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Aus: Ausgabe vom 22.06.2007, Seite 3 / Schwerpunkt

Dokumentiert. Zeitungskommentare vom Donnerstag zum Telekom-Ergebnis

Frankfurter Allgemeine Zeitung:

(...) Mit dem Kompromiß vom Mittwoch hat (...) die ver.di-Führung (...) eine schwere Niederlage eingesteckt. Der lange Arbeitskampf hatte hohe Erwartungen geweckt, die das Ergebnis nicht erfüllt. Selbst die Gehaltskürzung, die viele mehr schmerzt als die längere Wochenarbeitszeit, bleibt den Beschäftigten nicht erspart. Dafür werden nun wohl noch mehr von ihnen an den Gewerkschaftsbeiträgen sparen. Vielleicht hoffte ver.di bis zuletzt auf ein Machtwort der Bundesregierung, die noch immer ein Drittel der T-Aktien kontrolliert. Schließlich hat es solche Einschnitte für die Belegschaft in einem allenfalls halbprivaten Staatskonzern noch nicht gegeben. Doch selbst von der SPD war wenig bis nichts zu hören.

Für die Telekom markiert der erste Arbeitskampf seit ihrer Privatisierung eine Wende. Der langjährige Burgfriede mit der Gewerkschaft ist vorbei. Der Konzern kann es sich nicht mehr leisten, Milliardenbeträge für Vorruhestands- und Abfindungsprogramme auszugeben und die übrige Belegschaft im teuer bezahlten alten Trott weitermachen zu lassen. Selbst ein späterer Verkauf der neuen Servicegesellschaften scheint möglich. Der Konzern wird seine Gründe haben, warum er keine längere Bestandsgarantie abgegeben hat. Für beide Seiten war es der Anfang einer schmerzhaften Anpassung an die Wirklichkeit, nicht das Ende.

Der Tagesspiegel:

Mehr als fünf Wochen Streik, an vielen Tagen gingen mehr als 15000 Telekom-Mitarbeiter auf die Straße – und jetzt das: Die Beschäftigten sollen vier Stunden in der Woche länger arbeiten, und das Gehaltsniveau in den neuen Servicegesellschaften sinkt um 6,5 Prozent. Ein erfolgreicher Streik sieht anders aus. »Bitter« nennt ver.di-Verhandlungsführer Lothar Schröder die Erhöhung der Wochenarbeitszeit. Zu Recht. Erreicht hat er immerhin, daß die betroffenen Mitarbeiter ab Juli und für 18 weitere Monate nicht weniger Geld in der Tasche haben und daß ihre Jobs bis Ende 2012 sicher sind. Das ist eine lange Zeit. Allerdings hat auch die Arbeitgeberseite zurückstecken müssen, schließlich wollte die Telekom zunächst zwölf Prozent weniger zahlen und die Gehälter stärker vom Unternehmenserfolg abhängig machen. Doch das Ziel, wenigstens 500 Millionen Euro im Jahr zu sparen, ist erreicht. (...)

Frankfurter Rundschau:

(...) An fast fünf Wochen Streiks und den zähen Verhandlungen – inklusive Nachtsitzungen – ging kein Weg vorbei. Denn für beide Seiten stand zu viel auf dem Spiel. Beide mußten beweisen, daß sie an die Schmerzgrenze gehen – also das herausholen, was herauszuholen ist. Telekom-Chef René Obermann mußte den Aktionären – allen voran der Heuschrecke Blackstone – beweisen, daß er sich durchsetzen kann. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) mußte ihren Mitgliedern zeigen, daß sie die Bastion Telekom halten und Besitzstände verteidigen kann.

Ver.di ist damit gescheitert. Denn unterm Strich bleibt: Es gibt weniger Geld – wenn auch über drei Jahre gestreckt. Und das für Beschäftigte eines Konzerns, der im ersten Quartal einen Reingewinn von 459 Millionen Euro eingefahren hat. Und dann kommt die Einigung zu einem Zeitpunkt, da andere Gewerkschaften Gehaltserhöhungen von drei und vier Prozent durchsetzen.


Bedenklicher noch: Die Vermutung liegt nahe, daß der »Kompromiß« als Blaupause für Lohndrückerei in anderen Sparten des Bonner Konzerns genutzt wird. (...)

Süddeutsche Zeitung:

(...) So bitter es für den einzelnen Mitarbeiter ist: Die guten alten Zeiten gibt es nicht mehr und wird es nie wieder geben; viele bei der Telekom müssen das erst mühsam lernen. Insofern ist die Telekom ein Beispiel für Strukturwandel in Zeiten der Globalisierung. Wo einerseits gut dotierte Jobs in Gefahr geraten (beim ehemaligen Monopolisten Telekom), entstehen andererseits neue, freilich häufig schlechter bezahlte Stellen (bei den neuen Wettbewerbern). Die Verlierer dieses Prozesses haben sich lange gegen die Konsequenzen gestemmt. Am Ende hat Konzernchef René Obermann bekommen, was er wollte: die Ausgliederung von 50000 Mitarbeitern in Tochtergesellschaften und damit die Möglichkeit, deren Arbeitsbedingungen der finanziellen Lage des angeschlagenen Konzerns und den bei der Konkurrenz üblichen Konditionen anzupassen. (...)

Financial Times:

Es ist nicht schön, als menschlicher Kostenblock im Konzern hin- und hergeschoben zu werden. Ebenso unschön, wie ständig in den Medien lesen zu müssen, man sei zu teuer, unflexibel und unproduktiv. Da muß es für die bis zu 16000 Streikenden ein Trost gewesen sein, daß ihr Fernbleiben von der Arbeit sich doch beim Kunden bemerkbar machte – auch wenn dies der Kundenbindung abträglich war.

(...) Unterm Strich hilft dieser Kompromiß nicht viel. Die Dresdner Bank kommt zunächst auf das untere Ende des ursprünglichen Sparzielkorridors von 500 bis 900 Millionen Euro. Davon entfällt mit 350 Millionen Euro der größte Teil auf die längeren Arbeitszeiten, je 100 Millionen Euro entfallen auf Gehaltskürzung sowie die um rund ein Drittel gekürzten Einstiegsgehälter. Erhöht werden könnte das Sparpotential, wenn die Zahl der Kündigungen aufgrund der neuen Arbeitszeitbelastung steigen sollte.

Vom Gesamtsparpaket von rund 4,5 Milliarden Euro macht diese Einigung ohnehin erst ein Achtel aus. Angesichts der innerhalb von zwei Jahren um fast die Hälfte reduzierten Gewinnprognosen der Analysten für das laufende Jahr ist das nicht mehr als ein politischer Achtungserfolg.

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