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Aus: Literatur, Beilage der jW vom 20.03.2024
Belletristik

Schillernder Schurke

Eduardo Pogoriles erzählt die falschen Erinnerungen des Fritz Mandl
Von Ronald Weber
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»Blume« (2022)

Als Argentinien dem Deutschen Reich am 27. März 1945 den Krieg erklärte, waren größere Teile Westdeutschlands bereits von den Westalliierten besetzt, kurz ­darauf folgte die Niederlage der Nazis. Der Kriegsbeitritt entsprang nicht dem Motiv, auf der Seite der Sieger zu stehen. Die Aufgabe der Neutralität war ein Zugeständnis. Das traditionell deutschlandfreundliche Militär hatte dem Druck aus den USA lange standgehalten. Als Washington aber ein Waffenausfuhrverbot gegen Buenos Aires verhängte und Spannungen zwischen Argentinien und Brasilien anheizte, gaben die Militärs, die sich 1943 an die Macht geputscht und seitdem eine profaschistische Politik betrieben hatten, nach. Der Kriegsbeitritt hatte zunächst die Enteignung deutscher Firmen zur Folge. Juan Domingo Perón, der im Hintergrund die Fäden zog und 1946 zum Staatspräsidenten aufstieg, sorgte gleichwohl dafür, dass sich »ehemalige« Nazis am »Kap der letzten Hoffnung« (Simon Wiesenthal) wohl fühlten.

Eine der Firmen, die im Frühjahr 1945 ebenfalls verstaatlicht wurde, war die Industria Metalúrgica y Plástica Argen­tina (IMPA) des Österreichers Fritz Mandl. Die US-Amerikaner warfen Mandl vor, in Argentinien Panzer und Raketen zu produzieren; sie setzten das Unternehmen auf eine schwarze Liste. Der Berater Peróns, der zeitweise unter Hausarrest gestellt wurde, war nicht irgendwer. Sein Name hatte einen Klang, und das nicht nur, weil Mandl bis 1937 mit der Schauspielerin Hedwig Kiesler verheiratet gewesen war, die im US-Exil unter dem Namen Hedy Lamarr international bekannt wurde.

Mandl war als Leiter der von seinem ­Vater übernommenen niederösterreichischen Hirtenberger Patronenfabrik in den 1930er Jahren zu einem der reichsten Österreicher aufgestiegen, der beste Kontakte zu Mussolini und der paramilitärischen Heimwehr unter Ernst Rüdiger von Starhemberg unterhielt. 1933 war er in die sogenannte Hirtenberger Waffenaffäre verwickelt, die den Übergang zum Austrofaschismus beschleunigte. Unter Umgehung der Bestimmungen des Vertrags von Saint-­Germain hatte Mandl versucht, österreichische Beute­waffen aus dem Ersten Weltkrieg, die in italienischem Besitz waren, über Österreich nach Ungarn zu transportieren. Der Schmuggel war Teil eines Plans Mussolinis zur Aufrüstung des Horthy-Regimes, um ein Gegengewicht zum immer stärker ­werdenden Deutschland unter Hitler zu schaffen. Zugleich sollte ein Teil der Waffen auch an die Heimwehren gehen und helfen, die Arbeiterbewegung in Schach zu halten.

Mandl galt als ein Mann, der mit jedem Geschäfte machte und die Bestimmungen, die Österreich nach dem Ersten Weltkrieg auferlegt worden waren, geschickt umging. So unterhielt Mandl Fabriken in der Schweiz, in den Niederlanden und in ­Polen. In den 1920er Jahren beteiligte er sich an der illegalen Aufrüstung der deutschen Reichswehr. Während des italienischen Kolonialkrieges von Abessinien (heute Äthiopien) erhielt er Großaufträge von Mussolini. Im Spanischen Krieg belieferte er beide Seiten mit Waffen. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich aber musste Mandl das Land verlassen, denn er galt den Nazis, unabhängig von seiner ­wenig demokratischen Gesinnung und seinem katholischen Glauben, als Jude; sein Vater war 1910 konvertiert. Vom Schweizer Exil aus betrieb Mandl die Übersiedlung nach Südamerika, nachdem er sich zuvor mit den Nazis auf eine Auszahlung und die Freilassung seines Vaters geeinigt hatte.

In Argentinien war Mandl nach der kurzfristigen Festsetzung bald wieder obenauf, aber es zog ihn zurück nach Österreich, wo er 1957 die Eigentumsrechte seiner Hirtenberger Fabrik zurückerhielt und sich an der Ausrüstung des Bundesheers beteiligte. Auch ins Ausland lieferte Mandl bald wieder Patronen. Als er 1977 starb, ließ er sich in eben jener Gemeinde beerdigen, in der seine mörderischen Geschäfte begonnen hatten.

Die österreichische Historikerin Ursula Prutsch hat bereits 2022 eine Biographie zu Mandl vorgelegt. Eduardo Pogoriles’ Schrift will diese keineswegs ersetzen oder überbieten, zumal Pogoriles in einem ganz anderen Genre operiert, denn er hat tatsächlich einen fiktionalen Text geschrieben. Was der nach der Errichtung der argentinischen Militärdiktatur 1976 nach Spanien geflüchtete Journalist und Autor unter dem Titel »Mandls falsche Memoiren« zu Papier gebracht hat, kann vielmehr als Vertiefung verstanden werden. Pogoriles’ Kunstgriff ist, Mandls Leben aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. So kommen nicht nur Perón und Starhemberg oder Fritz Thyssen, sondern auch der Möbeldesigner Jean-Michel Frank und der Regisseur Orson Welles zu Wort. Aus ihren und weiteren Stimmen ergibt sich das Bild eines kaltschnäuzigen Bourgeois, der sich hier wie dort zurechtfand und der doch gewiss nie sein Glück gefunden hat. Ganz am Ende kratzt Pogoriles an dieser Erkenntnis. »Aber wenn ich schon meine eigene Dunkelheit nicht sehen will, wie werden sie dann die Ihre sehen können?« fragt der fiktionale Mandl mit Blick auf die Österreicher und deren klaftergroße historische Widersprüche.

Pogoriles’ Buch endet so persönlich, wie es beginnt: mit einer Reflexion der eigenen Motivation. Warum schreibt ein argentinischer Autor im Exil die Geschichte eines österreichischen Waffenfabrikanten? Weil Mandl in Argentinien wirkte? Auch. Vor allem aber, weil der »Patronenkönig« von Hirtenberg ebenfalls ein Exilant war. Ein ungewöhnlicher, gewiss. Dessen Geschichte zu schreiben, verschaffte Pogoriles die Möglichkeit, seine eigene mitzuverhandeln. So ist das Buch ein äußerst seltsamer Spiegel, in dem der Leser dergestalt auch die Geschichte Argentiniens und des ­Perónismus anschaut.

Eduardo Pogoriles: Mandls falsche Memoiren. Eine Schurkengeschichte. Aus dem argentinischen Spanisch von Erich Hackl. ­Marsyas-Verlag, Wien 2023, 92 Seiten, 20 Euro

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