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Aus: 50 Jahre Nelkenrevolution, Beilage der jW vom 17.04.2024
Nelkenrevolution in Portugal

Ohne klare Führung

Die Arbeiter nahmen ihre Zukunft selbst in die Hand. Unterstützt wurden sie von der Bewegung der Streitkräfte. Aber am Ende nicht in aller Konsequenz
Von Nikolas Sisic
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Nach Jahrzehnten der Ausbeutung: Landarbeiter im Alentejo fordern eine Agrarreform

Während der Jahre des »­Estado Novo« (1933–1974) waren miserable Arbeitsbedingungen und Hungerlöhne weit verbreitet. Im Jahr 1973 erhielt ein portugiesischer Arbeiter im Durchschnitt 25 Prozent eines westdeutschen Lohns. Kein Wunder, dass der Militärputsch der jungen und mittleren Offiziere der »Bewegung der Streitkräfte« (Movimento das Forças Armadas, MFA) vom 25. April 1974 auf begeisterte Zustimmung der portugiesischen Arbeiterschaft traf.

Die Offiziere des MFA waren keine Revolutionäre. Ihnen ging es vor allem um einen möglichst reibungslosen Übergang nach dem Sturz der Diktatur. Die Macht ging zunächst an eine Militärjunta (»Junta der Nationalen Rettung«) unter dem konservativen General António de Spínola, der als ehemaliger Gouverneur von Guinea-Bissau eine politische Lösung der Kolonialfrage favorisierte.

Doch das Ausmaß der Unruhen nach dem Sturz des Regimes machte den vagen Plänen des MFA von Demokratisierung, Dekolonialisierung und Entwicklung schnell einen Strich durch die Rechnung. Es wurde deutlich, dass die Freude über die Befreiung vom Faschismus ebenso groß war wie die Hoffnung auf eine rasche materielle Verbesserung der Lage derer, die von seiner Wirtschaft ausgebeutet wurden.

Diese Hoffnung trieb Hunderttausende dazu, sechs Tage später, am Tag der Arbeit, zu demonstrieren. Streiks und Fabrikbesetzungen folgten bald, die alle Sektoren der Wirtschaft betrafen. Zwar drehten sich die Kernanliegen zunächst um höhere Löhne und Arbeitszeitreduzierungen, entwickelten dann aber oftmals eine politische Dimension. Typisch waren die sogenannten Säuberungen (Saneamentos) – die Entlassung von Führungskräften, denen Kollaboration mit dem Faschismus vorgeworfen wurde. In den Großstädten bildeten Bewohner von Slums und arme Mieter Vereinigungen. Sie besetzten leerstehende Häuser und gründeten Kindertagesstätten und Schulen. Die Gewerkschaften wurden von den Ereignissen überrollt. Ihre Mäßigungs- und Vermittlungsbemühungen stießen regelmäßig auf taube Ohren. Viele Arbeiter bevorzugten, sich in basisdemokratischen Fabrikkommissionen zu organisieren. Dennoch wuchs der Gewerkschaftsbund »Intersindical«, der 1975 zum nationalen Gewerkschaftsdachverband wurde und eng mit dem PCP (Partido Comunista Português, Portugiesische Kommunistische Partei) verbunden war, exponentiell. Bis zum Ende des Jahres vertrat er fast eine Million Arbeiter.

Die erste von sechs

Am 16. Mai 1974 wurde die erste von sechs provisorischen Regierungen gebildet – mit der Aufgabe, die entstehende Streikbewegung im Keim zu ersticken. An ihr waren die Sozialistische Partei (Partido Socialista, PS) und die Demokratische Volkspartei (Partido Popular Democrático, PPD) beteiligt. Der PCP, der in den ersten Tagen nach der Revolution die stärkste politische Kraft war, war ebenfalls beteiligt und wurde durch seinen Vorsitzenden Álvaro Cunhal (ohne Geschäftsbereich) und durch Avelino Gonçalves (Arbeitsminister) vertreten.

Kurz darauf, am 27. Mai, führte sie in einem Versuch, der weitverbreiteten Unzufriedenheit Herr zu werden, einen Mindestlohn von 3.300 Escudos im Monat (16,46 Euro) ein. Es folgten Preisbindungen für wichtige Güter und Dienstleistungen. Diese Maßnahmen erfüllten jedoch nicht die ursprünglichen Forderungen, was zu einer Eskalation von Streiks und Betriebsbesetzungen führte. Die Alternative war gewaltsame Repression. Zu diesem Zweck wurde im Juli eine neue Militäreinheit, das Operationskommando Festland (Copcon), gegründet, da der bestehende Gewaltapparat durch seine Verbindungen zum Faschismus diskreditiert war.

Im August versuchte die Regierung erneut, diesen Aktivismus in geordnete Bahnen zu lenken, und verabschiedete ein neues Streikgesetz. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes wurden Streiks legalisiert. Doch das Gesetz führte zahlreiche Einschränkungen ein. Es untersagte Arbeitsniederlegungen während der Laufzeit von Tarifverträgen und räumte den Gewerkschaften das exklusive Recht ein, über Maßnahmen zu entscheiden. Zudem wurden politische Streiks und Solidaritätsstreiks verboten. Vergeblich, die Streikwelle rollt ungebremst weiter.

Spínolas erster Putschversuch

Für die portugiesische Bourgeoisie war dieser Status quo unerträglich. Sie beschloss zu handeln. Unter der Führung des inzwischen zum Präsidenten aufgestiegenen Spínola begannen sie, einige Faschisten mit Waffen zu versorgen. Am 28. September wurde ein Volksmarsch inszeniert. Die Unterstützung der »schweigenden Mehrheit« der »anständigen« Portugiesen, die für den Erfolg des Putsches entscheidend war, blieb jedoch aus.

Warum Spínola diese Rolle übernahm, liegt auf der Hand. Er war ein Mann der Elite, der in den Aufsichtsräten einiger großer Monopole saß. Seine Vorstellungen unterschieden sich in fast allen Punkten von denen des MFA. Er musste zusehen, wie die Armee selbst nach links rückte und wie die Disziplin zerfiel. Das Bild von Soldaten, die Arbeiter mit erhobener Faust grüßten, wurde alltäglich. Die Copcon-Einheiten zeigten sich zunehmend unberechenbar. Während Spínolas Einfluss schwand, näherte sich der MFA der Streikbewegung nach und nach an. Einer der linken Offiziere, Vasco Gonçalves, wurde Premierminister. Der Linksruck beschleunigte sich. Die bis dahin übliche Unterdrückung von Streiks wurde durch die aufkeimende Solidarität zwischen Soldaten und Arbeitern unrealistisch.

Allgemeine Wirtschaftskrise

Mit dem Herannahen des Jahres 1975 verschärfte sich Portugals prekäre Wirtschaftslage weiter. Die jährliche Wachstumsrate des BIP fiel von 11,2 Prozent im Jahr 1973 auf minus 4,35 Prozent 1975. In dieser Zeit erlebte die Welt ihre schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, verursacht durch den Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems und das OPEC-Ölembargo. Selbst geringe Lohnerhöhungen bedrohten viele kleinere, auf billige Arbeitskräfte angewiesene Unternehmen. Politische Unsicherheit führte zu einem Rückgang des Tourismus und der Überweisungen von Emigranten, von denen die Wirtschaft abhängig war. Die Rückkehr von etwa acht Prozent der portugiesischen Bevölkerung aus den ehemaligen Kolonien in Afrika verdoppelte die Arbeitslosenquote. Die Kapitalflucht beschleunigte sich, während sich internationale Investitionen verlangsamten.

Unterdessen hielt die Streikwelle unvermindert an. In einer Vielzahl von Branchen kam es in den ersten Monaten des Jahres 1975 zu Eskalationen. Dazu gehörten die Metallindustrie, die chemische Industrie und der Schiffsbau sowie der Dienstleistungsektor, das Bildungswesen und die Medien. Es entstanden Volksmachtorgane wie Einwohner- und Fabrikkommissionen oder landwirtschaftliche Genossenschaften. Die Arbeiter verlangten Mitspracherecht bei der Verwaltung ihrer Arbeitsplätze. Sie lehnten Gehaltserhöhungen für Manager ab, forderten Einsicht in die Finanzunterlagen des Unternehmens. Dabei stießen sie auf heftigen Widerstand seitens der Eigentümer, die sich mit einer Reihe von Taktiken zur Wehr setzten. Dazu gehörten Entlassungen, Aussperrungen, Einstellung der Produktion oder die Verlagerung an einen anderen Standort. Die Arbeiter begannen, Fabriken zu besetzen und ihre Besitzer unter dem Vorwurf der Wirtschaftssabotage zu vertreiben. Rufe nach Verstaatlichung wurden laut. Im Süden kam es zu ersten bedeutenden Landbesetzungen, während die Zahl der Hausbesetzungen in Lissabon, Porto und Setúbal zunahm. Lohnerhöhungen sowie eine allgemeine Sozialversicherung wurden durchgesetzt.

Arbeiter auf dem Vormarsch

Angesichts der zunehmenden Radikalisierung überrascht es nicht, dass Spínolas alte Truppe erneut aktiv wurde. Ihr Plan, »Intentona« genannt, zielte darauf ab, eine Eliteeinheit von Fallschirmjägern vom Luftwaffenstützpunkt in Tancos unter falschen Vorwänden zu manipulieren, um die »RAL-I-Kaserne« in Lissabon anzugreifen. Sie scheiterten; bereits nach wenigen Stunden war es vorüber. Die Arbeiter nutzten die Gunst der Stunde, besetzten die großen Banken und forderten deren Verstaatlichung. Der Staat stand kurz davor, den Halt zu verlieren. Doch von der Entwicklung einer politischen Identität war diese Bewegung noch weit entfernt. Sie war strukturlos und hatte keine klare Führung.

Um die Initiative zurückzugewinnen und eine gewisse Kontrolle über die angeschlagene Wirtschaft zu erlangen, begann der MFA, von einer radikalen Welle erfasst, die großen Monopolkonzerne zu enteignen. Einige Verstaatlichungen hatten bereits 1974 stattgefunden, doch nach dem 11. März 1975 wurden sie systematischer. Sie betrafen Schlüsselsektoren wie Banken, Versicherungen, Elektrizität, Eisenbahn, Schiffbau und Rundfunk. Mehr als 200 Unternehmen wurden direkt verstaatlicht. Der öffentliche Sektor Portugals wurde zu einem der größten in Europa und war für 20 bis 25 Prozent des BIP zuständig. Indirekt waren 1.300 Unternehmen betroffen, da viele davon Banken waren, die Anteile an anderen Firmen hielten. Konzernbosse wurden verhaftet oder zur Flucht gezwungen. Der Staat wurde zum Arbeitgeber für 7,8 Prozent der Beschäftigten. Das ausländische Kapital blieb jedoch unangetastet. Der Mindestlohn wurde erhöht. Gleichzeitig leitete die Regierung eine Bodenreform ein. Von den Großgrundbesitzern im Süden wurden Millionen Hektar Land konfisziert. Zur Umsetzung des Vorhabens des »sozialistischen Wiederaufbaus der Wirtschaft« richtete der MFA einen Revolutionsrat ein. Mit diesem Schritt erlangte er einen Großteil der exekutiven und legislativen Macht des Landes. Der Revolutionsrat stand nun als formale Institution an der Spitze des Staates. Der MFA erklärte sich selbst zum »Motor der Revolution«.

Trotz dieser radikalen Maßnahmen hielten die Militärs am festgelegten Wahlkalender fest. Nach einem Jahr wirtschaftlichen Chaos fanden am Jahrestag der Revolution die Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung statt, die mit einem überwältigenden Sieg der konterrevolutionären Kräfte PS und PPD endeten. Diese versammelten sich unter einem nominell sozialistischen Banner, vertraten dennoch die Interessen derjenigen, die von einer Revolution am meisten zu verlieren hatten oder die nicht zu einer bereit waren. Die KP schnitt vor allem wegen der allgegenwärtigen antikommunistischen Propaganda bei den Wahlen schlecht ab.

»Heißer Sommer«

Dennoch begann der Juli 1975 mit einem neuen Sprung im »PREC« (Processo Revolucionário em Curso), wie der revolutionäre Prozess damals genannt wurde. Nach internen Konflikten institutionalisierte das Militär die »Allianz Volk/MFA«. Sie integrierte die Volksversammlungen in eine neue Doppelherrschaftsstruktur und stärkte den Revolutionsrat als wichtigste Regierungsinstanz des Landes. Die künftige Verfassunggebende Versammlung wurde auf die Ausarbeitung der neuen Verfassung beschränkt.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte eine Koalition aus PCP, PS, PPD und kleineren Parteien unter Führung des MFA für einen Anschein von Stabilität gesorgt. Mit der Legitimation der Wahlen im Rücken begann der Vorsitzende der Sozialisten, Mário Soares, den Status quo zu revidieren und griff die Kommunisten wegen angeblichen diktatorischen Bestrebungen offen an. Mitte Juli verließen PS und PPD die vierte provisorische Regierung unter dem Vorwurf, die KP habe die Besetzung der Zeitung Républica und des Radiosenders Renascença durch Arbeiter angeordnet. Die Koalition zerbrach. Der PCP und die »Militärische Linke«, eine Fraktion des MFA um Ministerpräsident Vasco Gonçalves, der vor allem für die Verstaatlichungswelle verantwortlich war, bildeten eine neue Regierung.

Die Spaltung des Landes war tief. Im Süden gingen die Bemühungen um eine Agrarreform weiter, wobei das ländliche Proletariat immer mehr Land unter seine Kontrolle brachte, während in den Industriezentren täglich Streiks stattfanden. Im konservativ-katholisch geprägten Norden Portugals verübten extrem rechte Terrorgruppen, die von Spanien aus agierten, Bombenanschläge und begingen Brandstiftungen. Zu den führenden dieser Organisationen gehörten die ELP (Exército de Libertação de Portugal, Portugiesische Befreiungsarmee) und Spínolas neue Gruppe, die MDLP (Movimento Democrático de Libertação de Portugal, Demokratische Bewegung für die Befreiung Portugals). In den Dörfern zogen antikommunistische Mobs, angestachelt von Priestern und lokalen Führern, frei umher, überfielen und plünderten die Zentralen des PCP. Die politische Führung dieser Banden übernahmen die bürgerlichen Parteien – vor allem der PS –, die das Chaos schürten und gleichzeitig Ordnung versprachen.

Die antikommunistische Meute bestand hauptsächlich aus Kleinbürgern und Bauern des Nordens, die im Gegensatz zu den ländlichen Proletariern des Südens kleine Parzellen besaßen oder pachteten. Die meisten von ihnen waren tief religiös, und viele lebten in isolierten, rückständigen Verhältnissen; für sie hätte Lissabon ebenso gut Moskau sein können. Aus Angst, ihre bescheidenen Besitztümer zu verlieren, suchten sie verzweifelt nach einem Ende der »Anarchie«, ein Gefühl, das sich langsam im ganzen Land ausbreitete.

»Genosse Vasco«

Die im August 1975 gebildete fünfte provisorische Regierung war trotz großer Demonstrationen zur Unterstützung des »Genossen Vasco« ein Stillgeburt. Die Enttäuschung unter den Arbeitern wuchs, je mehr sie unter der Mangelwirtschaft und Arbeitslosigkeit litten. Die Ultralinke versuchte, auf der Basis von Stadtteil- und Fabrikkomitees eine Volksmachtbewegung zu schmieden. Gespalten und schwach suchte sie die Einheit unter der launischen Figur von Otelo Saraiva de Carvalho. Allerdings war der Copcon-Kommandeur ein unentschlossener und unzuverlässiger Mann.

Je weiter Vasco Gonçalves nach links driftete, desto mehr verschob sich das Kräfteverhältnis im MFA nach rechts. Der Anfang vom Ende der militärischen Linken war das »Dokument der Neun« (Documento dos Nove). Es wurde Anfang des Monats ratifiziert und von Offizieren unterzeichnet, die eine Annäherung an den PS suchten.

Mit der Veröffentlichung des Mani­ests der »Neun« wurden die Risse zwischen den sogenannten ­Gonçalvistas und dem PCP sichtbar. Gonçalves glaubte, durch eine Annäherung an die Ultralinken der Herausforderung durch die sogenannten Gemäßigten entgegentreten zu können. Eine Spaltung innerhalb des MFA und des regierenden Blocks lehnte die Partei jedoch ab, da dies die Gefahr eines Bürgerkrieges mit sich gebracht hätte. Auch der Ultralinken begegnete sie misstrauisch. Schließlich leitete die »Versammlung von Tancos« am 5. September den politischen und militärischen Niedergang von Vasco Gonçalves ein, der kurz zuvor als Ministerpräsident hatte zurücktreten müssen und nun auch sein Amt als Armeechef verlor. Damit waren alle revolutionären Bestrebungen innerhalb des MFA faktisch beendet.

Der »stille« Putsch

Die Reaktion auf die Auflösung des MFA als revolutionäre Organisation zeigte sich zwei Tage später, als die »Soldados Unidos Vencerão« (SUV; Vereinte Soldaten werden siegen) in Erscheinung traten. Es handelte sich um eine basisinitiierte Soldatengruppe, die sich an den Prinzipien der Fabrik- und Nachbarschaftskomitees orientierte. Die SUV wollten die Demokratie in die Kasernen bringen und eine revolutionäre Volksarmee schaffen.

Mitte September eskalierten die Spannungen weiter, als Pires Veloso, ein Reaktionär und Verbündeter der »Gruppe der Neun« (Grupo dos Nove), Eurico Corvacho in der nördlichen Militär­region ablöste. Er war einer der letzten Kommandeure der Gonçalvistas, die noch im Amt waren.

Die sechste provisorische Regierung trat ihr Amt am 19. September 1975 an. Ihre Zusammensetzung spiegelt das Kräfteverhältnis wider: PS und PPD dominierten, der Einfluss des PCP war minimal. Gerüchte über einen bevorstehenden Staatsstreich machten die Runde. Ende September verschwanden 1.500 G3-Gewehre in den Händen ultra­linker Gruppen. Der Brandanschlag auf die spanische Botschaft und die von den SUV organisierte größte Militärdemonstration in der Geschichte Portugals, ließen die Stimmung eskalieren.

Die Schwierigkeiten der Regierung, ihre Autorität durchzusetzen, gipfelten am 12. November in einer Umzingelung der Verfassunggebenden Versammlung durch mehr als 100.000 Bauarbeiter. Sie verlangten einen neuen Arbeitsvertrag. Die Militärpolizei weigerte sich, gegen sie vorzugehen. Am 20. November legte die Regierung aus Protest gegen das anhaltende Chaos ihre Ämter nieder. Doch hinter den Kulissen bereiteten der PS und die »Neun« bereits konterrevolutionäre Pläne vor.

Erneut über ihren Auftrag getäuscht, erhielten die Fallschirmjäger der Militärbasis in Tancos am 7. November den Befehl, die Studios von Radio Renascença zu zerstören. Der Sender blieb ein Dorn im Auge der Regierung und war eine wichtige Quelle revolutionärer Propaganda. Enttäuscht unterstellten sich die »Paras« den Befehlen von Copcon und gingen zur Selbstverwaltung über.

Nachdem ihre Gehälter eingefroren, der Strom abgestellt und die Lebensmittelversorgung auf der Basis in Tancos unterbrochen worden waren, beschlossen die Fallschirmjäger zu handeln. In den frühen Morgenstunden des 25. November besetzten sie Luftwaffenstützpunkte um Lissabon. Ihre Forderungen, übertragen aus dem nationalen Rundfunkstudio, waren einfach: die Absetzung ihres Kommandeurs, General Morais da Silva, die Verhinderung der geplanten Auflösung ihres Regiments und die Zurückweisung der laufenden »Säuberung« linker militärischer Einheiten. Entgegen verbreiteter Behauptungen waren die »Paras« von Tancos keine Putschisten. Das zeigt sich in der Schnelligkeit, mit der sie sich trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit den Truppen des faschistischen Hauptmanns Jaime Neves ergaben, der die Operation der »Neun« leitete.

Das Volk ist ruhig

Die Konterrevolution siegte am 25. November 1975. Die Lektion aus zwei gescheiterten Putschen hatte sie gelernt. Dieses Mal vereinigte sie sich unter den Bannern der Freiheit und des Sozialismus, angeblich zur Verteidigung des wahren Geistes des Aprils.

Auf der anderen Seite standen Proletarier, Slumbewohner, arme Bauern und einfache Soldaten. Sie ignorierten die hohlen Parolen von nationaler Einheit und die Aufrufe zur Mäßigung und versuchten, den Kampf selbst in die Hand zu nehmen. Doch als es zur direkten Konfrontation mit der Bourgeoisie kam, wussten sie nichts Besseres zu tun, als an den linken Flügel des MFA und den PCP zu appellieren.

Am 25. November brach die Massenbewegung, die das Land in die Knie gezwungen hatte, kampflos zusammen. Während sich Otelo im Palast von Belém versteckte und die letzten Einheiten der Gonçalvistas demobilisiert wurden, versammelten die Arbeiter sich um die Kasernen und forderten, bewaffnet zu werden. Sie gingen leer aus. Einige Wochen zuvor hatte Premierminister Pinheiro de Azevedo nach der Explosion einer Rauchgranate während einer Demonstration zur Unterstützung seiner Regierung voraussagend erklärt: »Es besteht keine Gefahr. Das Volk ist ruhig! Es ist nur Rauch.«

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