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08.05.2024, 12:29:11 / Sport
Fußball

»Den Krügel kennt ganz Europa«

Vor 50 Jahren gewann der 1. FC Magdeburg den Europapokal der Pokalsieger. Es war der größte Triumph des DDR-Vereinsfußballs
Von Ronald Kohl
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Gesichter der besten Zeit: Heinz Krügel (l.) herzt Jürgen Sparwasser (8. Mai 1974)

»Ich hoffe, ich bin verstanden worden«, begann Trainer Heinz Krügel seine Ansprache vor dem Rückspiel gegen Banik Ostrava: »Die ersten zehn Minuten möchte ich nur Zweikämpfe sehen. Danach wird gespielt.« Mit einem 0:2 im Gepäck waren die Magdeburger zwei Wochen zuvor aus der Tschechoslowakei heimgekehrt. An diesem 7. November 1973 führten sie nach 90 Minuten zu Hause mit 2:0. Ihre überragende Kondition ließ sie in dieser zweiten Runde des Europapokals der Pokalsieger 1973/74 die Verlängerung gewinnen. Am 8. Mai 1974 triumphierten die Magdeburger dann auch im Finale in Rotterdam gegen den AC Mailand. Es war der größte Erfolg in der Gesichte des DDR-Vereinsfußballs.

Heinz Krügel hatte die Mannschaft 1966 unmittelbar nach deren Abstieg aus der Oberliga übernommen. Es war für ihn nicht des erste Mal, dass er einen Job wie diesen antrat. Den Männern des SC Empor Rostock hatte er 1956 versichert: »Wir steigen sofort wieder auf.« Was dann auch geschah und sich in Magdeburg wiederholte. Er war jemand, der die Spieler erreichte, jemand, den man heute gerne als »Menschenfänger« bezeichnet; noch immer loben seine früheren Spieler Krügels psychologisches Geschick. Im Zweiten Weltkrieg war er Offizier gewesen. Sein Kollege Walter Fritzsch, der von 1969 bis 1978 Dynamo Dresden trainierte, hatte den Weltkrieg als einfacher Soldat beendet, führte die Mannschaft allerdings, glaubt man den Aussagen der damaligen Aktiven, in der Manier eines Feldwebels. Meistertitel holten beide Trainer am laufenden Band. Fritzsch 1971, 1973, 1976, 1977, 1978 und Krügel 1972, 1974 und 1975. Bemerkenswerterweise stammten sie beide, der eine Jahrgang 1920, der andere 1921, aus dem kleinen Ort Planitz in Sachsen, wo beim Planitzer SC auch ihre sportliche Laufbahn begann.

Warum gelang nun gerade Magdeburg der große Wurf und Dresden nicht? Es war eben etwas einfacher, den Pokal der Pokalsieger zu gewinnen, als den Cup der Landesmeister zu holen. Dennoch war auch Dresden, anders als später der BFC Dynamo, eine Truppe, die in ihrer besten Zeit internationales Ansehen genoss. Nur war diese beste Zeit sowohl der Dresdner und Magdeburger Klubmannschaften als auch die der Nationalmannschaft recht kurz: Pokalgewinn in Rotterdam im Mai und schließlich das Sparwasser-Tor im Juni 1974 und dann noch Olympiagold 1976 in Montreal. Nicht schlecht für ein kleines Land, aber das war’s dann auch schon.

Die Erfolge basierten vor allem auf einem Fitnessvorsprung, der sich gegen die Profis aus dem Westen jedoch nicht lange behaupten ließ. Vielleicht auch deshalb nicht, weil sich etliche Oberligatrainer weigerten, die vom Verband vorgegebenen Einheiten im Bereich Kondition vollständig umzusetzen; die Spieler sollten nach den Spiel am Wochenende erschöpft sein, nicht schon davor. Zudem untergrub die ab Mitte der 70er Jahre gängige Praxis, überdurchschnittliche Spieler in den wenigen privilegierten Klubs zu konzentrieren den Wettbewerbsgedanken der Liga: Wer es nicht gewohnt ist, im Punktspielbetrieb allwöchentlich gefordert zu werden, hat auf internationaler Bühne kaum Chancen.

Der 1. FC Magdeburg genoss, wie es der Name vermuten lässt, 1974 zwar Klubstatus, er gehörte jedoch nicht zu den Vereinen mit Zugriff auf »fremde« Talente. In Rotterdam hat deshalb, und das macht es so besonders, eine Bezirksauswahl, ein rein regionales Team, den großen AC Mailand 2:0 an diesem 8. Mai 1974 vom Platz gefegt, und damit immerhin den Titelverteidiger. Verständlich, dass Heinz Krügel da über den Dingen schwebte und einen Funktionär später mit der Bemerkung abkanzelte: »Den FCM und Krügel, den kennt ganz Europa. Aber du bist und bleibst ein dummer Bördebauer.« Danach wurde er dann zwar zum Objektleiter einer Kegelbahn degradiert, aber ganz Europa kennt ihn bis heute (behaupte ich mal).

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