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Aus: literatur, Beilage der jW vom 12.02.2003

Das Spiel ist aus!

Der Kriegskapitalismus richtet die Welt zugrunde und alles neu macht der Robert Kurz
Von Christof Meueler

Ach Gottchen, Gott wohnt hier nicht mehr. Ist die Nachfolge von Jimi Hendrix bis heute ungeklärt, so ist die Nachfolge von Karl Marx noch weniger geregelt. Zurecht hält der Marxist Robert Kurz solche Personaldiskussionen für kulturalistisches Blendwerk. Trotzdem empfing er vor vielen, vielen Jahren, als er sich anschickte, der führende Theoretiker der bevorstehenden kapitalistischen Apokalypse zu werden, das Zeitgeistmagazin Tempo bei sich zu Hause nahe Nürnberg, das dann mit einem Artikel kundtat, »den neuen Marx« entdeckt zu haben. Der säße als eine Art asketischer Popstar im stillen Kämmerlein und diskutiere mit wenigen Getreuen die neuesten Wasserstandsmeldungen der totalen Krise in der Welt da draußen, in der der tendenzielle Fall der Profitrate alles zuschanden richtet. Das sind so die Pointen, die die Warenästhetik für ihre größten Feinde bereithält.

Mittlerweile ist Tempo längst auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet und Robert Kurz steht kurz vor dem Eintritt ins Rentenalter. Seine Botschaft hat er zeitgeist-konjunkturell verschärft. Wenn George W. Bush dem irakischen Diktator Saddam Hussein diktatorisch »Game over« zuruft, verkündet Kurz in seinem neuen Buch »Weltordnungskrieg« dem Kapitalismus, wie wir ihn kennen, daß das Spiel aus sei, ein für allemal. Diese Prognose gründet er auf seinem altbekannten Theorem, daß die fetischisierte Warenproduktion keinerlei produktive Wertschöpfung mehr erlaube, da die Schere zwischen Finanzmärkten und Realökonomie derart weit auseinanderklaffe, daß der Wert der Ware Arbeitskraft in einem Tohuwabohu von Rationalisierung, Spekulation und Verschuldung verlustig gegangen sei. Und das tolle daran ist: »Die Weltbeherrscher des Kapitals begreifen ihre eigene Welt nicht mehr.« Im Gegensatz zu Kurz, der eine »grundlegende kategoriale Neukritik der Moderne« versucht vorzuformulieren, um letztendlich das emanzipatorische Projekt eines »transnationalen, alle Grenzen hinter sich lassenden Welt-Kibbuz« voranzubringen, in dem »die Solidarität in einem erweiterten, die kapitalistischen Form-Kategorien durchbrechenden Sinne ›neu zu erfinden‹« sei.

Dies ist zwar nicht der Rhythmus, bei dem jeder mit muß, aber als Vergegenwärtigung des »zugespitzten ökonomischen Terrors« seit dem Zusammenbruch des Ostblocks sehr lesenswert. Der NATO-Westen, hegemonial geführt von den USA, steht am Abgrund. Die USA, gefaßt als »ideeller Gesamtimperialist«, sind für Kurz »bereits an den Grenzen des Kapitalismus als gesellschaftlicher Reproduktionsform angesiedelt«, da sie als Staat mit der größten Binnen- als auch Außenverschuldung der Welt und damit auch mit einem komplett kreditfinanzierten High-Tech-Militärapparat nicht umhin können, einen weltweiten Kriegskapitalismus durchzusetzen. »Nachdem der Kapitalismus mit seiner stummenFunktionslogik große Teile der Welt ökonomisch in die Barbarei gebombt hat, erregt er sich ›menschenrechtlich‹ über eben diese von ihm selbst verursachte Barbarei und möchte sie nun militärisch wegbomben, weil ihm nichts anderes mehr einfällt«. Alle Menschen, die in der »globalen Plünderungsökonomie« durchs Raster fallen, bekommen zu hören: »Wenn du nicht mehr funktionsfähig bist, bist du auch nicht mehr rechtsfähig, und wenn du nicht mehr rechtsfähig bist, bist du auch kein Mensch mehr«. In sich ausweitenden Bürgerkriegsgebieten werden sie aus der Luft von Piloten »chirurgisch« bombardiert, die abends nach getaner Mordbrennerei in den USA ihre Langstreckenjets verlassen, mit ihren Kindern Pizza essen, am Boden laufen sie vor die MP der Schergen irgendwelcher Warlords, die mindestens mal ein Mittagessen erpressen wollen.

Der »ideelle Gesamtimperialist« kämpft in der Weltkrise wie im Film »Fight Club« im Prinzip gegen sich selbst, unfähig, den eigenen politischen wie ökonomischen Bankrott zu erkennen. »Die Generalbösewichte und jeweiligen Feinde Nr. 1 (...) lösen einander in rascher Folge ab, ohne daß sich jemals ein klares Bild des Feindes herausbilden würde. Vom Standpunkt des kapitalistischen Weltsystems gibt es einfach keinen Begriff dafür.« Kaum dreht sich ein Blauhelmsoldat um, kracht es hinter ihm. Der weltpolizeilich auftretende »Sicherheitsimperialismus« produziert seine kleinen wie großen Feinde selbst. Egal was das »Monsterbaby« Hussein, der »typische Krisenpotentat« Milosevic oder die »schon mystische Figur« Osama bin Laden auch behaupten mögen, ist ihnen doch die jeweils vertretene Ideologie »weniger wert als eine löchrige Unterhose«.

Allgemein äußert sich die pathetisch beschworene »Gemeinsamkeit der Demokraten« vorrangig in Modifikationen der Selektion und der Abschottung, von Kurz »anomischer Sicherheitsimperialismus nach innen« genannt. Willkürlich werden Migranten entweder per »Green Card« eingeladen oder unter Aushebelung bisheriger Rechtstraditionen in Gefängnisse geworfen. In Australien gibt es in der Wüste KZ-ähnliche Lager für aufgefischte Boatpeople. Wer den Flughafen Frankfurt/Main nicht verlassen darf, befindet sich zwar faktisch auf deutschem Boden, juristisch aber im Nirgendwo. Die hierfür Verantwortlichen bräuchten Kurz zufolge keinerlei »bürgerlichen Anstoß« an der Verfolgung und Ermordung von Migranten zu nehmen, bloß »weil hier der Dienstweg nicht eingehalten wird.« In der Dauerkrise wird offen praktizierter Rassismus häufiger, das antisemitische Syndrom virulenter und sexuelle Gewalt steigt sowieso.

Je mehr in den letzten 20 Jahren die Kultur ökonomisiert wurde, desto stärker wurde Ökonomie kulturalisiert. Da kann man die kulturellen Erscheinungen kritisieren wie man möchte – solange die Politische Ökonomie unhinterfragt bleibt, wird sie als pseudonatürliche Kraft hingenommen, die immer größere Katastrophen zeitigt. Das komplett wahnhafte, alle Zweck-Mittel-Relationen stillstellende Attentat auf das World Trade Center bezeichnet Kurz als Ausdruck einer »›subjektlosen Gewalt‹«, wie sie auch »Naturerscheinungen oder eben Marktprozessen« zugeschrieben wird, denn die Subjekte sagen nicht mehr, was sie wollen. Der Kapitalismus hat den Fortschritt abgeschafft, es herrscht der »kapitalistische Todestrieb«. Diesen zu schwächen oder gar die Realisierung der Absicht, die »Entfremdungsmächte von Markt und Staat gleichermaßen zu überwinden« gestaltet sich schwierig, denn auch Kurz möchte nicht diskutieren. Ohne Ansprechpartner wird das auch nichts. Die Linken agieren seiner Ansicht nach überwiegend ähnlich irrational wie das gesamte System, operieren mit überkommenen Begriffen und sinken so weiter ab ins Nullcheckertum. Das »Welt-Kibbuz« ist weiter entfernt denn je. Der sehr unpraktische Theoretiker Robert Kurz sitzt weiter in seinem Kämmerlein und sieht seinen eigenen Untergang kommen. Saddam Hussein dürfte es ähnlich gehen.

* Robert Kurz: Weltordnungkrieg. Das Ende der Souveranität und die Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung. Horlemann, Bad Honef 2003, 446 S., 19, 80 Euro

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