in Abu-Jamals Heimatstadt Philadelphia protestiert. Am 22. Januar wurde vor dem Redaktionsgebäude der Tageszeitung Philadelphia Inquirer gefordert, dass die US-Konzernmedien ihre Unterstützung von Israels Verbrechen beenden und sie nicht länger als »Krieg« bezeichnen sollen, berichtete Workers World am Dienstag. »In Gaza findet kein konventioneller Krieg statt.« Die Palästinenser verfügten weder über ein stehendes Heer noch eine Luftwaffe, nur über »mutige Widerstandskämpfer«. »Ihr Land ist besetzt, und die Invasoren haben bekundet, jedes Stück palästinensischen Landes zu rauben.« Das »koloniale Gebilde Israel« führe keinen Krieg, »sondern begehe in Wahrheit einen Völkermord«. (jh)

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