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Aus: 50 Jahre Nelkenrevolution, Beilage der jW vom 17.04.2024
Nelkenrevolution in Portugal

Gegründet in Bad Münstereifel

Wesentliche Aufgabe des Partido Socialista war Abwicklung der Revolution. Unterstützt wurde sie dabei von der deutschen Sozialdemokratie
Von Michael Henkes
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Abgelenkt? Neugierige Passanten vor Plakaten der Portugiesischen Kommunistischen Partei am 11. Februar 1975

Als vor 50 Jahren die Nelkenrevolution über die Herrschenden dieser Welt hereinbrach, standen ihnen zwei grundsätzliche Strategien zur Verfügung, damit umzugehen. Der Weg der (gewaltsamen) Niederschlagung und der der Integration. Wobei die Entscheidung für eines der Instrumente das andere nicht ausschließen muss. Die Lage für die portugiesischen und ausländischen Monopole war dabei aus mehreren Gründen heikel.

Erstens handelte es sich bei der Nelkenrevolution nicht um eine »Palastrevolte«, bei der eine Fraktion der Bourgeoisie durch eine andere ausgetauscht wurde. Sie war eine vom Volk getragene Revolution. Auch wenn es durchaus auch Fraktionen innerhalb der portugiesischen und ausländischen Monopolgruppen gab, die einen Bruch mit der »Salazar-Caetano«-Herrschaft favorisierten, war eine Volksbewegung wie diese nicht in ihrem Sinne.

Zweitens gefährdete die im Zuge der Revolution voranschreitende Dekolonialisierung auch die Interessen der Monopole in Afrika (und in Asien). Hier drohte keine »geordnete« Überführung der Kolonien in neokoloniale Pseudounabhängigkeit, sondern eine tatsächliche – getragen von nationalen Bewegungen mit sozialistischer Orientierung.

Drittens war Portugal, selbst NATO-Mitglied, von strategischer Bedeutung für das westliche Staatenbündnis. Zum einen war es untragbar, dass mit einem möglicherweise sozialistischen Portugal eine »zweite Front« am Westende der europäischen NATO-Staaten entsteht. Zum anderen war die Lage Portugals am westlichsten Punkt Europas von großer militär-logistischer Wichtigkeit. Die Warenströme von und nach Zentraleuropa führten an Portugal vorbei. Hier lagen wichtige Werften und Häfen für die großen Transportschiffe und Öltanker. Mit den Azoren besaß Portugal zudem einen »unsinkbaren Flugzeugträger«, der insbesondere für die USA eine strategisch bedeutsame Rolle spielte.

Hauptfeind Kommunismus

Die Lage war also ernst. Die USA verfolgten ab 1974 eine eher auf unmittelbare Repression setzende Strategie. Sei es durch die Unterstützung konterrevolutionärer, terroristischer Organisationen in Portugal oder durch Drohgebärden wie die Präsenz des Flugzeugträgers USS Saratoga. Relevante Fraktionen der portugiesischen Monopole und vor allem die BRD verfolgten einen anderen, integrativen Ansatz: Dabei spielte die sozialdemokratische Partei »Partido Socialista« (PS) unter Mário Soares eine zentrale Rolle.

Bis zur Nelkenrevolution spielte die reformistische Sozialdemokratie in Portugal kaum eine Rolle. Zwar gab es Vorgängerorganisationen des PS, die sich aktiv am Kampf gegen den Faschismus beteiligten. Ihre Basis hatte sie aber in Intellektuellenkreisen und im Exil. Die Industriearbeiter in Lissabon, Sétubal, Porto und die Landarbeiter des Alentejo orientierten sich an der Kommunistischen Partei (PCP). Als sich der Niedergang des portugiesischen Faschismus Anfang der 1970er Jahre abzeichnete, bewies der deutsche Imperialismus Voraussicht, als er im April 1973 die Gründung des PS unterstütze. In Bad Münstereifel, auf dem Gelände der Friedrich-Ebert-Stiftung, wurde sie von nur 27 Delegierten gegründet und Soares zu ihrem Vorsitzenden ernannt.

Mit integrativen Organisationen wie dem PS ist es den Herrschenden möglich, Massen auf für sie »sichere Bahnen« zu lenken. Dafür ist es aber nötig, diesen, zumindest verbal, attraktive Angebote zu machen. Während sich das in nicht revolutionären Zeiten in der Erhöhung des Mindestlohns erschöpfen kann, sind in Prozessen wie der Nelkenrevolution andere Geschütze notwendig. So wurde der PS nicht müde zu betonen, er wolle auch ein sozialistisches Portugal – nur eben keines nach Art des »Sowjetkommunismus«. Organisationen wie der PS zogen so auch etliche Mitglieder an, die tatsächlich eine andere Gesellschaftsordnung anstrebten. Das betraf einfache Mitglieder wie auch Teile der Funktionsträger. Der PS war damit nicht in Gänze ein willfähriges Instrument der konterrevolutionären Kräfte, sondern entwickelte auch ein Eigenleben. Das galt es immer wieder einzufangen. Selbst ein Soares kam nicht drumherum, am 1. Mai 1974 gemeinsam mit dem PCP-Vorsitzenden, Álvaro Cunhal, auf der Tribüne des Lissabonner Stadions zu stehen und die Einheit der Arbeiterklasse zu signalisieren. Außerdem erteilte er dem rechten General und ersten Staatspräsidenten nach dem 25. April, António de Spínola, eine Absage, als der den Beitritt der Kommunisten in das erste freie Kabinett verhindern wollte. Derlei Gesten strahlten in die Partei hinein und erzeugten bei vielen Mitgliedern die Hoffnung nach der Einheit der Volksmassen im Kampf für den Sozialismus.

Die Präsenz von Soares am 1. Mai 1974, im Kabinett (er war 1974 Außenminister) oder in der Auslandspresse, darf nicht über die mangelnde Verankerung des PS im postfaschistischen Portugal hinwegtäuschen. Er verfügte kaum über Strukturen und Mitglieder; von einer Verankerung in der industriellen und ländlichen Arbeiterklasse und den Gewerkschaften ganz zu schweigen. Eine Kombination aus Hetze vor der angeblichen »roten Gefahr« einer »Diktatur« durch die Kommunisten, enormer finanzieller und organisatorischer Unterstützung des PS, insbesondere durch die BRD und die SPD, geschickten »sozialistischen« Beteuerungen und Terror von Faschisten gegen den PCP änderte dies schnell. Kaum ein Jahr nach der Revolution war der PS in Portugal etabliert. Bei den Wahlen zur konstitutionellen Versammlung 1975 erreichte er bereits 37,9 Prozent und wurde damit stärkste Kraft, weit vor dem PCP (12,5 Prozent). Stark war er vor allem in proletarisch und kleinbürgerlich geprägten Bezirken im Süden des Landes; in den Regionen Lissabon, Setúbal (den industriellen Kernregionen) und im Alentejo, wo Landarbeiter jahrzehntelang für Großgrundbesitzer schuften mussten, stand er einem starken PCP gegenüber. Die Stärke der Kommunisten aber ging weit über ihre Wahlergebnisse hinaus: Der PCP verfügte über großen Einfluss in den Streitkräften, den Gewerkschaften und den Genossenschaftsbewegungen – also den aktiv kämpfenden Teilen der Volksmassen. Im kleinbäuerlich geprägten Norden dominierten die Konservativen.

Rückbau der Revolution

Die Verlautbarungen Soares, Ziel des PS sei die »Zerstörung des Kapitalismus«, konnten nicht über ihre fortlaufenden Angriffe auf die Revolution hinwegtäuschen: Bereits im Sommer 1974 verließ der PS ein antifaschistisch-demokratisches Wahlbündnis mit der Behauptung, es sei »kommunistisch« unterwandert. Auch eine Verstrickung führender Sozialisten in den Spínola-Putschversuch vom 11. März 1975 steht seit längerem im Raum. Eindeutig belegt sind die zahlreichen Angriffe des PS auf die provisorischen Regierungen (II.–V.) unter dem fortschrittlichen General Vasco Gonçalves als Premierminister. Während dieser gemeinsam mit der Bewegung der Streitkräfte (MFA), den Gewerkschaften und Kommunisten die Revolution voranzutreiben versuchte, u.a. durch die Verstaatlichung von Unternehmen und Großgrundbesitzen, organisierte der PS antikommunistisch aufgeheizte Großkundgebungen und warnte unentwegt vor der angeblichen »Bolschewisierung« Portugals.

Gestützt durch die reaktionäre Presse, der sozialdemokratischen »Internationalen« (auch in Form großzügiger Geldzuwendungen) und jenen Unternehmern, die zurecht in der Partei ihr »bestes Pferd« erkannten, gelang dem PS bei den ersten regulären Parlamentswahlen 1976 das beste Ergebnis aller Parteien (PS 35 Prozent, PCP 14 Prozent). Er bildete daraufhin eine Minderheitsregierung, denn das Zusammengehen mit den Kommunisten lehnte er ab. Nun begann die große Offensive der Reaktion: Eingerahmt von kleinen Sozialreformen startete er die Rückabwicklung zentraler Errungenschaften der Revolution. Knapp 200 verstaatlichte Unternehmen wurden reprivatisiert; mit äußerster Vorsicht wurden auch die ersten Schritte zur Rückabwicklung der Agrarform durchgeführt. Im Jahr 1978 hob der PS zudem den gelben Gewerkschaftsverband UGT aus der Taufe, als Konkurrenz zu den Einzelgewerkschaften der CGTP.

Bis zum Ende der 1970er Jahre war der PS federführend am Rückbau der Revolution beteiligt. Bei den Wahlen 1979 wendeten sich die Arbeiter enttäuscht von ihm ab (PS 27 Prozent) und wählten den PCP (knapp 19 Prozent). Allerdings hatte der PS seine Aufgabe für die Bourgeoisie da schon hinreichend erfüllt. Die Reaktion setzte, mit den konservativen Mittelschichten und Bauern als Massenbasis, nun zunehmend auf die Liberalkonservativen von PPD/PSD und den rechtskonservativen CDS, die zusammen mit weiteren Rechten über 45 Prozent erhielten. In den 1980er Jahren verlor der PS vorläufig vollends seine Bedeutung für die Herrschenden. Deren Interessen wurden fortan bis ins 21. Jahrhundert vor allem über die konservativen Parteien, allen voran den PPD/PSD, vermittelt.

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