Keine Visa für Konzernkritiker
Von Luc Śkaille, Freiburg im Breisgau
In diesen Tagen wird in mehreren Städten in der EU, darunter Paris, Brüssel und Freiburg im Breisgau, der Dokumentarfilm »Terre et dignité« (Land und Würde) auf die Leinwand kommen. Nicht dabei sein werden aller Voraussicht nach die Protagonisten des Films. Denn die französischen Konsulate in Sfax und Tunis haben den Gewerkschafterinnen der Steiff-Fabrik in Sidi Bouzid, Vertretern mehrerer Umweltschutzorganisationen und einem Sprecher der Tunesischen Menschenrechtsliga (LTDH) die Visa versagt. Stichhaltige Gründe gaben die Behörden nicht an – die Anträge seien »unzureichend begründet«.
Die Tournee wird von namhaften Initiativen wie ATTAC, dem europäischen Bürgerforum »Forum civique«, der Vereinigung »Survie« und »Friends of the Earth Frankreich« getragen. Die Nichtregierungsorganisation Centre de recherche et d’information pour le développement (Forschungs- und Informationszentrum für Entwicklung, CRID) bemüht sich weiterhin um die Reisegruppe. Doch in einer Mitteilung, die der jW vorliegt, macht sie sich wenig Hoffnung auf ein Umschwenken der Konsulate. Vermutet wird, dass die scharfe Kritik, die das Filmkollektiv »Halfa« an westlichen Konzernen übt, der tatsächliche Beweggrund für eine Verhinderung der Ausreise ist.
Besonders geht es in »Land und Würde« um den Düngemittelproduzenten Roullier und den Agrarriesen Danone, denen schwere Umweltvergehen bei Wassernutzung und dem Abbau von Phosphat vorgeworfen werden. Aber auch der deutsche Stofftierproduzent Steiff aus Giengen an der Brenz kommt nicht gut weg. Mitglieder vom Allgemeinen tunesischen Gewerkschaftsbund UGTT prangern im Film unerträgliche Arbeitsbedingungen der rund 1.000 Textilarbeiterinnen in Sidi Bouzid an. Der weltberühmte Steiff-Konzern hatte in den vergangenen Jahren seine Delokalisierungen nach China und Portugal aufgegeben, um den Großteil seiner Qualitätsplüschtiere in Nordafrika produzieren zu lassen. Vor Ort soll es weder ausreichende Sanitätsanlagen noch würdige Löhne geben. Die Arbeiterinnen verdienen monatlich umgerechnet etwa 150 Euro.
Mit wilden Streiks konnte zumindest eine Isolierung des Dachs der Steiff-Fabrik erstritten werden, um die unerträgliche Hitze abzuschirmen. Sidi Bouzid war ab der Selbstverbrennung des fliegenden Händlers Mohamed Bouazizi im Dezember 2010 die Wiege der Aufstände des sogenannten arabischen Frühlings. Ausgehend von der Kleinstadt im Landesinneren bereist der Dokumentarfilm Tunesien, um die Machenschaften westlicher Firmen und die gesellschaftlichen Entwicklungen über ein Jahrzehnt lang nachzuzeichnen. Die postkolonialen Interessen und die besonders von Frankreich gestaltete Politik wirtschaftlicher Abhängigkeit und ökologischer Ausbeutung werden im Film mehr als deutlich.
Seit 1995 gehört Tunesien zu den erlesenen Handelspartnern der EU. Westliche Firmen profitieren im Rahmen der »Partnerschaftsabkommen« von umfassenden Steuervorteilen und hinterlassen kaum Mehrwert. Unter Präsident Kaïs Saïed muss sich das fortschrittliche Tunesien nach den hoffnungsvollen Aufständen vor 15 Jahren erneut dem Autoritarismus beugen. Privilegien des Westens bleiben unangetastet. Dass französische Behörden versuchen, die Tournee in der EU zu behindern, demonstriert den modernen Kolonialismus, bei dem Rohstoffe, billige Arbeitskräfte und die Abschottung der »Festung Europa« im Zentrum stehen.
Auch wenn eine Beteiligung der Protagonisten Hayet Amami, Najet Nouri, Alaa Marzougui, Aymen Amayed und Kheyreddine Debaya aktuell als nicht realistisch erscheint, halten die Organisatoren an der Filmtournee fest. Für die Aktivistin Nedjma ist die Sache klar: »Der Kolonialismus bleibt aktuell, und der Westen steht den Stimmen der Leidtragenden im Weg. Wir werden weiterhin für Unabhängigkeit und gegen die autoritären Tendenzen ankämpfen, hier und anderswo. Das werden keine Konsule verhindern, die von unserer Arbeit ihre Villen bauen und den Wein trinken, den wir produziert haben.«
Filmvorführung »Land und Würde« in Freiburg: Donnerstag, 19. Juni, 19.30 Uhr, Hebelschule, Engelbergerstr. 2
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