junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Sa. / So., 11. / 12. Mai 2024, Nr. 109
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Feminismus, Beilage der jW vom 06.03.2024
Feminismus

»Man muss nicht immer kämpfen, um sich einzubringen«

Filmkollektiv »Generation Tochter« mit feministischem Ansatz vor und hinter der Kamera. Ein Gespräch mit Lisa Marie Bardoux
Von Gitta Düperthal
#blackdragmagic_07.jpg
Verbindung zur Kultur: Belinda Qaqamba Kafassie, Mandisi Dolle Phika and Mthulic Vee Vuma in traditioneller Xhosa-Kleidung

Das feministische Filmkollektiv »Generation Tochter«, dessen erster gleichnamiger Langfilm im Kino und auf Festivals zu sehen ist, will neue Wege des Filmemachens ausprobieren und üblichen Hierarchien der Filmbranche entgegenwirken. Wie kam es dazu?

Ende 2019 kam die Idee auf, einen feministischen Actionfilm zu drehen. Dieses Filmgenre ist immer noch – ausgeprägter als andere – stark männlich dominiert und besetzt. Wir starteten Aufrufe über Internetplattformen der Filmbranche und suchten über Universitäten Mitwirkende. Wir wollten nicht nur starke Frauen vor der Kamera, sondern vor allem weibliche und diverse Personen dahinter. Viele der 150 Kollektivmitglieder stammen aus Berlin und Brandenburg, aber auch aus anderen Teilen Deutschlands. Das Ergebnis ließ sich sehen: Viele leitende Positionen, z. B. Szenenbild oder Ton, konnten wir weiblich besetzen, auch die Regie war in Frauenhand. Zudem konnten wir eine Kamerafrau gewinnen. Wichtig war uns, einen Film mit flachen Hierarchien zu produzieren.

Was ist damit gemeint?

Anleitende Personen gab es trotzdem, aber auch wer keine solche Position ausfüllt, konnte mitreden. Wir haben einen ständigen Austausch während der Produktionsprozesse gefördert. Zudem arbeiteten wir transparent: etwa in Hinsicht auf den Finanzierungsstand und welche Kosten ausgegeben werden. Das kostet freilich mehr Zeit. Bei Entscheidungsfindungen dauert es mitunter länger. Aber es bringt auch etwas, alle demokratisch zu beteiligen. Neue Arbeitsweisen wurden etabliert, ein respektvollerer Umgang geschaffen.

Finanziert über Förderungen, Kooperationen und drei Crowdfundingkampagnen hat das Kollektiv 2022 den Film »Generation Tochter« umgesetzt. Ist die Arbeit der Filmcrew Hobby oder soll sie langfristig zu Beruf und Einkommen führen?

Studierende, Quereinsteigerinnen und professionelle Mitwirkende arbeiteten unentgeltlich, weil sie das Projekt interessierte. Der Karrieregedanke ist nicht weg. Klar haben wir Druck, beruflich weiterzukommen. Aber das Projekt gemeinsam umzusetzen, stand im Vordergrund. Wer bereits im Film arbeitete, konnte andere anleiten. Menschen aus anderen Berufsfeldern brachten neue Perspektiven ein. Dass wir 2020 durch die Coronakrise Zeit hatten, war für unser Projekt tatsächlich hilfreich.

Wie würden Sie Ihr Konzept beschreiben?

Respektvoller Umgang ist uns wichtig. Wir wollten allen offen gegenüberstehen: Man muss nicht immer kämpfen, um sich einzubringen. Auch Männer und nonbinäre Personen waren dabei.

In einer Erklärung des Kollektivs heißt es, sie wollten »die Kinos mit neuen Impulsen beleben«. Was soll das heißen?

Uns ging es darum, dass mit dem bekannten Sehverhalten gebrochen wird: feministische Sichtweisen auf Gewalt, Liebe und das Heranwachsen. Zudem finden wir es erstrebenswert, auf Festivals oder in Kinos die Debattenkultur zu fördern, Resonanz aus dem Publikum zu erhalten – auch zur Auswertung des Films. Wir wünschen uns einen Happening-Charakter. Vor dem Film zeigen wir Kurzfilme, um diesen eine Bühne zu bieten. Vor allem für junge Filmschaffende ist das wichtig. Wir wollen den Austausch über die Filme, die Branche und das Sehverhalten des Publikums im Hinblick auf Feminismus.

Was kritisieren Sie an der Filmbranche aus feministischer Sicht?

Mitunter herrschen toxische Arbeitsverhältnisse. Man wird unter Druck gesetzt und muss sich profilieren. Hinter der Kamera ist vieles männlich dominiert. Es ist dann schwerer, sich als junge, weibliche oder diverse Person durchzusetzen.

Sie beabsichtigen, »losgelöst von rein wirtschaftlichen Interessen« tätig zu sein – wie denn in einer kapitalistisch geprägten Gesellschaft, wo viele nicht mehr wissen, wie sie ihre Miete und den Unterhalt finanzieren sollen?

Das ist vor allem auf diesen Film bezogen. Wir wollten ihn umsetzen, hatten aber kein Geld. Daher war uns von Anfang an bewusst, dass wir damit nichts verdienen würden. Dennoch sind wir allen Unterstützerinnen und Unterstützern dankbar, die unseren Traum ermöglichten. Wir haben konventionelle Elemente des Actionfilms mit der feministischen Perspektive bereichert. Etwa bei der Actionszene mit dem Fluchtwagen, um sich vom Tatort zu entfernen: Wie fühlt sich diese Fahrt für die 17jährige Clara (Alida Stricker) an, die seit Jahren zusammen mit ihrer Mutter Dagmar (Linda Sixt) im Untergrund lebt, weil diese als ehemalige RAF-Terroristin gesucht wird? Es ist eine Coming-of-Age-Story, mit der Perspektive auf die Tochter, die kaum Kontakte hat. Denn ihre Mutter wird erpresst, mit Überfällen ihr Leben zu finanzieren.

»Generation Tochter« ist von der Machart eher konservativ, am konventionellen Actionthriller orientiert. Inhaltlich wird erst gar nicht versucht zu erklären, warum aus der Gesellschaft heraus historisch und politisch überhaupt die Rote Armee Fraktion entstehen konnte. Oder sehen Sie das anders?

Wir wollten keine politische Aufarbeitung machen, kein historisch-politisches Statement setzen, sondern ein feministisches: den Blick für die weibliche Perspektive auf Gewalt öffnen. Die RAF-Geschichte ist dabei nur eine Hintergrundfärbung. Wir fanden sie interessant, weil in der dritten Generation der RAF viele Frauen mitwirkten. Dazu wagten wir das fiktive Gedankenspiel: Was wäre, wenn es eine Tochter gäbe?

Ist es nicht bedauerlich, wenn der Film brav und unpolitisch daherkommt; zumal ja die Journalistin – und Mutter – Ulrike Meinhof, bevor sie in den Untergrund ging, grundlegende Analysen zur Emanzipation und Frauenrechten verfasst hat?

Es geht eher um die feministisch-politische Sichtweise und die Emanzipation der Tochter: auch von ihrer Mutter. Wir wollten mit einem in dieser Situation angesiedelten Film unsere eigene Geschichte des Erwachsenwerdens widerspiegeln und uns in die Gedankenwelt hineinversetzen, wie ist es ist, wenn man im Untergrund erwachsen wird. Es geht um die Geschichte der Tochter.

Gibt es nicht einen Widerspruch zwischen dem Filminhalt ihres Debüts und feministischen und künstlerischen Ansprüchen des Kollektivs, das sich aus gesellschaftlichen Zwängen heraus befreien will?

Der Film spiegelt unsere feministischen Werte wider. Dennoch sind wir interessiert an Kritik und dem Austausch. Dazu sind Diskussionen im Kino wichtig. Möglicherweise können sie uns beim nächsten Werk weiterbringen.

Lisa Marie Bardoux ist beim Filmkollektiv »­Generation Tochter« in der Produktion tätig

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.